Real, symbolisch und virtuell – Saudi-Arabien öffnet sich für neue Dimensionen des Reisens

Ausgabe 334

Saudi-Arabien
Foto: spc3mky, Adobe Stock

Erleben wir in Saudi-Arabien eine neue Form des Massentourismus? Mit den heiligen Stätten zieht das Land pro Jahr fast zwei Millionen PilgerInnen an.

(iz). Neal Town Stephenson spiegelt in seinen Science-Fiction-Romanen diverse Experimente mit neuen Medien wie virtueller Realität und dem World Wide Web wider. In seinem Werk „Snow Cash“ beschreibt der Begriff des „Metaverse“ eine künstliche 3D-Welt, die Menschen mithilfe von VR-Brillen und anderen Geräten erkunden.

Das imaginäre Reisen wird zu einer neuen Möglichkeit der Fortbewegung. In diese Zukunft investiert Mark Zuckerberg Milliarden und spaltet die Finanzanalysten, die sich streiten, ob dies eine gigantische Fehlinvestition oder ein Geniestreich des Social Media Pioniers darstellt.

Foto: Mubin Ferdous

Saudi-Arabien sucht neue Wege

Egal ob sich die Investition lohnt oder nicht, die Möglichkeit von virtuellen Realitäten bestimmt zunehmend die Reisebranche und die Alltagsgewohnheiten der Menschen. Ein Beispiel für diesen Trend ist das Projekt „Vision 2030“ des Königreichs Saudi-Arabien.

Da die Pilgerreise eine Säule des Islam darstellt, zeigt sich die oberflächliche Befürchtung, dass reale Unternehmungen eines Tages von virtuellen Expeditionen abgelöst werden als Unsinn. Menschen werden immer reisen. 

Mit den heiligen Stätten des Islam, Mekka und Medina zieht Saudi-Arabien pro Jahr fast zwei Millionen PilgerInnen an. Dies wird auch so bleiben. Vergleicht man allerdings die berühmten Reisebeschreibungen des Ibn Batuta, aus dem 14. Jahrhundert, die er über seine Reise an die religiösen Orte verfasst hat, mit der heutigen Realität, wird das ganze Ausmaß der Veränderung deutlich.

Heute nutzen die PilgerInnen und Reisende aus aller Welt auf ihrem Weg nach und während ihres Aufenthalts in Saudi-Arabien, bisher unbekannte technische Hilfsmittel.

Reisen im Metaverse

Bereits heute können Reisende, bevor sie abreisen, zum Beispiel im Metaverse, ihre Hotels auf virtuellen Rundgängen erkunden oder vorab die Check-in-Schalter besuchen. Zum Standard gehören die schnell erhältlichen, neuen Online-Visa, die das langwierige Procedere in der saudischen Botschaft abgelöst haben. Hinzukommen wird bald die in Europa geplante Einführung digitaler Ausweise, die man in seinem Smartphone aufbewahrt.

Das Reisen wird grenzenlos. Technologisch denkbar sind Wege, an denen man kaum auf sein Bargeld zurückgreift und nicht mehr kontrolliert wird, sondern alleine von Kameras, die die biologischen Merkmale der Identität des Reisenden erkennen, beobachtet wird. Inzwischen regeln neue Applikationen für die Smartphones den wachsenden Strom der PilgerInnen zu den Stätten in Mekka und Madinah.

Foto: Shaker Kashgari

Arbeit an einem Imagewechsel

Fakt ist, Saudi-Arabien arbeitet an einem grundlegenden Imagewechsel und öffnet sich in bisher unbekanntem Ausmaß für Besucherinnen aus aller Welt. Im vergangenen Jahr empfing das Land 67 Millionen Gäste, die nicht nur wegen der heiligen, allein Muslimen zugänglichen Stätten einreisen.

Die Region wird zu einem Ziel für Touristen aus aller Welt, die hunderte historisch wichtige Orte besuchen. Auf dem Reiseprogramm stehen die Ruinen antiker Zivilisationen, bis zu Jeddahs magischem Al Balad und der Schönheit von Alula, einer der ältesten Städte der arabischen Halbinsel. Über all im Land, auch an den Stränden, entstehen Hotelanlagen, die unterschiedliche Bedürfnisse der Reisenden ansprechen.

