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Breivik erneut vor Gericht

Breivik Massenmord

Niemand hat in der norwegischen Nachkriegsgeschichte so schwere Verbrechen begangen wie der Utøya-Attentäter Anders Behring Breivik. Nun will der 45-Jährige vorzeitig auf freien Fuß kommen. 

Oslo (dpa). Mit einer Bombe im Osloer Regierungsviertel und einem Massaker unter jungen Menschen auf der Insel Utøya riss der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik ein tiefes Loch in die norwegische Seele. Mehr als 13 Jahre später ringen Überlebende und Angehörige der 77 Todesopfer noch immer mit den Folgen der Anschläge, während der Täter nordwestlich von Oslo im Gefängnis sitzt. Dort lässt er heute und in den kommenden beiden Tagen erneut prüfen, ob er vorzeitig unter Auflagen auf freien Fuß kommen kann. Worum geht es – und wie stehen seine Chancen, wirklich freizukommen? 

Wofür wurde Breivik verurteilt? 

Für die schwersten Gewalttaten, die Norwegen in seiner bisherigen Nachkriegsgeschichte erlebt hat. Am 22. Juli 2011 zündete der damals 32-Jährige zunächst eine Autobombe im Regierungsviertel von Oslo und tötete dabei acht Menschen. Danach fuhr er auf die nahegelegene Insel Utøya, wo er ein Massaker unter den Teilnehmern des jährlichen Sommerlagers der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei anrichtete. 69 überwiegend jüngere Menschen wurden auf Utøya getötet. 

Breivik, der heute 45 Jahre alt ist und sich Fjotolf Hansen nennt, begründete seine Taten mit rechtsextremen und islamfeindlichen Motiven. Im Sommer 2012 wurde er zu der höchsten Strafe verurteilt, die die norwegische Rechtsprechung damals kannte: 21 Jahre Sicherheitsverwahrung mit einer Mindestdauer von zehn Jahren. 

Nur 21 Jahre Gefängnis für die Tötung von 77 Menschen? 

Die 21 Jahre Verwahrung mögen zwar den Eindruck erwecken, dass der Attentäter spätestens nach ebendiesen 21 Jahren aus dem Gefängnis kommen wird. Doch gemäß der norwegischen Gesetzgebung bedeutet Verwahrung im Gegensatz zu einer normalen Haftstrafe, dass seine Zeit hinter Gittern immer wieder um fünf Jahre verlängert werden kann, sofern Gerichte Sorge tragen, dass von dem Verurteilten weiterhin eine erhebliche Gefahr ausgeht. 

Theoretisch könnte Breivik also bis zu seinem Tod hinter Schloss und Riegel bleiben. Nach Ablauf der Mindestdauer hat er aber auch die Möglichkeit erhalten, seine vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung zu beantragen – wird sein Antrag abgewiesen, darf er es theoretisch ein Jahr nach dieser Ablehnung direkt wieder versuchen. 

Worüber wird nun verhandelt? 

Der Rechtsterrorist hat bereits Anfang 2022 – nach Ablauf der besagten Mindestdauer – gerichtlich prüfen lassen, ob er vorzeitig freikommen kann. Die Richter des damals zuständigen Amtsgerichts Telemark wiesen das einstimmig ab und begründeten dies damit, dass sie Breivik weiterhin für gefährlich halten. Er habe Verbrechen begangen, die in der norwegischen Rechtsgeschichte beispiellos seien, und vertrete weiterhin dieselben ideologischen Standpunkte wie 2011, urteilten sie. Das Gericht sah keine Zweifel daran, dass er immer noch in der Lage ist, neue schwere Verbrechen zu begehen. 

Nun versucht es Breivik erneut. Dabei steht vor Richtern des Amtsgerichts von Ringerike, Asker und Bærum genau dieselbe Frage im Zentrum wie 2022: Stellt der verurteilte Massenmörder nach wie vor eine Gefahr für die Gesellschaft dar und besteht das Risiko, dass er auf freiem Fuß erneut schwere Straftaten begeht? 

Wie stehen Breiviks Erfolgsaussichten? 

Nach wie vor schlecht. Staatsanwältin Hulda Olsen Karlsdottir hält Breivik für genauso gefährlich wie vor und während der Terroranschläge vom 22. Juli 2011. Die Leitung des Gefängnisses Ringerike, in das er 2022 verlegt wurde, vertritt denselben Standpunkt wie sie.

Alles beim Alten also? Nicht unbedingt: Erstmals seit seinem Prozess 2012 wurde Breivik von neuen rechtspsychiatrischen Sachkundigen untersucht, die vor Gericht am Mittwoch ihren mehr als 100 Seiten langen Bericht vorlegen werden. Breiviks Verteidiger Øystein Storrvik setzt seine Hoffnungen darauf, dass dieser Bericht diesmal nicht von internen Psychiatern und Psychologen des Vollzugswesens stammt, sondern von externen Sachkundigen. 

