Berlin/Damaskus (GFP.com/iz). Die Bundesregierung verstärkt ihr Dringen auf einen raschen Aufbau staatlicher Strukturen in den von Aufständischen kontrollierten Regionen Syriens. Man müsse die „moderaten Kräfte“ dort stärken und den „Wiederaufbau“ nun mit aller Entschlossenheit vorantreiben, erklärt das Auswärtige Amt.
Hintergrund sind umfassende Einflussgewinne vor allem „militant islamistischer Milizen“, darunter Jabhat al Nusra, ein Verband, der inzwischen mit Al Qaida im Irak verbündet ist [was von Teilen der Führung zurückgewiesen wurde, Anm. der Red.]. Die engen Verbindungen in das Nachbarland erleichtern es Jabhat al Nusra, die Mehrheit der syrischen Ölquellen zu kontrollieren, von denen der überwiegende Teil unweit der Grenze zum Irak gelegen ist.
Berichten zufolge finanzieren sich die „militant islamistischen Milizen“ in wachsendem Maß über die Ausbeutung der Erdölvorräte, die inzwischen auch andere Fraktionen der syrischen Aufständischen unter ihre Kontrolle zu bringen versuchen. Der Beschluss der EU, ihr Erdöl-Embargo gegenüber den nicht militant, „moderaten“ Aufstandsfraktionen jetzt aufzuheben, ist geeignet, diese stärker als bisher gegen Jabhat al Nusra und ähnliche Vereinigungen in Stellung zu bringen. Dies wiederum heizt den Bürgerkrieg zwischen den Rebellengruppierungen an.
Einer der größten Geber
Mit der Zusage neuer Millionensummen für die Aufständischen setzen die Bundesrepublik sowie ihre westlichen Verbündeten ihre Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg fort. Allein Washington hat zugesagt, seine Hilfen für die Aufständischen auf eine Viertel-Milliarde US-Dollar zu verdoppeln. Damit sollen neben humanitären Leistungen auch Kommunikationsgerätschaften sowie – erstmals offiziell – so genannte „nicht-tödliche Militärausrüstung“ finanziert werden.
Deutschland hat ebenfalls zugesagt, mehr Mittel als bisher zur Verfügung zu stellen; insgesamt sollen sie sich bislang auf 145 Millionen Euro belaufen. Berlin besteht darauf, dass mit dem Geld keine Waffen bezahlt werden – eine im Rahmen der innerwestlichen Aufgabenteilung zu beurteilende Behauptung, denn deutsche Leistungen etwa zur Flüchtlingshilfe ermöglichen es anderen Staaten, ihre Finanzmittel stärker auf die Bezahlung aufständischer Milizen zu fokussieren. Die Bundesrepublik sei einer der „größte(n) Geber“, heißt es im Auswärtigen Amt. Politisch schließt sich Berlin dabei in vollem Umfang der Unterstützung der Aufständischen an.
Humanitäre Hilfe
Dabei ist der Westen zunehmend damit konfrontiert, dass „militant-antiwestliche Islamisten“ die der Regierung entrissenen Gebiete kontrollieren. Häufig würden sie von den Einwohnern toleriert, weil diese befürchteten, die syrische Bürgerkriegsgesellschaft könne ohne die Herrschaft der „militanten Islamisten“ gänzlich ins Chaos abgleiten, heißt es in Berichten; eine Argumentation, wie sie schon lange aus Afghanistan und Teilen Somalias bekannt ist.
Dabei räumen, heißt es, EU-Diplomaten mittlerweile offen ein, dass der Westen die Gesamtheit der so genannten „humanitären Hilfe“ zu politischen Zielen nutzt: Man delegiere die Verteilung von Hilfslieferungen ganz gezielt an prowestliche Aufständische, um die Bevölkerung für sie einzunehmen („win hearts and minds”). Auf diese Weise kaufe man ihnen – ungeachtet ihrer notorischen Zerstrittenheit – die „Legitimität”, die sie brauchten, um alternative Regierungsstrukturen aufzubauen. Die bislang dazu verwendeten Mittel werden auf eine Summe von 790 Millionen Euro beziffert.