Foto: User Ateyah

Motor zu Diversifizierung

Der Tourismus ist ein wichtiger Motor der diversifizierten Wirtschaft des Königreichs, mit dem Ziel, mehr als 10 Prozent zum BIP beizutragen. Beflügelt von beträchtlichen Investitionen in Unterhaltung, touristische Infrastruktur und die Nutzung der natürlichen und vielfältigen Schönheit Saudi-Arabiens ist der Wirtschaftszweig ein Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichem Wachstum. 

Millionen von Muslimen in Europa sind ebenso Zielgruppe für die neuen Angebote. Auf der ITB Berlin im März informierte der Golfstaat, größter Aussteller auf der internationalen Touristik Messe, über die riesigen Vorhaben. Hazim Al Hazmi, Vertreter der Saudi Tourism Authority, kündigte auf der Pressekonferenz hohe Investitionen von etwa 550 Milliarden in die neuen Reiseziele an. Die Zukunftsstrategie des Landes sieht vor, durch die Stärkung anderer Sektoren unabhängiger vom Öl zu werden.

Foto: Saudi Press Agency | Lizenz: CC BY 4.0

Ambitionierter Kronprinz

Beispiele für den rasanten Wandel des Landes sind zahlreich. Vor einigen Monaten hat Kronprinz Mohammad bin Salman, Premierminister und Vorsitzender der New Murabba Development Company (NMDC), einen Plan vorgestellt, der darauf abzielt, die größte moderne Innenstadt der Welt in Riad zu entwickeln.

Das New Murabba-Projekt wird klimaneutral gebaut, dem Konzept der Nachhaltigkeit entsprechen und umfasst neben der notwendigen Infrastruktur großzügige Grünflächen sowie Wander- und Radwege. Hotels, ein Museum, eine Technologie- und Designuniversität, ein Mehrzwecktheater und mehr als 80 Unterhaltungs- und Kulturstätten sind Teil des Plans. Das Projekt wird Hunderttausenden von Einwohnern beherbergen und gleichzeitig Besucher aus aller Welt anziehen.

Die Grenze zwischen Realität und Imagination ist, wie das Wahrzeichen der Anlage, das „Mukaab“ zeigt, fließend. Das Design des futuristischen Gebäudes umfasst diverse Einrichtungen und wird mit einer Höhe von 400 m, einer Breite von 400 m und einer Länge von 400 m eines der größten Bauwerke der Erde sein. Die kubische Form des „Mukaab“ gewährleistet eine Raumnutzung, die die Grenzen zwischen virtueller und realer Welt auflösen.

Inspiriert von einem innovativen Architekturstil wird das „Mukaab“ das weltweit erste Reiseziel sein, das ein Erlebnis bietet, das durch digitale Technologien mit den neuesten Hologrammen geschaffen wird. Als Zeitreisender wandelt der Besuch in künstlichen Räumen, erkundet den Mars oder wandert in die erdgeschichtliche Vergangenheit.

Massentourismus seit dem 19. Jahrhundert

Erleben wir in Saudi-Arabien eine neue Form des Massentourismus? Es ist interessant an den Ursprung des Phänomens zu erinnern. Im 19. Jahrhundert gründete der Engländer Thomas Cook das erste Unternehmen, das organisierte Reisen im großen Stil anbot.

Der Reisepionier war nicht nur ein überzeugter Baptist, sondern ebenso ein bekennender Abstinenzler. Seine soziale Absicht war es, die von Alkoholproblemen geplagte Arbeiterklasse eine andere Erfahrung und höhere Erkenntnisse zu ermöglichen. Die Idee der Völkerverständigung war für ihn ein Kernanliegen der internationalen Reisebewegung. 

Saudi-Arabien eröffnet das Spannungsfeld zwischen Offenbarung und Technologie, heiligen Stätten und Urlaubsdomizilen. Vielleicht entsteht durch die Begegnung der Reisenden in der Region, unter dem Eindruck realer, symbolischer und imaginärer Erfahrungen, eine neue Form des Dialogs. In diesem Fall wäre die Vision 2030 ein Jahrhundertprojekt. 

Ein Kommentar zu “Real, symbolisch und virtuell – Saudi-Arabien öffnet sich für neue Dimensionen des Reisens

  1. Alles schön und gut mit der Technik, wenn aber man sich kein laufend neues Internet Smartphone leisten kann oder man es nicht bedienen kann, weil es zu kompliziert ist zu bedienen (nicht jeder ist IT-Spezialist) , gibt es dann analoge Alternativen, oder wird man dann vom Reisen “ausgesperrt” . Und darf nicht mehr reisen , nur weil man kein Internet-Händy hat !!!

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