Kommentar: Muslime laden auch Politiker zum Fastenbrechen ein. Ist der Ramadan dafür der richtige Zeitpunkt?

(iz). Ist das Fastenbrechen eine gute Gelegenheit, gute Nachbarschaft zu pflegen und zum Iftar einzuladen? Natürlich! Jedes Jahr laden beispielsweise Hamburger Studenten völlig uneigennützig Muslime und Nichtmuslime ein.

Eine andere Frage ist es, ob solche Veranstaltungen zu einem politischen Schaulauf genutzt werden sollten. Hierzu passt ein denkwürdiger Eintrag eines Gelehrten in diesen Tagen auf Facebook: „Wenn man die Vielzahl an politisch motivierten Iftar-Einladungen derzeit ansieht, muss man befürchten, dass auf allen Seiten Angeln ausgeworfen werden und wir uns für ein Stück Brot fangen lassen.“ Hat er Recht?

Ein Beispiel in Köln. Der Zentralrat der Muslime (ZDM) hat zu seinem festlichen Abend gleich eine ganze Reihe bekannte Politiker geladen (hier der Artikel auf islam.de). Sogar die Bundesjustizministerin gibt sich die Ehre und setzt so ein bundesweit wahrgenommenes Zeichen. „Ja, die Muslime und ihre Riten gehören zu Deutschland“, will sie mit ihrem Kommen sagen. Sie fordert ganz nebenbei die bei vielen Muslimen populäre doppelte Staatsbürgerschaft. Ist das jetzt Wahlkampf einer FDP-Politikerin – im Ramadan – oder eben doch und in erster Linie eine überparteiliche, durchaus mutige Geste einer Ministerin?

Der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek sieht in diesen Iftar-Veranstaltungen mit Beteiligung der Politik eine wichtige Komponente der Anerkennung – wohl auch der eigenen Einrichtung – in Deutschland. Seit Jahren versucht er, eine positivere Öffentlichkeit für die Muslime in Deutschland zu schaffen und wird dafür übrigens – bei allem unermüdlichen Einsatz – ziemlich selten von Muslimen gelobt. Zweifellos hat Mazyek Verdienste. Zum Beispiel ist es ihm gelungen – wie wohl niemandem vor ihm –, die Sache der Muslime auch in wichtigen Medien unterzubringen.

Das Dilemma dabei ist offensichtlich: Denn „Öffentlichkeit“ hat in Deutschland ihren Preis. Wie kaum sonst auf der Welt wird politische Korrektheit im Detail kontrolliert und überwacht. Auf der ZDM-Veranstaltung betonte Mazyek dann gleich mehrfach, dass die „Muslime auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Die ausdrückliche Betonung erklärt im Grunde schon den Status der Muslime. Sie kommt „politisch“ gut. Nur, wer im Lande hat es noch nötig, derartige Binsenweisheiten – auch noch im Namen aller Muslime – extra zu erklären, so als müsse man dies in voreiligem Gehorsam der Politik gegenüber bekennen?

In diesen Tagen geht auch eine andere Pressemeldung des Zentralrats zum Thema ein (mehr dazu hier). US-Außenminister Kerry hat den ZDM-Vorsitzenden in die USA zum Fastenbrechen eingeladen. Auf seinem Twitter-Account kündigte Mazyek beinahe staatsmännisch an, in Washington „die Grüße der deutschen Community“ zu vermitteln. Die „Community“ ist natürlich deutlich größer als der relativ überschaubare Zentralrat der Muslime. Gefragt, ob sie das überhaupt so will, hat diese so große, wie leider unübersichtliche Bevölkerungsgruppe wohl auch keiner. Nicht nur das Selbstbewusstsein des ZDM löste in der folgenden Internetdebatte um die Reise auch einige Kritik aus. Zu Recht?

„Zweifellos gibt es bei Muslimen auch einigen groben Anti-Amerikanismus. Insoweit setzt Mazeyk ein durchaus positives, wichtiges Zeichen der Weltoffenheit deutscher Muslime“, sagen die Einen. „Das ist nur die Sucht nach Anerkennung“, die anderen. Mazyek selbst sieht den politischen Nutzen seiner Reise über den Atlantik eher nüchtern. Er will mit seiner Zusage natürlich nicht sagen, dass Amerika immer eine tolle Außenpolitik macht. Er hofft vielmehr, dass dieses amerikanische Beispiel der „Umarmung“ von Muslimen bald auch in Deutschland Schule machen könnte.

Es ist tatsächlich eine gute Pointe, dass ausgerechnet der US-Außenminister deutsche Muslime – manche „Verbandskritiker“ sprechen ja immer wieder boshaft von „Islamisten“ – freundlich empfängt. Immerhin eine Idee, die der Amtskollege in Berlin bisher jedenfalls nicht hatte. Nutzt da der Symbolgehalt der Reise nicht doch irgendwie allen Muslimen oder brauchen wir diese Art der Zeichensetzung – zudem in unserem Namen – gar nicht?

