Spiel der Identitäten – Wem gelingt der Urlaub vom eigenen Selbst?

Ausgabe 325

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(iz). In den Sommermonaten neigt man dazu, die Seele baumeln zu lassen und zumindest zeitweise den Alltag zu vergessen. Dabei kommt es nicht unbedingt darauf an, ob man mit dem Flugzeug in die Karibik fliegt oder sich auf die nächste Wiese legt.

In Zeiten der großen Krisen, im Angesicht von Krieg, Inflation und ökologischen Katastrophen, ist die Erholung keine leichte Übung. Der Veränderungsdruck, den die Moderne fortlaufend produziert, die Aussicht auf ökonomische Krisen und gesellschaftliche Probleme, hat auf viele Menschen eine eher deprimierende Wirkung. Gefühle der Angst und Hilflosigkeit werden zu alltäglichen Erfahrungen, die keine Pause mehr zulassen und oft genug dazu führen, an der eigenen Existenz zu verzweifeln.

Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, ist hier ein Rat, zu einer Lebensphilosophie gehört aber mehr. David Precht hat das psychologische Phänomen des Selbst mit all seinen Glücksmomenten, Möglichkeiten und Sorgen, als eine innere Einheit zu erfahren, hinterfragt. In seinem Bestseller relativiert er die Frage nach dem eigenen Ich, denn man habe, so der Philosoph, in Wirklichkeit verschiedene Identitäten. Fernando Pessoa sieht in jedem Menschen einen Dichter, der seine Realität erschafft, erfindet oder verändert. Der Schriftsteller selbst schuf diverse  Persönlichkeiten, die er jeweils mit eigenen Lebensläufen versah und schlüpfte immer wieder in einen seiner Charaktere. Der Portugiese veröffentlichte seine Bücher unter fünf verschiedenen Namen.

Jenseits der Philosophie und Literatur kommt insbesondere der Religion die Aufgabe zu, Menschen Zuversicht zu vermitteln. Im islamischen Ritus wird eingeübt, die Identität loszulassen und in einer spirituellen Erfahrung auszulöschen. In der allumfassenden Einheit ist das Beharren auf seine eigene Wirklichkeit eine Illusion. Im sozialen Feld stehen die Hilfe und die Sorge um Anderes im Mittelpunkt. Oft werden bereits mit dieser Einstellung die eigenen Befindlichkeiten relativiert.

Eines der wichtigsten Bittgebete ist der Ruf nach Veränderung. In diesem Sinne zu sterben, bevor man stirbt gehört zu den Maximen einer spirituellen Lebensführung, die keine Angst vor der Zukunft hat. Das Vertrauen in das Schicksal ist eine Einstellung, die mit der Philosophie einhergeht, am letzten Tag einen Baum zu pflanzen. Gelehrt wird kein Fatalismus, sondern eine aktive Form des Daseins. Das Hoffen auf ein gutes Ende ist es, dass jedes Leben, das die religiöse Praxis ernst nimmt, prägt und auszeichnet. Mit diesem Geist treffen die Muslime in Deutschland auf eine verbreitete Stimmung, die häufiger mit einer pessimistischen Grundhaltung einhergeht.