Wie wird sich Breivik inszenieren? 

Bei früheren Gerichtsauftritten war es Breivik um Aufmerksamkeit und Beachtung gegangen. Immer wieder hatte er vor Gericht den Hitlergruß und andere rechtsextreme Gesten und Botschaften gezeigt und von sich gegeben. Anfang 2024 hatte er in einem anderen Fall, in dem er den norwegischen Staat wegen Verstoßes gegen seine Menschenrechte verklagt hat, dann im Zeugenstand plötzlich geweint. Und diesmal? Bleibt abzuwarten. Sein Verteidiger Storrvik sagte der Nachrichtenagentur NTB, dass er weder wisse noch voraussagen könne, wie Breivik am Dienstag vor Gericht erscheinen werde. 

Wann fällt ein Urteil? 

Das ist noch unklar. Nach dem ersten Breivik-Antrag auf vorzeitige Haftentlassung hatte es fast zwei Wochen gedauert, bis das zuständige Gericht sein Urteil verkündet hatte. 

Presseerklärung der Schura Niedersachsen

(Schura Niedersachsen). Nach dem Brandanschlag auf eine pakistanische Al-Ummah-Moschee in Hannover vom 28. Mai ist nun eine Moschee in Delmenhorst am 2. Juni mitternachts Ziel eine Feuerattacke geworden. Beide Brände konnten rechtzeitig entdeckt und gelöscht worden. Die Polizei bzw. Beamte des Staatsschutzes ermitteln in beiden Fällen wegen vorsätzlicher Brandlegung. Auch soweit es kein Bekennerschreiben gibt, schließen die Ermittlungsbehörden nicht aus, dass die Täter aus einem politischen oder rechtsextremistischen Motiv handelten. Beide Moscheen sind Mitglied im Landesverband der Muslime – Schura Niedersachsen – der einen friedfertigen und an harmonischem Miteinander orientierten religiösen Weg vertritt. Diese Taten verurteilt Schura Niedersachsen auf das Schärfste.

Seit über zehn Jahren werden muslimische Gemeinden in Deutschland regelmäßig zum Ziel von antimuslimischer Beschmierungen, versuchter Brandstiftungen und anderer Übergriffe oder Schändungen ihre Einrichtungen; mehr als 200 solcher Straftaten hat der Koordinationsrates der Muslime in Deutschland registriert. Bisher erfassen die Sicherheitsbehörden diese nicht gesondert. Dieser Trend setzt sich bis heute fort. Islamfeindlichkeit kann genauso wenig wie Antisemitismus einfach unter „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Hassdelikte“ subsumiert werden, sondern muss – gerade wegen seines fortbestehenden Charakters – als ebenso eigenständiger Tatbestand gewertet werden.

Wir sehen hier eine Herausforderung für den niedersächsischen Innenminister Schünemann. Gerade er hat in Niedersachsen mit den vor aller Augen über Jahre durchgeführten, aber gleichwohl verfassungswidrigen „verdachtsunabhängigen Moscheekontrollen“ für eine antimuslimische Stimmung in unserem Bundesland gesorgt. Schura Niedersachsen vertritt niedersächsische Bürger. Die Islamischen Religionsgemeinschaften sitzen seit Jahren gemeinsam mit den Niedersächsischen Sicherheitsbehörden an einem Tisch. Wir erwarten von unserem Innen­minister, dass er sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln für die Aufklärung und Ahndung solcher Brandanschläge einsetzt und persönlich vor Ort dies den betroffenen Gemeindemitgliedern zusichert.

Bis dahin kann Schura Niedersachsen seinen bald 90 Gemeinden nur raten: Haltet die Außentüren abgeschlossen, lasst – auch wenn es warm ist – die Erdgeschossfenster zu, seid wachsam, investiert in Sicherheitstechnik; und beteiligt euch zusammen mit Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und anderen in Initiativen und Kampagnen gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit! Hass und Gewalt darf niemals wieder in der Mitte der Gesellschaft geduldet werden – und auch nicht an ihren Rändern.

Dass sich die Publizistin Ayaan Hirsi Ali massiv im Ton vergreifen darf, bleibt merkwürdig unbeachtet. Ein Kommentar von Sulaiman Wilms

„Die Feier in der Springer-Akademie wirkte wie das Ritual einer verschworenen Gemeinde, die der ‘Freiheit’ und der ‘Verteidigung des Westens’ huldigt als wären dies Glaubensprinzipien einer obskuren Religion und Ayaan Hirsi Ali deren Hohepriesterin. Dass diese Freiheitsgemeinde aus der Tradition der Aufklärung, der zu folgen sie vorgibt und als deren Feind sie den Islam ausgemacht hat, längst ausgeschert ist, scheint sie nicht zu merken.“ (Cicero, 18. Mai 2012)

(iz). Der Skandal ist Teil des medialen Betriebs und seiner Aufmerksamkeitszyklen. Sich an ihm beteiligen zu wollen oder ihn gar zu betreiben, ist ungefähr so sinnvoll, wie zu glauben, man könne Einfluss auf die Gezeiten nehmen. Wie der mediale Skandal funktioniert, lässt sich am Streit um das „Gedicht“ von Günter Grass zu erkennen.