Letztendlich bewegt sich diese Debatte wieder um die alte Frage nach der Vertretungsberechtigung der muslimischen Dachverbände in Deutschland. Viele Muslime – auch die, die selber kaum aktiv sind – bemängeln die Arbeit der Organisationen, ohne gleichzeitig gute Alternativen hervorzubringen. Die Vorwürfe kann man auswendig aufzählen: Sie würden die Muslime kaum „überparteilich“ zusammenbringen, es gehe ihnen nur um die eigene Macht, sie seien zu träge, zu religiös oder zu wenig religiös. „Who knows“, sage ich da immer. Insbesondere, wenn es um die Beurteilung der inneren Motivation der beteiligten Muslime geht.

Aber zurück zum Kern der Geschichte. Das Kriterium einer guten, authentischen – nicht nur effekthaschenden – islamischen Öffentlichkeitsarbeit prüfe ich persönlich immer mit einer Kontrollfrage: Spricht derjenige oder diejenige auch über ernste und anspruchsvolle Themen wie die Zakat oder das Zinsverbot? Ja! Dann ist doch alles gut.

Hintergrund: US-Militärhilfe an Ägypten wackelt. Obama meidet das Wort „Putsch“

Milliarden fließen jedes Jahr von Washington nach Kairo. Doch der Sturz eines demokratisch gewählten Präsidenten durch das Militär könnte den Geldhahn zudrehen. Ein Dilemma – nicht nur für Ägypten, sondern auch für die USA.

Washington (dpa) – Stundenlang bleibt US-Präsident Barack Obama nach der Entmachtung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi stumm. Im abhörsicheren „Situation Room“ im Keller des Weißen Hauses berät er über die brenzlige Lage in Kairo mit Verteidigungsminister Chuck Hagel, CIA-Chef John Brennan, Generalstabschef Martin Dempsey und anderen ranghohen Mitgliedern seines Sicherheitsstabes. Erst nach gründlichem Abwägen wendet er sich kritisch ans ägyptische Militär. „Zutiefst besorgt“ sei er über den Sturz eines demokratisch gewählten Präsidenten, lässt er schriftlich verbreiten.

Das entscheidende Wort „Putsch“ vermeidet Obama bewusst. Denn sollten die USA Mursis Sturz tatsächlich als Coup d'Etat definieren, könnte das erhebliche finanzielle Konsequenzen haben: Ein US-Gesetz von 1961 schränkt die Hilfe an die Regierung jedes Landes ein, „dessen ordnungsgemäß gewählter Staatschef durch einen Militärputsch oder -erlass abgesetzt wird“. Er habe seine Regierung angewiesen, zu prüfen, welche Konsequenzen die Ereignisse auf die Hilfe für Ägypten hätten, sagt Obama. Das klingt ein wenig so, als suche er nach dem Ausweg aus einer Zwickmühle.

Empfänger von US-Hilfe
Kairo gehört seit Jahrzehnten zu den größten Empfängern von US-Militärhilfe: Rund 1,3 Milliarden Dollar (knapp eine Milliarde Euro) flössen jährlich in die Verteidigungskasse nach Kairo, heißt es im jüngsten Bericht der Recherchestelle des US-Kongresses. Das ist einerseits Folge des 1979 geschlossenen Friedensplanes zwischen Israel und Ägypten, andererseits ist es Geld, das die amerikanische Rüstungsindustrie anfeuert. Daran, den Geldhahn zuzudrehen, dürfte beiden Seiten nicht gelegen sein.

Zwei Drittel des Geldes gibt Kairo für Waffenkäufe und Zubehör beim Finanzier selbst aus. Allein der US-Rüstungskonzern Lockhead Martin lieferte in den vergangenen zehn Jahren Kriegsgerät im Wert von 3,8 Milliarden Dollar an das ägyptische Militär. Die Teile für die M1-Panzer auf dem Tahrir-Platz kamen aus dem Werk des Rüstungskonzerns General Dynamics im Mittleren Westen der USA. Durch die Aufträge aus Nordafrika können die Fließbänder am Standort Lima (Ohio) weiterlaufen – Bestellungen aus dem eigenen Land sind dort erst wieder 2017 zu erwarten. Kairo kauft auch Fregatten der Knox-Klasse, F-16-Kampfjets und Apache-Hubschrauber „made in USA“.

Auch im Haushaltsjahr 2014 will Präsident Barack Obama die Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar fortschreiben. US-Außenminister John Kerry betont: „Eine starke Sicherheitspartnerschaft zwischen Ägypten und den USA, unterlegt mit Militärhilfe, erhält uns einen Draht zur ägyptischen Militärführung, die zu den Hauptmeinungsmachern des Landes gehört.“ Obendrein sollen 250 Millionen für die ökonomische Entwicklung überwiesen werden.

Haben die USA ihre Unterstützung entzogen?
Doch zahlreiche US-Politiker kritisieren seit längerem den Deal mit dem unberechenbaren Land, der vor allem auf die guten Beziehungen zwischen dem ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter und seinem ägyptischen Amtskollegen Anwar el Sadat zurückgeht. „Ägyptens Militär ist unser Freund – aber Mursi ist unser Feind“, sagte kürzlich etwa der konservative Senator James Inhofe (Oklahoma), als er den Lieferstopp der F16-Kampfjets nach Kairo forderte.

Auch der republikanische Senator John McCain (Arizona) dringt darauf, die Militärhilfe zu überdenken. Statt mit Kampfjets und Panzern solle die US-Regierung Ägypten besser mit Technik zur Bekämpfung von Aufständen und Terrorismus ausrüsten.