Erdöl
Um die westlichen Staatskassen so bald wie möglich zu entlasten, hat die EU bereits in der vergangenen Woche – mit deutscher Zustimmung – beschlossen, das seit rund eineinhalb Jahren geltende Erdöl-Embargo gegen Syrien teilweise aufzuheben. Demnach soll es weiterhin nicht der Regierung, von nun an aber den Aufständischen gestattet sein, Erdöl nach Europa zu exportieren. Mit den Erlösen könnten sie Maßnahmen zum „Wiederaufbau“ in den von ihnen kontrollierten Gebieten bezahlen, heißt es zur Begründung. Allerdings herrscht in den westlichen Regierungszentralen beträchtliche Skepsis, ob dies tatsächlich gelingen kann.
Exporte und Pipelines
Die Ursache dafür liegt weniger in den Besonderheiten der syrischen Erdölwirtschaft. So haben die Aufständischen inzwischen zwar zahlreiche Ölquellen unter ihre Kontrolle gebracht – in Berichten ist von bis zu 90 Prozent der Vorkommen die Rede. Dass die zwei Raffinerien Syriens – in Homs und in Banyas – noch von Regierungstruppen gehalten werden, müsste den Rohöl-Export nicht stören. Auch die Tatsache, dass nach Berechnung der Bundesagentur für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) die Bedeutung des syrischen Öls nicht überschätzt werden sollte, stünde der Ausfuhr auch geringerer Mengen nicht im Wege. Wie die BGR im September 2011 berichtete, als das Embargo gegenüber Syrien vorbereitet wurde, war die Bundesrepublik zwar noch wichtigster Abnehmer syrischen Öls.
Doch hieß es bereits damals, die Förderung gehe erkennbar zurück; auf der Rangliste der globalen Ölreserven liege Syrien nur auf Platz 33 und benötige zudem immer größere Mengen für den eigenen Verbrauch. Man müsse sich auf ein Ende der Importe aus Syrien einstellen. Langfristig von Bedeutung, urteilte die BGR damals, könnten allenfalls die Pläne in Damaskus sein, das Land durch den Bau von Pipelines beispielsweise aus Ägypten und Irak nach Europa zum „oll and gas hub“ zu entwickeln. An die Realisierung dieser Pläne, die für die EU höchst vorteilhaft wären, ist jedoch erst nach einem Ende des Bürgerkriegs zu denken.
Modell Irak
Problematischer als die langfristig wohl beschränkte Menge der syrischen Erdölexporte ist allerdings, dass der Kampf um den Zugriff auf die Quellen mittlerweile die ohnehin zersplitterten Fraktionen der Aufständischen in neue kriegerische Auseinandersetzungen führt. Syriens Ölquellen liegen im Osten des Landes, zu erheblichen Teilen in der Provinz Dair al Zur an der Grenze zum Irak. Viele von ihnen werden gegenwärtig von der militant islamistischen Jabhat al Nusra kontrolliert, die mit Al-Qaida im Irak kooperiert. „Sie haben die syrische Wirtschaft in ihrer Hand, und sie sind sehr stark“, heißt es in der Region über Jabhat al Nusra, die schon längst begonnen haben soll, Öl zu verkaufen und sich mit den Erlösen zu finanzieren.
Ostsyrische Stammesmilizen beginnen sich gegen sie aufzulehnen und versuchen selbst die Ölfelder zu übernehmen; es kommt zunehmend zu blutigen Kämpfen zwischen Jabhat al Nusra und anderen Aufständischen. Dabei bemühen sich die Kräfte der Freien Syrischen Armee (FSA) um besondere Hilfen aus dem Westen: Man wolle den „militanten Islamisten“ diese Einnahmequellen streitig machen, äußert FSA-General Salim Idriss. Aufgrund der Stärke von Jabhat al Nusra ist mittlerweile vom gezielten Aufbau einer bewaffneten Bewegung aus Stammesmilizen die Rede, die die Al Qaida-Strukturen systematisch zerschlagen soll – nach dem Modell der US-Operationen, die vor einigen Jahren im Irak in die Wege geleitet wurden.