Genauso ärgerlich wie die Dramaturgie des Skandals ist es aber aber ebenso, wenn wirklich skandalträchtige Themen beziehungsweise Vorgänge nicht berichtet werden. In beiden Situationen muss die Frage gestellt werden, wer sie betreibt und wer von ihr profitiert.

Stellen wir uns den hypothetischen (und höchst unwahrscheinlichen) Fall einer öffentlichen Person vor, die von einem hochrangigen – und einflussreichen – Medienkonzern mit einem Preis ausgezeichnet würde. Bei seiner Rede würde unser hypothetischer Preisträger dann den real existierenden Terrorismus im Nahostkonflikt verstehend – und im Grunde wohlwollend – erklären und apologetisch in sein Weltbild einordnen. Danach würde die Rede der Person unter lautem Applaus von den anwesenden Gästen aufgenommen werden. Kein Widerstand regt sich. Wir können davon ausgehen, dass dies ausreichend Munition für einen handfesten Skandal wäre.

Wer glaubt, dies ist bloße Spinnerei, der irrt. Es ist einem Beitrag im „Cicero“ zu danken, der bisher als einziges deutsches Massenmedien auf einen solchen Vorgang aufmerksam machte. Anlässlich des 100. Geburtstags von Axel Springer, dem Gründer des gleichnamige Medienimperiums mit seinem Flaggschiff „Bild-Zeitung“, ehrte das Medienkonglomerat die niederländisch-somalische Aktivistin Ayaan Hirsi Ali mit einem „Ehrenpreis“.

Dass von ihr, die einmal im Dienst einer der neokonservativen Denkfabriken in den USA stand, sicherlich keine ausgewogenen oder differenzierenden Ansichten zu erwarten sind, ist klar. Aber selbst Beobachter, die so manches von ihr gewohnt sind, sollten sich von ihrer Dankesrede überraschen lassen.

Wie viele der handelsüblichen Verschwörungstheorien irrlichtet Ali über eine Koalition aus stillen Verbündeten, die die ungebremste Ausbreitung „des freiheitsbedohenden Islams in Europa“ (so „Cicero“) ermöglichen würden. Für sie seien diese Personen „advocates of silence (Anwälte des Schweigen)“. Soweit bewegte sie sich – noch – im islam-kritischen Milieu Europas, obwohl dies natürlich ein klassisch rechter Topos ist.

„Ausdrücklich macht Hirsi Ali sich in ihrem Vortrag die Argumentation des norwegischen Massenmörders Anders Breivik zu eigen, der im Juli vergangenen Jahres 77 Menschen, meist junge Mitglieder der norwegischen Sozialdemokraten, niedermetzelte, um gegen den Vormarsch des Islam in Europa zu protestieren“, setzte „Cicero“ seine Beschreibung des Events fort. Hirsi Ali habe sich direkt auf Breiviks Manifest bezogen. Breivik sage, „weil alle Möglichkeiten, seine Ansichten öffentlich kundzutun, zensiert worden seien, habe er keine andere Wahl gehabt als zur Gewalt zu greifen“.

„So reden rechtsradikale Verschwörungstheoretiker. Das ist der Gipfel, den Massenmord durch Breivik damit zu erklären, dass die islamische Gefahr in Europa von dunklen Mächten verschwiegen worden sei“, zitierte „Cicero“ mit dem Zentih-Chefredakteur Daniel Gerlach einen der wenigen Anwesenden, der diesen Vorgang bedenklich findet. Das Publikum, inklusive der „notorischen Warner vor der islamischen Gefahr“, hätten Ayaan Hirsi Ali anhaltenden Beifall geklatscht.

Auf Anfrage des Magazins relativierten sowohl der Springer-Verlag als auch Ayaan Hirsi Ali die Passage. Weder wollte sie Breivik entschuldigen, noch seine Tat rechtfertigen. Ihren Preis durfte Ayaan Hirsi Ali selbstverständlich behalten.

Business as usual also? Alles nur ein Missverständnis? Die „Islamkritik“ muss sich von ihren radikalen Elementen distanzieren, wie dies bereits viele Muslime mit „ihren“ Radikalen tun. Ansonsten bleibt der Eindruck zurück, man mache mit Extremisten und Mördern gemeinsame Sache.

Debatte: Islamgegner müssen wohl kaum unter einem Radikalenerlass leiden. Ein Kommentar von Daniel Bax

(taz). Seit dem Attentat von Norwegen stehen manche hauptberuflichen „Islamkritiker“ nun selbst in der Kritik. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, inwieweit ihre antimuslimische Weltsicht auch den Mörder von […]

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