Befürworter sehen in den Überweisungen nach Ägypten eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen: auf den Demokratisierungsprozess etwa oder auf die Wahrung des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags. Für manche Kritiker ist das nicht genug. „Die Regierung hat ihre militärischen Beziehungen (zu Ägypten) auf Autopilot gestellt“, kritisiert Michelle Dune vom Thinktank „Atlantic Council“ in der „Washington Post“. Washington habe die diplomatischen Beziehungen zu Mursi einfach so weiter unterhalten wie zu seinem Vorgänger Husni Mubarak. „Diese Politik ist eine Art Schlamassel.“

Von einem Provisorium zum nächsten
Der Präsident des obersten ägyptischen Verfassungsgerichts Adli Mansur war gerade mal zwei Tage im Amt, als er vom Militär zu noch größeren Aufgaben berufen wurde. Am Donnerstag wurde er zum Interimspräsidenten des Landes am Nil vereidigt. Bis dahin kannte kaum jemand in Ägypten den 67 Jahre alten Juristen. Adli Mansur ist seit 1992 am Verfassungsgericht tätig, zuletzt war er Vizepräsident. Der Jurist hat unter anderem die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die erste freie Präsidentschaftswahl 2012 in Ägypten miterarbeitet, aus der der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, als Sieger hervorging.

Im Mai dieses Jahres wurde Mansur von Staatschef Mursi für die Nachfolge Maher al-Behairis am obersten Verfassungsgericht bestimmt – mit Zustimmung einer Generalversammlung der Richter. Al-Behairi ging Ende Juni in den Ruhestand. Nach dem geltenden Recht musste Mursi einen der drei am längsten amtierenden Stellvertreter des Gerichts für das hohe Amt auswählen. Die Zustimmung der Vollversammlung war zwingend. Vor dem Arabischen Frühling 2011 konnte der ägyptische Präsident noch selbst frei entscheiden, wen er auf diesen Posten setzt.

Adli Mansur wurde im Dezember 1945 in Kairo geboren. Er studierte dort Jura; ein Stipendium ermöglichte ihm später weitere Studien in Paris. Schon unter Langzeitpräsident Husni Mubarak arbeitete der Jurist für die ägyptischen Justizbehörden. Zwischenzeitlich war er einige Jahre als Berater in Saudi-Arabien. Mansur ist verheiratet, hat zwei Söhne und eine Tochter.

Westerwelle: Rückschlag für Demokratie
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat den Umsturz in Ägypten als schweren Rückschlag für die Demokratie in dem nordafrikanischen Land bezeichnet. „Es ist ein schwerwiegender Vorgang, dass die ägyptischen Streitkräfte die verfassungsmäßige Ordnung ausgesetzt und den Präsidenten seiner Amtsbefugnisse enthoben haben“, sagte Westerwelle am Donnerstag in Athen. „Eine solche Aussetzung der demokratischen Ordnung ist keine nachhaltige Lösung der großen Probleme, vor denen Ägypten steht.“

Die ägyptische Militärführung hatte am Mittwoch nach tagelangen teils blutigen Massenprotesten den vor einem Jahr zum Präsidenten gewählten Islamisten Mohammed Mursi abgesetzt. Westerwelle sagte, es bestehe die ernste Gefahr, dass der demokratische Übergang in Ägypten dadurch schweren Schaden nehme. „Das hätte große Folgen weit über das Land hinaus für die gesamte Region.“ Deutschland sei weiter bereit, den Aufbau einer neuen demokratischen Staatsordnung in Ägypten zu unterstützen.

Hintergrundanalyse: Droht im System von Präsident Mursi eine Diktatur der Mehrheit oder der Minderheit?

(iz). Im Dresdner Augustinum hängt die berühmte Bildersammlung des Ma­lers Max Slevogt. Ein großes Thema des begnadeten Impressionisten war Ägypten. Der Maler war zu Beginn des letzten Jahrhunderts nach Kairo aufgebrochen und hatte eine faszinierende Landschaft vorgefunden, malte Wüsten­szenen oder Fischer am Nil, besuchte Moscheen und zeigte dabei Einheimische beim Studium des Qur’ans. Die Reihe gilt als Höhepunkt des Schaffens von Slevogt und als ein Zeichen der Orientsehnsucht der Deutschen.

Nicht ganz einhundert Jahre später befindet sich nicht nur der Massentourismus in einer Krise. Die Bilder von Straßenkämpfen und Revolution haben Touristen aus aller Welt verschreckt. Die ökonomischen und politischen Probleme des Landes sind nahezu unlösbar. Fährt man durch das Kairo dieser Tage, fällt der desolate Zustand der Stadt auf. Viele Gebäude sind baufällig, der Schmutz hat sich festgesetzt und nur hier und da blinzelt die alte Größe auf. Inmitten der Tristesse wächst eine junge Bevölkerung auf, oft genug in den modernen Wohnsilos der Stadt zu Hause, frustriert und pers­pektivlos. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent und auch wer Arbeit hat, weiß oft nicht, wie er seine Wohnung bezahlen soll.

