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Reiseblog Westbalkan: Olympia oder die Monotonisierung der Welt

Monotonisierung
Foto: Autor

IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger auf den Spuren von Evliya Çelebi: Schon Stefan Zweig beklagte die Monotonisierung der Welt.

(iz). Im griechischen Olympia gibt es in einer touristisch geprägten Straße einen Buchladen. Unter den Klängen einer Sinfonie von Beethoven stöbere ich allein in der Abteilung für englische und deutsche Bücher, bis mich der Eigentümer entdeckt. Wir kommen ins Gespräch und ich erzähle ihm von unserer Odysee.

„Reisen“, seufzt er und zuckt mit den Achseln, „ist eine Bewegung, von der ich lebe, aber ich erwarte davon nichts mehr. Zu viele Leute sind heutzutage unterwegs, um zu erfahren, dass alle gleich sind!“ Ich kaufe ein Buch bei ihm und bezahle. Zum Abschied drückt der Buchhändler mir einen deutschen Text mit dem Titel „Die Monotonisierung der Welt“ in die Hand und wendet sich dann wieder seiner Wirklichkeit zu.

Foto: Breve Storia del Cinema, via flickr | Lizenz: Public Domain

Schon Stefan Zweig beklagte die Monotonisierung der Welt

Im Café lesen wir das uns überlassene Dokument aus dem Jahr 1925, geschrieben vom österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig. Vor einem Jahrhundert beklagte er, trotz der Beglückung des Reisens an sich, ein leises Grauen vor der Monotonisierung der Welt.

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„Alles wird gleichförmiger in den äußeren Lebensformen, alles nivelliert sich auf ein einheitliches kulturelles Schema. (…) Immer mehr scheinen die Länder gleichsam ineinander geschoben, die Menschen nach einem Schema tätig und lebendig, immer mehr Städte einander äußerlich ähnlich.“ Er fragte nach dem Ursprung der Welle, die das Farbige, das Eigenförmige aus dem Leben wegzuschwemmen droht. 

Stefan Zweig war ein großer Schriftsteller mit einem tragischen Schicksal, aber der Grundaussage des Textes – die wohl den Buchhändler überzeugte – stimmen wir nicht zu.

Minarette

Foto: Tharik Hussain

Auf dem Balkan erlebt man das Gegenteil

Auf unserer Reise durch Bosnien, Montenegro und Albanien lernten wir Regionen kennen, die aus vielen Gründen große Unterschiede – im Kulturellen, Religiösen und Politischen – aufweisen. Dabei ist uns nicht entgangen, dass die Gewohnheiten des Konsums, des Tourismus und die Rolle der Smartphones sich an vielen Orten gleichen.

Aber es sind die Begegnungen mit den Menschen, die sich aus unterschiedlichen geistigen Dimensionen speisen, die uns nicht daran glauben lassen, dass sich tatsächlich eine Monotonisierung der Welt vollzieht.

An vielen Orten beobachtet man den Versuch, das eigene Erbe nicht nur zu bewahren, sondern zu aktualisieren. Dabei wirken bittere Erfahrungen mit den modernen Ideologien nach. Nicht zuletzt fanden wir angenehm, dass in diesen Ländern der Tourismus sich in einer eher sanften Form entfaltet, ohne das originäre Leben zu verdrängen.

Vielleicht ist es die Rolle der Religionen, sich der vollständigen Materialisierung der Welt, mit ihren Riten, Weisheiten und Gebräuchen, entgegenzustellen. Der Charakter der Menschen, ihre Moral, ihre Offenheit für das Andere und nicht zuletzt die Gastfreundschaft nähren sich aus unsichtbaren Quellen. Hierher gehören die Erzählungen, deren Bedeutung bis heute nachklingen.

Foto: OSCE

Albanische Gastfreundschaft widersetzte sich dem Vernichtungswillen der Nazis

Ein Beispiel hierzu ist eine bedenkenswerte Episode aus der Geschichte Albaniens, die Robert Menasse erzählt. In der Zeit der Besetzung durch die Nazis scheiterte der Versuch, die Juden in dem Land zu verfolgen, an der gewohnheitsrechtlichen Rolle der Gastfreundschaft.

Das traditionelle Gesetz wurde von den Einheimischen über die Forderungen der Besatzer gestellt. Albanien war, von all den Ländern, die von der Wehrmacht besetzt waren, das Einzige, in dem es nach dem Krieg mehr Juden gab, als vorher.

Gerade wenn die ungeheure Macht der Technik und die Angleichung der Lebensgewohnheiten weiter voranschreiten, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich viele EuropäerInnen wieder stärker auf ihre Wurzeln besinnen. In diesen Räumen – so die Hoffnung – wird weder ein Materialismus noch ein Nationalismus das tiefere, geistige Leben vollständig verdrängen. Vielfalt statt Uniformität ist die Devise dieser Tradition.

Ohne Zweifel gehört der Islam zur europäischen Geistesgeschichte. Seine zivilisatorischen Beiträge liegen offen zu Tage, zum Beispiel in einer Stadtentwicklung, die Moscheen, Kirchen und Synagogen einen Platz einräumt oder aber, sie sind als Tugenden und Mentalitäten – man denke nur an die Gastfreundschaft – präsent. 

Tharik Hussain nennt dieses Phänomen das unvermutete Europa. Es liegt an uns, diese Seite der Vergangenheit bekannter zu machen. Denn, wie Hussain schreibt: „Die Bemühungen, die muslimische Geschichte unseres Kontinents zu ignorieren, auszuradieren, umzuschreiben oder einfach unter den Teppich zu kehren, waren so vehement und umfassend, dass selbst die Menschen, die in muslimischen Ländern lebten, nicht mehr mit ihr vertraut waren.“