Syrien hat sich verschlechtert: Geograf Jörn Birkmann zum Weltrisikobericht 2014

Bonn/Berlin (KNA). Zum vierten Mal stellen das „Bündnis Entwicklung Hilft“ und UN-Experten den Weltrisikobericht vor. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Länder in besonderer Weise den Folgen von Umwelteinflüssen und Naturkatastrophen ausgesetzt sind. Ein eigener Teil ist diesmal der Situation in den Städten gewidmet. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert Mitautor Jörn Birkmann von der UN-Universität in Bonn, warum es wichtig ist, sich mit der Situation in den urbanen Räumen der Welt zu beschäftigen.

KNA: Herr Birkmann, für den Weltrisikoindex 2014 haben Sie die Situation in den Städten unter die Lupe genommen. Worum ging es da genau?

Birkmann: Uns ging es darum, herauszufinden, inwiefern urbane Räume eines Landes im Vergleich zu Städten eines anderen Landes beispielsweise auf Stürme, Überflutungen oder Erdbeben vorbereitet sind. Es war also nicht Ziel, eine einzelne Megacity wie Mexico-Stadt einer Metropole wie Kalkutta in Indien gegenüberzustellen.

KNA: In den Städten welchen Landes lebt es sich denn eher unsicher?

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Birkmann: Dies kann man so generell schlecht sagen. Uns hat beispielsweise überrascht, dass Costa Rica mit seinen Städten in dieser speziellen Rangliste von Risiken in urbanen Räumen auf Platz eins lag, obwohl das Land bei den Fähigkeiten zu Bewältigung von Naturgefahren und seinen Kapazitäten zur Anpassung recht gut da steht.

KNA: Man spricht ja auch von der Schweiz Mittelamerikas.

Birkmann: Was aber offenbar für die Risikoanfälligkeit der Städte nicht unbedingt gilt. Das mag damit zusammenhängen, dass Costa Rica viel Küstenfläche hat und die urbanen Räume zudem recht exponiert gegenüber weiteren Naturgefahren wie Erdbeben sind. Konkret sind mehr als 17 Prozent der urbanen Bevölkerung potenziell jährlich diesen Naturgefahren – insbesondere Erdbeben – ausgesetzt. Ein klassischer Fall folgt dann aber schon auf Rang zwei: die Philippinen.

KNA: Inwiefern klassisch?

Birkmann: Die Philippinen sind ein Inselstaat und werden regelmäßig von Naturgefahren wie tropischen Wirbelstürmen heimgesucht. Hinzu kommt: Das rasante Wachstum der Städte dort ist nicht unbedingt an einen wirtschaftlichen Aufschwung gekoppelt.

KNA: Der Aufschwung kann doch noch kommen.

Birkmann: Solange beide Entwicklungen auseinanderklaffen, haben Sie aber eine ganze Reihe von Problemen: Das fängt an bei Mängeln in städtischen Infrastrukturen und reicht bis zu einer schlechten Gesundheits- und Sanitärversorgung, einer hohen Armutsrate und steigenden Umweltbelastungen gerade in urbanen Räumen. Um sich das anzuschauen, genügt ein Gang in die vielen informellen Siedlungen solcher Städte.

KNA: Also in die Slums und Favelas.

Birkmann: Nicht nur. Wir sprechen von informellen Siedlungen immer dann, wenn es keine Eigentumstitel für die Grundstücke gibt, auf denen die Menschen ihre Häuser oder Hütten bauen. Wenn es dann zu einer Naturkatastrophe kommt, verlieren diese Stadtbewohner meist nicht nur ihr komplettes Hab und Gut – sondern haben auch keinen Zugang zu staatlichen Geldern für den Wiederaufbau. Weil sie kein eigenes Land nachweisen können, auf dem der Wiederaufbau des Hauses durchgeführt werden kann.

KNA: Der Grad an Urbanisierung ist also nicht gleichbedeutend mit dem Maß an Entwicklung oder Risiko.

Birkmann: Das ist ein wichtiges Ergebnis unserer diesjährigen Studie. Besonders gut lässt sich dies in Afrika beobachten, wo immer mehr Menschen vom Land in die Städte ziehen. Der Grad der Urbanisierung ist dort gering, das Wachstum der Städte aber schnell und massiv – mit entsprechenden Folgeproblemen.

KNA: Was sind die Schlussfolgerungen für Entwicklungshilfe und -politik?

Birkmann: Angesichts der Tatsache, dass bis zum Jahr 2050 zwei von drei Menschen weltweit in Städten leben werden, sollten wir ein stärkeres Augenmerk auf die Situation in den urbanen Räumen legen. Und zwar nicht nur auf die Megacities, sondern auch auf die Klein- und Mittelstädte, deren Wachstum noch steuerbar ist und die zum Motor von Wachstum und Entwicklung werden können – aber eben auch zum Motor von Risiken.

KNA: Wie kann es konkret gelingen, Risiken zu vermeiden?

Birkmann: In Afrika würde es mancherorts schon reichen, dass man die Hauptzufahrtsstraßen nicht in tiefliegenden Flusstälern baut. An solchen Hauptverkehrsadern bilden sich informelle Siedlungen am schnellsten. Die sind dann als erste betroffen, wenn der Fluss über die Ufer tritt. Wobei ich gleich hinzufüge: Das Problem sind nicht nur die informellen Siedlungen.

KNA: Sondern?

Birkmann: Auch vermeintlich segensreiche Großprojekte – Tiefseehäfen in Vietnam oder Flughäfen in Indonesien – und auf schnelles Wachstum zielende Stadtentwicklungsstrategien in Risikoräumen sind vielfach mit einer Konzentration von Risiken verbunden statt mit ihrer Reduzierung.

KNA: Haben Sie den Eindruck, dass über solche Dinge auf internationaler Ebene nachgedacht wird?

Birkmann: Es gibt einen Wandel. In den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN, die 2015 den Millenniumszielen nachfolgen sollen, sind auch die Probleme in Städten ausdrücklich mit eingeschlossen. Der Calderon-Report, der zufälligerweise zeitgleich mit diesem Weltrisikoindex vorgestellt wird, beschäftigt sich ebenfalls mit der Rolle von Städten als wichtigen Akteuren im Bereich Klimaanpassung und Risikominderung.

KNA: Abschließend noch eine Frage zum allgemeinen Weltrisikoindex: Inwiefern beeinflussen die zahlreichen Krisen und Kriege rund um den Globus die Rangliste der Länder?

Birkmann: Da wir insgesamt 21 Bereiche mit zahlreichen Faktoren in unser Kalkül ziehen, wird es wohl etwas dauern, bis sich Erscheinungen wie die islamistischen Terrorgruppen Boko Haram in Nigeria oder Islamischer Staat im Nordirak negativ im Ranking bemerkbar machen. Aber Syrien, um ein Beispiel zu nennen, hat sich definitiv verschlechtert.