Gründe für eine Revolution gibt es in allen arabischen Ländern der Region: Die ersten Unruhen begannen nicht zufällig wegen der Steigerung der Brotpreise. Falladas Beschreibung der Nöte einer jungen und verzweifelten Bevölkerung, auf der Suche nach ökonomischer ­Integrität, die er in seinen Büchern wie in „Kleiner Mann, was nun?“ nachzeichnete und über das Deutschland der 1920er Jahren auf seinem Weg zur Diktatur handeln, sie würden heute in Städten wie Tunis oder Kairo einen denkwürdigen Rahmen finden.

Nur – so muss man sich klar machen – eine Revolution hat in Kairo bisher nicht wirklich stattgefunden. Revolutionen, dies wusste schon Napoleon, enden mit der Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Davon ist aber am Nil nichts zu spüren. Noch immer herrschen in Kairo die ägyptischen 0,1 Prozent, eine Clique gut etablierter Oligarchen, in ihrem Verhältnis zur Politik so flexibel wie undurchsichtig, und – neben den alten Wirtschaftseliten, natürlich auch die Armee, die seit Jahrzehnten auch eine eigene Wirtschaftsmacht darstellt. Die Generäle entscheiden noch immer über Bürgerkrieg oder Frieden und definieren den Ausnahmezustand, den alten Feind demokratischer Verhältnisse. Wer Ägypten dauerhaft demokratisieren will, muss zunächst Druck auf die Militärs ausüben. De facto dürfte die Macht hierzu ­weniger beim ägyptischen Volk als in Washington liegen.

Inzwischen beschäftigt sich eine ­ganze Schar Hobby-Verfassungrechtler aus ­aller Welt mit den Verhältnissen in Ägypten. Täglich beklagen die ­internationalen Medien die eingeschränkte Souveränität des ägyptischen Volkes. Lange – für Ägypter schmerzliche Jahre – war das nicht so. Wohl auch deswegen haben einige der bekannten Oppositionsführer, wie Amr Moussa oder Muhammad El Bara­dei, die mit dem alten Ägypten verbunden werden, haben heute ein Glaubwür­digkeitsproblem. In den Zeiten Mubaraks hat man von Ihnen nicht viel gehört. Der politische Erfolg der Muslimbrüder war bisher, dass sie als ­Opposition mit den despotischen Verhältnissen nur wenig zu tun hatten.

Natürlich ist ein echter Neuanfang nur nach einer – hoffentlich friedlichen – Abrechnung mit den alten Regimegrößen möglich. Die Mehrheit der Ägypter hat genug von der Einmischung oder ­„Hilfe“ Dritter. Die Armee des Landes hätte ohne Hilfe der Amerikaner und Europäer – und das verbreitete Schweigen über die Jahrzehnte der kommissarischen Diktatur – nicht herrschen können. Das Land mit 80 Millionen Einwohnern soll pro Jahr mindestens 1,3 Milliarden US – Militärhilfe erhalten. Der Preis für die üppige Leistungen war simpel: Die Armee hatte das Volk zu kontrollieren, den Frieden mit Israel zu sichern, den Suez-Kanal offen und den Islam möglichst klein zu halten. Die bisherige Verfassung des Landes hatte den Ägyptern in diesen Fragen keine Autorität gegeben.

Der Konflikt rund um den Tahrir-Platz zeigte heute das ganze Dilemma der arabischen Gesellschaften. Es gibt eine breite schweigende Mehrheit und zahlrei­che Extremisten, die im Falle Ägyptens gleich zwei fundamentale politische Welt­anschauungen instrumentalisieren. Wir begegnen auf allen Seiten Ideologen mit dem Potential absoluter Unversöhnlichkeit und wohl auch mit dem Willen, eine Diktatur zu etablieren oder zu erhalten. Sie können auf der einen Seite grob der geistigen Welt des Säkuralismus, auf der anderen der des politischen Islam zugeordnet werden. Es droht eine Diktatur einer religiösen Mehrheit oder einer säku­laren Minderheit. So kämpft das Land mit dem Trauma, dass alle Verfassungsrechtler seit Hitlers Machtergreifung beschäftigt: die Möglichkeit einer legalen Machtergreifung und der anschließenden Ausschaltung des politischen Gegners.

Auf Seiten des so genannten „Islamismus“, also auf Seiten des politischen Islam, wird die Muslimbruderschaft veror­tet. Ihr politischer Kern ist eine Mischung aus Glaube und Fortschrittswille. Sie integriert heute, das beweisen ihre spektakulären Wahlerfolge, ein breites Spektrum der religiösen Bevölkerung. Zumin­dest aus Sicht der Salafisten, die die radi­kaleren Teile der muslimischen Bevölkerung bündeln, gelten die Muslim­brüder dabei als pragmatisch und eher liberal. Korrespondenten im Ausland berich­ten dagegen, zumindest wenn es um die Funktionäre der Bruderschaft geht – wenn auch zumeist recht einseitig – von einer konservativen, machthungrigen Clique. Die langen harten Jahre der außerparlamentarischen Opposition haben die Bewegung ideologisch ­geprägt.

Über Jahrzehnte hinweg war die verbotene Bruderschaft – und damit auch ihre Idee eines modernen und machtvol­len Islam – in der Defensive. Die Muslimbrüder wurde verfolgt, ermordet oder ins Asyl getrieben. Als Reaktion hat sich der politische Islam ägyptischer Prägung in aller Welt in Dutzende Unterfraktionen aufgelöst; in Flügel, die von liberal bis extremistisch alle politischen Denkrichtungen umfassen, und dabei oft genug im offenen Widerspruch zum islami­schen Recht agierten.

