Appelle an die Kriegsparteien im Sudan sind bisher ungehört verhallt. Vor allem im Westen des Landes halten Gewalt und Menschrechtsverletzungen an. Der Krieg betrifft aber nicht nur die dortige Bevölkerung.
Khartum/Bonn (KNA) Es war ein Funken Hoffnung Anfang November. Möglicherweise kann ein Waffenstillstand zwischen den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) und der sudanesischen Armee (SAF) vermittelt werden, die seit April 2023 im Sudan für die größte humanitäre Katastrophe der Welt mit geschätzt mehr als 150.000 Toten verantwortlich sind. Doch danach sieht es vor allem in der Region Nord-Darfur und der Regionalhauptstadt El Fasher nicht aus.
Sudan: Flüchtlinge, Verschwörungstheorien und Unverständnis
Am Morgen des 14. November sagte UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk die Gräueltaten stellten schwerste Verbrechen dar und hätten verhindert werden können. Seit Wochen berichten Hilfsorganisationen über Flüchtlingsströme, über Menschen, die hungern oder in El Fasher festsitzen.

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Sheldon Yett, Sondergesandte des Kinderhilfswerks Unicef für den Sudan, zog in einem „Spiegel“-Interview bereits eine Parallele zum Völkermord in Ruanda vor 31 Jahren. Vieles erinnere daran, etwa die „Freude am Töten“. Doch nicht nur das. Die Sorge, dass sich die Gewalt in die Nachbarländer ausbreitet, ist da.
Davor warnte jetzt Sudans Ministerpräsident Kamil Idris, der seit Ende Mai im Amt ist und sich bisher kaum geäußert hat. Dem Sender Al-Dschasira sagte er, die RSF müsse als Terrorgruppe eingestuft werden, da sie die Sicherheit und Stabilität Afrikas und der ganzen Welt gefährde.
Nachbarländer sind selbst fragil
Das südliche Nachbarland Südsudan, das 2011 nach einem langen Krieg vom Sudan unabhängig wurde, zählte bis November gut 1,2 Millionen aus dem Sudan Geflüchtete; darunter aber auch Rückkehrer, also Südsudanesen, die vor dem dortigen Bürgerkrieg (2013-2020) in den Sudan geflohen waren. Der Südsudan ist selbst fragil, und gerade im Frühjahr kam es immer wieder zu Kämpfen und politischen Auseinandersetzungen.
Nach Einschätzung von Jan Pospisil vom Centre for Peace and Security der englischen Coventry University gibt es zwar Verbindungen zwischen den politischen Gruppierungen im Südsudan und beiden Kriegsparteien RSF und SAF.
Dass sich die Kämpfe in Richtung Süden ausweiten, sieht Pospisil, der zu Friedensprozessen forscht, aber nicht. Regierung wie Opposition im Südsudan würden sich weitgehend neutral verhalten. „Der Südsudan hat seine eigenen Konfliktlinien. Der Krieg im Sudan wird als ein ‘Krieg im Nachbarland’ bewertet“, sagt Pospisil der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Gleichwohl ist auch im Südsudan die Lage angespannt, was in Verbindung mit dem Krieg steht. Dazu tragen auch die SAF bei: Immer wieder warfen sie den Südsudanesen vor, die RSF zu unterstützen.
Sichtbar ist der Krieg im nördlichen Nachbarland außerdem; denn längst seien in der Hauptstadt Juba auch wohlhabende Flüchtlinge angekommen, so Pospisil. Im Januar kam es bereits zu gewaltsamen Ausschreitungen. Geschäfte wurde geplündert und Menschen mit vermeintlich sudanesischem Aussehen angegriffen.
„Das hat die Regierung nervös gemacht.“ Auslöser war ein international verurteilter Angriff im sudanesischen Bundesstaat Gezira von SAF-Verbündeten auf das Dorf Tayba. Unter den 26 Opfern waren auch Südsudanesen.
„Die Ausschreitungen zeigen, dass es Potenzial für Spannungen gibt“, sagt Pospisil. Viele Sudanesen seien als Inhaber kleiner Geschäfte in Juba tätig. Das führe zu Eifersüchteleien und Verschwörungstheorien. So werde behauptet, Inhaber würden gezielt nur an Sudanesen vermieten.
Der Tschad mischt mit
Wie instabil der Sudan nicht erst seit dem Ausbruch des aktuellen Krieges ist, zeigt der Osten des Tschad, wo Flüchtlinge aus Darfur seit Jahrzehnten zum Alltag gehören.
Mit dem Darfur-Krieg, der 2003 begann, kamen Hunderttausende ins Nachbarland. Mittlerweile lebt eine zweite Generation dort, und in Camps haben sich längst Parallelstrukturen entwickelt.
Neu ist jedoch: „Es besteht die große Sorge, dass die Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in den Tschad übertragen werden. Schließlich leben die verschiedenen Gruppen hier auch. Konflikte könnten sich vor allem zwischen Jugendlichen entzünden“, sagt Helga Dickow, Politikwissenschaftlerin und Tschad-Expertin am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg, der KNA.

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Bei Schulhofprügeleien würden Jugendliche deshalb sofort nach Hause geschickt werden, auch in der Hauptstadt N’Djamena, die Hunderte Kilometer westlich der sudanesischen Grenze liegt.
Denn Erinnerungen wirken bis heute nach: „Der Bürgerkrieg im Tschad begann im Jahr 1979 so. Damals prügelten sich Schüler aus dem Norden und dem Süden. Es war das Zündholz für den Bürgerkrieg“, so Dickow.
Das könnte heute leicht wieder auf fruchtbaren Boden fallen, befürchtet die Expertin. Denn die Bevölkerung sei verarmt und unter der autoritären Herrschaft Mahamat Débys zunehmend frustriert. Dieser ist der Sohn des 2021 verstorbenen Langzeitherrschers Idriss Déby.
Auch spielt die ethnische Zugehörigkeit im aktuellen Krieg eine Rolle. UN-Hochkommissar Türk kritisierte schon im Januar ethnisch motivierte Gewalt der RSF und verbündeter arabischer Milizen gegen afrikanische ethnische Gruppen, insbesondere die Zaghawa und die Fur. Aktuell von der Gewalt betroffen seien auch die Masalit, sagt Dickow. „Die Brutalität ist ein großes Gesprächsthema.“
Denn im Tschad stehen Zaghawa an der Staatsspitze. Präsident Déby ist halb Zaghawa, halb Gorane. Berichte über Unterstützung durch Déby in Form von Waffen- und Treibstofflieferungen an die RSF stoßen bei der Bevölkerung im Tschad auf Unverständnis, sagt Dickow. „Denn damit werden die eigenen Verwandten abgeschlachtet“, sagt Dickow.
Eine Erklärung für das Verhalten von Déby: Druck von außen. Als große RSF-Unterstützer gelten die Vereinigten Arabischen Emirate. Als Grund dafür wird oft das Gold genannt.
Nach Einschätzung Pospisils wollen die Araber aber vor allem Nahrungsmittelsouveränität erreichen. „In Nachbarländern wie Äthiopien und Somalia haben sie bereits fruchtbares Land aufgekauft.“ Und das gibt es auch in Darfur.