Syriens Rebellen in der Klemme. Gemäßigten Kräften droht das Aus

In Nordsyrien werden die Regimegegner gleichzeitig von der Regierung und der IS-Terrormiliz attackiert. Sie könnten bald Aleppo und das Umland verlieren. Der Westen müsse schnell handeln, fordern Experten.

Damaskus (dpa). Marea ist keine Stadt, die es in der syrischen Geschichte bislang zu Berühmtheit gebracht hätte. Ein unscheinbarer Ort im Norden Syriens, in dem die Menschen von Landwirtschaft und Handel leben. Mehr als 40.000 Einwohner zählte Marea einst – doch das ist lange vorbei. Der Bürgerkrieg hat große Schäden in dem Ort hinterlassen. Jetzt verkörpert Marea die dramatische Lage derjenigen Syrer, die sowohl gegen das Regime als auch gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfen. Denn beide Feinde nehmen Marea seit Wochen unter Beschuss.

Die syrische Luftwaffe fliegt regelmäßig über die Stadt und lässt ihre Bomben fallen. Gleichzeitig ist von Osten her die IS-Terrormiliz immer näher an Marea herangerückt. Immer wieder stoßen dort deren Kämpfer mit anderen Rebellengruppen zusammen. «Fast alle Familien haben Marea verlassen», erklärt ein syrischer Aktivist aus der Region. «Die Menschen haben große Angst.» Fast täglich beschieße die IS-Terrormiliz die Stadt mit Artillerie.

Marea besitzt einen großen strategischen Wert. Die Stadt gilt als Hochburg der „Islamischen Front“, einem Bündnis verschiedener radikalerer Rebellengruppen. Zugleich liegt sie in der Nähe einer wichtigen Versorgungsroute, über die die Regimegegner in der nahe gelegenen Metropole Aleppo Nachschub aus der Türkei erhalten. Die Rebellen haben viele Kämpfer in Marea zusammengezogen. Sollte die Stadt trotzdem unter IS-Kontrolle fallen, wäre wohl der Weg für die Extremisten frei, die Versorgungsroute zu kappen.

Das hätte dramatische Auswirkungen auf den Bürgerkrieg in Syrien. Ohne Nachschub aus der Türkei wäre die Lage der Rebellengruppe in Aleppo hoffnungslos. Die Stadt ist ein Symbol für den Widerstand gegen das Regime. Wie Marea wird sie sowohl von der syrischen Armee als auch von der IS-Terrormiliz attackiert. «Die Stadt ist entscheidend für die militärische Lebensfähigkeit und die Moral der Mainstream-Opposition», heißt es in einem Bericht der International Crisis Group. «Wenn Aleppo fällt, stirbt auch der syrische Aufstand.»

In Marea und Aleppo zeigt sich das ganze militärische Dilemma der Rebellen. Ihnen fehlt es in erster Linie an Waffen. Während die IS-Extremisten mit modernen gepanzerten Fahrzeugen und Artillerie anrücken, haben ihre Gegner nur das, was sie vom Regime erbeutet haben. Manche Ausrüstung hätten sie auf dem Schwarzmarkt gekauft, erklärt der Aktivist. Panzerbrechende Waffen hätten sie kaum.

Ähnlich sieht es in Aleppo aus. Die Rebellen, die dort kämpfen, sind zwar gemäßigter als der IS. Weil es sich aber dennoch um teils radikalere islamistische Gruppen wie die Islamische Front handelt, will der Westen ihnen keine Waffen geben.

So profitieren sie auch nicht von Panzerabwehrraketen, die seit einigen Monaten mit Segen der US-Regierung über die Türkei an gemäßigte Rebellen vor allem der Freien Syrischen Armee (FAS) geliefert werden. Die Ankunft der Raketen sei symbolisch wichtig gewesen, sagte der Syrien-Experte der Brookings Institution in Doha, Charles Lister. Die militärische Lage haben sie aber bislang nicht entscheidend zugunsten der gemäßigten Kräfte verbessert.

So könnte sich der Bürgerkrieg in Syrien, der 2011 als Aufstand für mehr Freiheit und Demokratie begann, bald in einen Zweikampf zwischen dem Regime und der IS-Terrormiliz verwandeln. Dann gäbe es kaum noch eine Kraft, die der Westen aufrüsten kann, um die IS-Dschihadisten am Boden zurückzuschlagen. Die International Crisis Group warnt deshalb: Wer den Fall Aleppos verhindern wolle, müsse schnell handeln.