DIe Rechtsgelehrten des Islam – im modernen Ägypten entweder Staatsdiener oder Einzelkämpfer – verloren den Einfluss auf die Bewegung. Der Islam wurde zunehmend politisiert. Das Schlagwort von der „Scharia“, dass die „Islamis­ten am Nil“ gerne gebrauchen und zumeist allein mit Nachteilen für die Frauen des Landes oder religionspolizeilichen Maßnahmen verknüpft wird, wird dage­gen auch von den Muslimbrüdern nicht als ein Regelwerk gegen die Armee, Banken oder Oligarchen in Stellung gebracht.

Für das Image der stärksten politischen Kraft Ägyptens ist die oberflächliche Debatte über die angebliche Islamisierung des Staates tödlich. In unseren Graden denkt man beim Schlagwort des islamischen Rechts in erster Linie an abgeschla­gene Hände, obwohl die Geschichtsbücher darüber aufklären, dass dies auch in Ägypten über Jahrhunderte höchst ­selten vorkam. Das durchaus vernünftige islamische Wirtschaftsrecht dagegen ­wurde selbst an der berühmten Al Azhar-Universität über Jahrzehnte nur sehr eingeschränkt gelehrt. In der Debatte um die Zukunft des Landes spielt der Islam – als ökonomische Alternative gedacht – kaum eine Rolle. Für den größeren Teil der Muslimbrüder ist die Bezugnahme auf den Islam eher ein unverbindlicher Wertekatalog, an den man sich anlehnen will, als ein konkretes politisches Programm. Tatsächlich hat sich die Rolle des Islam in dem politischen Denken der Bruderschaft grundlegend gewandelt.

Die Grundidee der 1928 gegründeten Bruderschaft war es gewesen, die neuen Technologien – vom Staatswesen bis zur Finanztechnik, deren Erscheinung die Araber zu Beginn des letzten Jahrhunderts bedrängte – auch der muslimischen Bewegung zugänglich zu machen. Die Ideologen sahen in dem modernen Staatsapparat ein neutrales Machtinstrument, dass man der eigenen politischen Bewegung eines Tages unterwerfen wollte. Ein Paradigmenwechsel war die Folge. Über Jahrhunderte war der Islam durch die Organik von Marktplätzen und ­Händler bestimmt, jetzt übernahm die strenge, zielgerichtete und machtbewusste Logik von Parteien und Funktionären das ­Ruder.

Im Ergebnis blieben auch „islamische Staaten“ in erster Linie Staaten. Die meisten, so genannten islamischen Regierun­gen kopierten die Verfassungen des Westen, erlaubten ohne Skrupel Papiergeld, Spekulation und Banken und sahen im Islam bestenfalls ein religionspolizeilich eingesetztes Regulativ gegenüber dem moralischen Zerfall der Bevölkerung. Der moderne Staat neutralisierte insoweit einer der wesentlichsten Kernbereiche des islamischen Lebens, das Recht des Handels und der Wirtschaft.

Auch der neue ägyptische Präsident Mursi, als „neuer Pharao“ verspottet, ist zumindest seiner Erscheinung nach eher eine bürgerliche Figur; mit Diktatoren wie Mussolini oder anderen hat er auf dem ersten Blick wenig gemein. Seine Amtszeit hat er in der neuen Verfassung brav begrenzt; auch um den Verdacht, er sei ein neuer „Mubarak“, zu ­entkräften. Die Mehrzahl seiner umstrittenen Dekrete richten sich nicht gegen das Volk, sondern eher gegen den alten Machtapparat. Ironischerweise – so zumindest die Logik Mursis – musste er letztlich die alte Justiz entmachten, um die Auflösung der Parlamente und damit die Ignorierung demokratischer Wahlergebnisse zu verhindern. „Aber“, so Mursi immer wieder beschwichtigend, „er träume nach wie vor wie alle Ägypter von der Gewaltenteilung“.

Die Ägypter mögen diesen Traum mit ihm teilen, die Macht haben sie auch nach dem Ende Mubaraks nicht. Könnte ihr neuer Präsident tatsächlich auch ein neuer Diktator werden? Ja, muss man wohl sagen, zumindest die Versuchung dazu ist wohl gegeben; Insbesondere solange sich die Extremisten im Lande gegenseitig aufschaukeln. Mursi könnte dabei sogar ein Diktator wider Willen werden. Für die Macht, so sagen es Kritiker der Partei, sind die „Brüder“ Mursis im Notfall auch zu herben Kompromissen mit der Armee bereit. Nicht zuletzt die Generäle könnten an einem religiösen Diktator, der gleichzeitig die Unterstützung des Volkes verliert, durchaus mittel­fristiges Interesse haben. Nicht zuletzt, um mit Hilfe der religiösen ­Funktionäre die Privilegien der eigenen Kaste abzusi­chern. Ob es bereits einen Deal zwischen Armee und Muslimbruderschaft – hinter den Kulissen getroffen – gibt, ist von Außen kaum seriös zu beurteilen.

