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Sterbebegleiterin: „Man spendet Trost und gibt Rückhalt“

Ausgabe 311

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Foto: Photographee.eu, Shutterstock

(iz). Der Tod ist in dieser Welt die einzige ­Gewissheit, auf die sich alle Menschen verständigen können. Trotzdem ist er aus unseren westlichen Gesellschaften an den Rand gedrängt. Das hat unter anderem dazu geführt, dass wir kaum noch funktionierende Rituale für den Abschied aus dieser Welt haben. Hierzu sprachen wir mit der zertifizierten Sterbebegleiterin Gülcan Akyol. Sie spricht über dieses Ehrenamt, einen gesunden Umgang mit dem Tod und die Notwendigkeit des Empfindens. Das Interview führte Ahmet Aydin.

Islamische Zeitung: Sehr geehrte Frau Akyol, Sie sind zertifizierte Sterbe­begleiterin. Könnten Sie kurz sich und Ihr Ehrenamt vorstellen?

Gülcan Akyol: Ich habe diverse Ausbildungen unter anderem als Kauffrau für Büromanagement abgeschlossen. Ehrenamtlich bin ich als zertifizierte Sterbebegleiterin und Mentorin tätig. 

Als Sterbebegleiterin sorgt man dafür, dass die im Sterben liegende Person so begleitet wird, dass der Weg ins ewige Leben ein leichter wird. Dabei spendet man als Sterbebegleiter Trost, gibt Rückhalt und ist Ansprechpartner für individuelle Sorgen und Ängste. Sterbebegleiter nehmen die Angst vor Einsamkeit und sind nicht für die körperliche Pflege oder den Haushalt zuständig, sondern nur für die Seele des Sterbenden.

Islamische Zeitung: Fällt es Ihnen schwer, die Erfahrungen im Beruf aus Ihrem ­Privatleben zu halten?

Gülcan Akyol: Nicht mehr. Am Anfang fiel es mir schwer, weil ich nicht verstanden habe, dass die Bindung und Beziehung zur ­sterbenden Person eine andere ist. Es ist keine Freundschaft, denn beide Parteien wissen, wo die Reise hingeht. 

Islamische Zeitung: Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, als Sterbebegleiterin zu arbeiten?

Gülcan Akyol: Nicht ich habe mich dazu entschlossen, sondern Allah hat es mir möglich gemacht sozusagen. 2017 habe ich die Umra gemacht und hatte in meiner Gruppe eine Schwester, die sehr traurig war. Ich habe natürlich versucht, der Schwester zu helfen, indem ich mich empathisch ihr gegenüber gezeigt habe. Nach einem interessanten Gespräch konnte ich die Schwester beruhigen und wir haben gemeinsam gelacht. Das ist meinem Gruppenleiter aufgefallen. Daraufhin hat er mich gefragt, ob ich Interesse an einer Ausbildung als Sterbebegleiterin hätte. Ich habe zugesagt und es einfach auf mich zukommen lassen. Ich war mir am Anfang sehr unsicher, aber musste dann während meiner Ausbildung feststellen, dass es genau die richtige Entscheidung für mich war. 

Islamische Zeitung: Hat die Art und Weise, wie Menschen mit dem Tod umgehen, Ihren Blickwinkel auf den Tod verändert?

Gülcan Akyol: Nein, denn der Tod ändert sich nicht. Die Menschen müssen sich und ihren Blickwinkel zum Tod ändern. Alles auf dieser Welt ist unsicher, außer der Tod. 

Islamische Zeitung: Finden Sie, dass die Gesellschaft dem Tod als Realität zu wenig Aufmerksamkeit schenkt?

Gülcan Akyol: Definitiv. Viele von uns ­Leben so, als wären sie unsterblich, doch der Tod kann jederzeit eintreffen. Der Gedanke daran wird sofort ausgeblendet und das Thema sofort gewechselt. 

Islamische Zeitung: Haben Sie eine Vorstellung davon, wie ein gesunder Umgang mit dem Tod aussehen könnte?

Gülcan Akyol: Ich denke, dass ein offener Umgang mit dem Tod die Angst der Menschen etwas nehmen könnte. Wir sollten uns bewusst werden, dass das Leben hier nur eine Testphase ist und nicht das Ende des Spiels. Wir bereiten uns für eine Klausur vor, indem wir lernen und genauso sollten wir uns auf den Tod vorbereiten. Wenn das Leben das Ende wäre, so würde es keinen Tod geben.

Islamische Zeitung: Auf ihrem Instagram-Account, geben Sie an, eine hochsensible Person zu sein – können Sie ausführen, was das bedeutet? 

Gülcan Akyol: Hochsensibilität bedeutet Charakter mit besonderen Stärken, würde ich sagen. Wir nehmen äußere Reize intensi­ver wahr als andere. Hochsensibilität ist mit einer intensiven, erweiterten Wahrnehmung auf allen Sinneskanälen verknüpft.

Islamische Zeitung: Ist die Gesellschaft zu kalt geworden. Sind wir als Menschen zu unsensibel? Und haben Sie Ideen, wie man dem entgegenwirken kann?

Gülcan Akyol: Leider ja und ich denke, dass die Menschen mehr Liebe brauchen. Jeder ist bestrebt, etwas zu machen, aber viele Menschen vergessen, sie selbst zu sein. Es braucht Mitgefühl, Geduld und die Einsicht, dass das, was man selbst nicht möchte, dem ­anderen auch nicht zugefügt werden sollte. Ein kleiner Schritt, mit viel Wirkung.

Islamische Zeitung: Liebe Gülcan Akyol, wir bedanken uns herzlich für das ­Gespräch.