(KNA). 2012 hat Hamburg als erstes Bundesland Verträge mit drei Islamverbänden und der Alevitischen Gemeinde geschlossen. Zehn Jahre nach dem Inkrafttreten sollen sie nun einer Neubewertung unterzogen werden. Auf einem Fachtag am Mittwoch spricht unter anderem die Professorin für Islamwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen, Riem Spielhaus. Sie forscht zur rechtlichen Anerkennung islamischer Verbände in Deutschland. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) schildert sie ihren Blick auf die Hamburger Verträge und bewertet ihre bundesweite Wirkung. Von Michael Althaus
Frage: Frau Professorin Spielhaus, haben sich die Hamburger Verträge mit den islamischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde aus Ihrer Sicht bewährt?
Riem Spielhaus: Ich nehme aus Hamburg einerseits Zufriedenheit sowohl auf staatlicher als auch aufseiten der Religionsgemeinschaften wahr. Die Verträge treffen Regelungen zu Feiertagen, Religionsunterricht und Bestattung und decken damit aus meiner Sicht die wichtigsten Fragen ab. Der interreligiös getragene „Religionsunterricht für alle“ scheint in Hamburg gut zu laufen. Auch die Feiertagsregelung scheint zu funktionieren. Auf der anderen Seite gab und gibt es auf muslimischer Seite auch immer mal wieder Frustration.
Frage: Worüber?
Riem Spielhaus: Über einzelne, konkrete Punkte kann ich als außenstehende Beobachterin wenig sagen. So eine Frustration muss nicht immer einen konkreten Grund haben. Manche Erwartungen sind gar nicht zu erfüllen, sondern liegen zum Beispiel auf der Ebene von gesellschaftlichem Diskurs. Man möchte zum Beispiel wertgeschätzt werden.
Frage: Und die Frustrationen auf staatlicher Seite?
Riem Spielhaus: Die islamischen Religionsgemeinschaften sind in Deutschland noch nicht so organisiert wie die beiden großen Kirchen. Auch wenn es beispielsweise in Hamburg bereits Professionalisierungskurse für das Personal in islamischen Gemeinden gegeben hat, können sicher nicht immer alle Erwartungen auf staatlicher Seite erfüllt werden. Frustration gibt es darüber hinaus immer wieder auch bei der Frage, ob die islamischen Verbände auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Da gab es in Hamburg etwa Debatten um die Teilnahme einzelner Vertreter des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH) am Al-Quds-Tag oder um die Abhängigkeit der Ditib vom türkischen Staat. Die wurden teils auch innerhalb der islamischen Verbände kontrovers geführt, setzen aber natürlich vor allem die staatliche Seite unter Rechtfertigungsdruck.
Frage: Dem IZH wird eine unmittelbare Abhängigkeit vom iranischen Regime vorgeworfen. Das Zentrum ist Mitglied im Dachverband Schura, einem von drei Partnern der Stadt bei dem Islamvertrag. Sollte die Schura trotzdem Vertragspartner bleiben?
Riem Spielhaus: Mit konkreten Empfehlungen möchte ich mich zurückhalten. Die entscheidende Frage ist, wie sich die Schura in dieser Situation verhält. Sie prüft derzeit, ob das IZH seine Mitgliedschaft ruhen lassen kann und hat ein Schiedsgericht eingesetzt. Die Einflussnahme aus dem Iran auf das IZH ist offensichtlich stärker geworden. Das wird auch innerhalb der Schura diskutiert und einzelne Mitgliedsverbände haben sich bereits vom IZH distanziert, weil sie sich nicht aus dem Ausland lenken lassen wollen. Es kann weder aus Sicht der Verbände noch aus Sicht des Senats Ziel sein, eine solche Konstellation einzugehen. Ähnliche Debatten gab es auch zur Türkei-nahen Ditib. Allerdings hat sich die Hamburger Ditib immer als besonders selbstständig hervorgetan gegen Versuche aus Ankara, sie zu lenken.
Frage: Befürworter des Vertrags argumentieren, man müsse ihn um des Dialogs willen beibehalten…
Riem Spielhaus: Einen Vertrag aufzulösen bedeutet ja nicht gleich, den Dialog aufzulösen. Ein Dialog wäre selbst mit einer Organisation, in der sich ausländische Kräfte engagieren, wichtig. Es kann durchaus interne Kräfte geben, die sich versuchen, davon freizumachen. Wir kennen das zum Beispiel von der katholischen Kirche genauso, dass es Organisationsstrukturen außerhalb von Deutschland gibt, sogar staatliche mit dem Vatikan. Auch hier kann es durchaus zu Problemen kommen. Aber darüber wird konstruktiv und transparent gesprochen. So könnte man sich das auch bei den islamischen Organisationen vorstellen.
Frage: Sind denn ansonsten aus Ihrer Sicht Änderungen an den Verträgen notwendig?
Riem Spielhaus: Das wird man im bevorstehenden Gesprächsprozess Punkt für Punkt klären müssen. Zudem wäre zu fragen, ob es weitere Bereiche gibt, für die man Vereinbarungen treffen möchte. Potenziale sehe ich bei der Jugendarbeit und der Wohlfahrtspflege. Hier könnte Hamburg bundesweit noch einmal neue Akzente setzen.
Frage: Als vor zehn Jahren die Verträge abgeschlossen wurden, wurde ihnen Vorbildcharakter für die ganze Republik zugesprochen. Gilt das immer noch?
Riem Spielhaus: Ja. Hamburg hat in der Tat einen Impuls gesetzt, der sehr stark über die Grenzen der Hansestadt hinaus wahrgenommen wurde. Nicht ganz ein Jahr später wurde ein ähnlicher Vertrag mit islamischen Verbänden und später auch mit der Alevitischen Gemeinde in Bremen geschlossen. In Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wurden Vertragsgespräche aufgenommen. In Niedersachsen ist der Prozess seit 2016 auf Eis gelegt. Rheinland-Pfalz hat 2019 einen Vertrag mit den Aleviten geschlossen. Mit den islamischen Verbänden wurden auch dort die Gespräche zwischenzeitlich gestoppt, inzwischen aber wieder aufgenommen.
Frage: Woran hapert es bei den Gesprächen, und warum tut sich in den anderen Bundesländern nichts?
Riem Spielhaus: Die Gespräche wurden vor allem wegen der Entwicklungen 2016 in der Türkei ausgesetzt. Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der dortigen Regierung und ihren Gegnern war eine erhöhte Einflussnahme der Türkei auf die Ditib-Verbände hierzulande festzustellen. Rheinland-Pfalz geht nun einen spannenden Weg, bei dem sich die Partner Zeit nehmen und sich Zielvorgaben setzen. Ich denke, jedes Bundesland muss seine eigene Geschwindigkeit finden und seine jeweiligen Strukturen berücksichtigen. In Stadtstaaten wie Hamburg und Bremen ist die Zusammenarbeit wesentlich einfacher als in Flächenländern, weil die Akteure viel näher beieinander und besser vernetzt sind.
Frage: Wären auch andere Modelle der Zusammenarbeit als ein Staatsvertrag erstrebenswert?
Riem Spielhaus: Natürlich. In Berlin gibt es seit 2005 das Islamforum, ein Koordinierungsgremium zwischen staatlichen, islamischen und weiteren gesellschaftlichen Institutionen. Auch dort wurden verschiedene Regelungen getroffen, zum Beispiel zu Bestattungen, zu Feiertagen und zum Religionsunterricht.