Wie überall im arabischen Raum ist und bleiben die ungelösten ökonomischen Zukunftsfragen schicksalhafter Natur. Es mag ein Trost sein, dass die ­breite Masse der Ägypter mit politischem Extre­mismus jeglicher Couleur wenig anfangen kann. Die Mehrheit der Bevölke­rung sehnt sich in erster Linie nach ­einem bescheidenem Wohlstand. Inmitten der größten Finanzkrise der Menschheitsgeschichte ist es fraglich, ob der Kapitalismus für die Massen, oder eben nur für eine kleine Minderheit am Nil funktioniert. Wenn Mursi kein Diktator sein oder werden will, muss er genau diese grundsätzlichen Fragen bald beantworten.

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Ägypten: In der „Revolution 2.0“ begegneten sich das Internet und der moderne Staat

(gm). Das volle Potenzial des Internets als Raum des Politischen bleibt eine bis heute ungeklärte Frage, die langsam Gestalt annimmt. Dies gilt besonders für den Aberglauben, der dem ­Internet nach […]

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Chinas Uiguren haben keine starken Freunde

(IPS//IZ/GfbV). Seit Jahren ist die Autonome Uigurische Provinz Xinkiang in Chinas trockenem Nordwesten die Arena für Zusammenstöße mit der Zentralregierung sowie zwischen Gewalt von Han-Chinesen gegen die muslimischen Uiguren. Kritiker […]

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„Gold ist eine Frage der Gottesfurcht“

(iz). Abdallah Seymour ist Engländer und seit zehn Jahren Muslim. Seit mehr als einem Jahr lebt er in Malaysia und Indonesien, wo er an der Wiederbelebung der Mu’a­malat [jene – mittlerwei­le vergessene – Hälfte des Islam, die sämtliche sozio-ökonomischen Verpflichtungen wie Handel, Wirtschaft, Märkte und Geld betreffen] in der Region arbeitet. Er gehört zu einer neuen Generation von Muslimen, welche die Ebene der Theorie verlassen haben und engagiert an der Etablierung neuer Wirtschafts- und Geschäftsformen arbeiten, die ihren Ursprung in der islamischen Lehre haben.

Mit ihm sprachen wir über die globale Bewegung für die Einführung von Golddinaren und Silberdirham, über Herausforderungen der praktischen Umsetzung und die interessante Tatsache, dass es Menschen im Westen leichter fällt, die Fehler des jetzigen Bankwesens zu erkennen, als den Menschen in der muslimischen Welt.

Islamische Zeitung: Sie sind Teil der Dinar-Bewegung und engagieren sich in ihr. Wie sieht Ihr genaues Projekt aus?

Abdallah Seymour: Ich betreibe eine Wadia namens Wadiah Nusantara. Das ist ein Aufbewahrungsservice für Golddinare und Silberdirham. In Sachen der Mu’amalat sind unsere Pflichten recht vielfältig, da wir auch auf anderen Bereichen arbeiten.

Islamische Zeitung: Was ist denn eine ­Wadia?

Abdallah Seymour: Wörtlich bedeutet es sichere Aufbewahrung. Es ist ein Service, bei dem wir Depots für Münzen anbieten und Dienstleistungen offerieren, die von den meisten mit ­Banken assoziiert werden. Hier können die Kunden ihre Münzen für eine sehr kleine Gebühr deponieren. Die Wadia selbst ist nicht die wirklich interessante Sache, sondern das Transaktionssystem, das sich aus ihr entwickelt. Es erlaubt Kontoinhabern, zu einhundert Prozent in Gold und Silber zu bezahlen. Wenn eine Person in Frankfurt und eine in München ist, dann will man eine Transaktion ermöglichen, ohne jedes Mal auf den physischen Transport der Münzen angewiesen zu sein. Mit einem online-Transfer kann der Kunde in München zu seiner Filiale gehen und sich die Münzen auszahlen lassen.

Islamische Zeitung: Wie lange wird es dauern, bis sie eine ausreichende Abdeckung erzielen werden, sodass das System funktionieren wird?

Abdallah Seymour: Es ist sehr schwierig, hier einen Zeitrahmen vorzugeben. Wir haben gerade erst unseren Prototypen in Kuala Lumpur eröffnet. Je mehr Wadias es geben wird, umso schneller werden wir den angestrebten Zustand erreicht haben.

Islamische Zeitung: Was ist der Unterschied zu bestehenden Bezahlsystemem wie E-Gold, e-Bullion oder payPal?

Abdallah Seymour: Bei Systemen wie PayPal besteht der offenkundige Unterschied darin, dass erstere mit elektronischen Signalen auf dem Schirm operieren. Das transferierte Geld hat keine physische Wirklichkeit, während es sich bei uns zu hundert Prozent um Gold und Silber handelt. Bei diesem Modell gibt es nicht nur bloße elektronische ­Signale die keinen physischen Bezug zu Gold oder Silber haben.

Der zweite Unterschied zu Diensten wie e-Dinar – dem vielleicht bekanntesten – ist, dass wir eine Zweigstelle haben, wo man Münzen deponieren und abholen kann. Es ist der organischere Weg, ein System zu schaffen. Bei uns kommen die Münzen zuerst, für die wir dann Depotdienste anbieten.

Islamische Zeitung: Welche Elemente müssen noch vorhanden sein, damit man von einer wirklichen Dinar-Ökonomie sprechen kann?

Abdallah Seymour: Zuerst braucht es Münzen. Diese müssen die höchstmögliche Qualität haben. Dafür braucht es einen Standard. Daher nehmen wir nur solche Münzen in unser Depot auf, die von der World Islamic Mint lizenziert wurden. Deren Standard ermöglicht die vertrauenswürdigsten und am weitesten verbreiteten Münzen auf dem Markt.

Danach braucht es die Agenten (arab. Wakala), um die Münzen in Umlauf zu bringen.

Schließlich, und am wichtigsten, braucht es ein Netzwerk aus Nutzern und Geschäften, wo diese Münzen zum Einsatz kommen können. Die Münzen müssen eine Währung sein und können keine bloße Investition bleiben. Eine Inves­tition impliziert, dass das augenblickliche System in Ordnung sei und dass man sein Kapital nur für stürmische Zeiten in Gold parkt, bis die Unruhe vorüber ist.

Wir wollen etwas anderes erreichen. Unserer Meinung nach ist das herrschende System immanent fehlerhaft und kann nicht gerettet werden. Es basiert auf Schulden und auf einer Fantasie. Bei uns nehmen wir das Papiergeld aus dem Umlauf und bringen Gold und Silber in die Zirkulation.

Islamische Zeitung: Wie reagieren die Verbraucher und die ­Ladenbesitzer auf das Angebot?

Abdallah Seymour: Eines der größten Hindernisse ist, dass viele Menschen kein Problem mit Papiergeld haben, auch wenn sie erkennen, dass dieses immer weniger wert ist. Man sollte meinen, dass den Leuten dies bewusst wird, aber unglücklicherweise war es noch nicht der Fall. Andere kümmert diese Frage nicht.

Man kann das Thema von verschiede­nen Perspektiven betrachten. Vom rein islamisch rechtlichen Standpunkt betrachtet muss man zu dem Schluss kommen, dass das augenblickliche Papiergeld­system Riba (Wucher) ist. Auch, wenn wir alle daran beteiligt sind, so hat ­Allah dem doch den Krieg erklärt. Wenn wir Taqwa hätten, müssten wir sagen: „Moment, wir können nicht Teil dieses Systems sein.“ Das ist ein Weg, auf das Thema zu blicken. Ein anderer ist, dass das Eigentum der Leute durch die Entwertung des Geldes langsam, aber stetig enteignet wird. Und das ist nicht gerecht.

Soweit es die Leute betrifft, ist es eine Herausforderung, sie zur Erkenntnis zu bringen, dass das herrschende System nicht gerecht ist.

Islamische Zeitung: Wie viele Teilnehmer hat ihr System derzeit?

Abdallah Seymour: Momentan nehmen 3.000 Geschäfte teil, die die Münzen akzeptieren. Das ist nicht wirklich die größte Herausforderung. Am schwierigsten ist es, die Leute dazu zu bekommen, die Münzen auf regelmäßiger Basis zu benutzen und die Notwendigkeit dafür zu erkennen.

Islamische Zeitung: Wie funktioniert das System an den Orten, an denen es bereits eingerichtet ist?

Abdallah Seymour: Es beginnt mit der Prägung der physischen Münzen. Das kann man an jeder hochqualifizierten Münzprägeanstalt machen. Es geht nur mit den besten, weil man die Münzen mit Sicherheitsmerkmalen ­ausstatten muss. Im Falle von Kelantan, wo das Modell am weitesten fortgeschritten ist, ­wurde eine staatliche Firma gegründet. Sie kauft die Münzen von der Prägeanstalt und gibt sie an die Agenten weiter. Die sind in zwei Arten unterteilt. Es gibt Master-Wakalas und solche, die unterge­ordnet sind. Master-Wakalas brauchen eine Mindestinvestition von 150.000 Euro. Sie verkaufen die Münzen an die Öffentlichkeit und an die Untergeordneten. Die untergeordneten Wakalas geben die Münzen in die Hände der ­Leute. Die Idee ist, dass die Leute die Münzen in Geschäften und Läden ausgeben. Die Aktivisten unter den Nutzern werden weitere Geschäfte finden. Die Münzen sollen zirkulieren und die Nutzer sollen weitere Dinare und Dirham kaufen. Sobald ein Geschäftsmann sie akzeptiert, ist es an ihm, Lieferanten zu finden, die Dinar und Dirham akzeptieren, seine Angestellten damit zu bezahlen und bei anderen Geschäften einzukaufen. Wir möchten vermeiden, dass Ladenbesitzer die Münzen an uns zurück verkaufen.

Die Wurzel des Wortes Daula, was die Modernisten heute fälschlicherweise mit „Staat“ übersetzen, bedeutet eigentlich die Zirkulation von Wohlstand. Die Idee besteht in der Schaffung von geschlosse­nen Kreisläufen, bei denen Münzen von einer Partei zur nächsten wandern. Idealerweise bleiben die Münzen innerhalb des Systems.

Islamische Zeitung: Sind Sie – angesichts Ihrer bisherigen Erfahrungen – optimistisch über den weiteren ­Verlauf?

Abdallah Seymour: Ja, wir haben den Sultan von Ternate, den Sultan von Ceribon, den Sultan von Sulu und den Sultan von Bintan, welche die Münzen akzeptiert haben. Die Bewegung hat bisher nur an der Oberfläche des Möglichen gekratzt, aber es wird sich alles ­ereignen. In Europa ist es schwierig, weil wir diese unmögliche Steuer – in Großbritannien sind es 20 Prozent – auf Münzen haben. Dies macht es hier derzeit sehr schwierig.

Islamische Zeitung: Seien wir ehrlich, aber bisher war das dominante Modell in der muslimischen Welt die Bank – in dem Fall die vermeintlich „islamische“. Glauben Sie, dass das Thema Gold und Silber – abgesehen von Südostasien – bald auch andere Regionen der musli­mischen Welt beeinflussen wird?

Abdallah Seymour: Im Moment befindet sich die muslimische Welt leider in einem traumartigen Zustand. Im Wesentlichen sind die Gelehrten nicht ihrer Verpflichtung nachgekommen und haben sie an die Banken verkauft. ­Diese bezahlen die Ulama für ihre Fatwas. Den meisten, die ich getroffen habe, ist es in Sachen Ökonomie egal, was halal und was haram ist. Wir nennen sie ­“Scholars for Dollars“, weil sie sich verkauft haben. Es sind nur wenige übrig geblieben, die letzten Endes Taqwa haben – und am Ende dreht sich alles um Taqwa. Es fehlt die Furcht vor Allah bei jenen Urteilen, wonach Papiergeld in Ordnung sei.

Die Ironie daran ist, dass es jetzt im Westen viele gibt, die einen Diskurs über Papiergeld und das Bankwesen führen. Ein Engländer und ein Deutscher, ­beide Muslime, sitzen in einem Berliner Konferenzzentrum und sprechen ­miteinander darüber, dass das Papiergeld nicht funktioniert. Die Europäer sind hier viel schneller als die muslimische Welt. Bisher folgt die letztere blind dem Vorbild der USA, während die Amerikaner uns sagen, dass ihr Modell gar nicht mehr funktioniert. Dort protestieren Menschen auf den Straßen gegen eine ungerechte Ökonomie, was in der muslimischen Welt nicht der Fall ist.

Islamische Zeitung: Lieber Abdallah Seymour, vielen Dank für das ­Gespräch.

Spontaner Ausbruch einer unterschwelligen Unzufriedenheit ein gefundenes Fressen für die PR-Maschinerie

(iz). Während einer Pause der Proteste auf meinem Weg durch den Gezi-Park erschütterte mich die festliche Atmosphäre, die über jener Zerstörung schwebte, welche die Demonstranten an der öffent­lichen Landschaft angerichtet […]

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Muslime während des 2. Weltkriegs: Gelegentlich wird der propagandistische Eindruck erzeugt, Muslime hätten Menschheitsverbrechen mit zu verantworten

(iz). In unserer Januar-Ausgabe erinnerte Sulaiman Wilms in einem Essay an den mutwilligen Umgang mit Geschichte („Das Pippi-Langstrumpf-Syndrom“), insbesondere soweit es Muslime und den Islam betrifft. Der schwerwiegendste – und sicherlich fatalste – Vorwurf dieser nachträglichen Deutung von Geschichte ist, Muslime in verschiedenen Teilen der Welt hätten sich in ihrer Allgemeinheit zu Mittätern am Völkermord der Nazis während des 2. Weltkriegs gemacht. Vereinzelte (säkulare) politische Bewegungen des Nahen Ostens, der unrühmliche „Mufti“ von Jerusalem sowie muslimische SS-Einheiten von „Hilfswilligen“ ­werden mit einer Weltreligion und ihren Gläubigen gleichgesetzt. So entsteht der propagandistische wie falsche Eindruck, Muslime hätten dieses Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts mit zu verantworten. ­Laila Massoudi ordnet den ungerechten Anwurf ein.

„Das schließt Araber, um die es hier geht, und andere Angehörige afrikanischer und asiatischer Völker ein, die sich zwischen 1933 und 1945 im Herrschafts- und Einflussbereich des Nationalsozialismus befanden. Ihre Begegnungen mit ihm haben (…) im kollektiven Gedächtnis der Völker – auch der eigenen – keinen festen Platz gefunden; ihr Leiden unter ihm und auch ihr Kampf gegen ihn befinden sich gewissermaßen im ‘Schatten des Mondes’.“ (Prof. Dr. Gerhard Höpp, Im Schatten des Mondes)

Die Ereignisse vom 11.09.2001 waren eine Zeitenwende für die internationale Politik sowie die Einstellung gegenüber Interventionen und massiven Menschen­rechtsver­letzungen wie Folter. Sämtliche relevanten Bezüge zum Thema Islam und Muslime wurden von einer ideologisierten Islamkritik einer Instrumentalisierung unterzogen. Ein Bestandteil dieser Neubetrachtung war eine rückwärtsgewandte Neu-Interpretation von Geschichte – dazu gehört das Konstrukt eines „Islamofaschismus“. Diese beinhaltet Veröffentlichungen weniger Historiker und vieler Journalisten, die anhand von Einzelpersonen und individuellen Bewegungen beziehungsweise Ländern die haarsträubende These aufstellten, Muslime in ihrer Allgemeinheit hätten sich an den nazistischen Untaten beteiligt.

Wahn und Wirklichkeit
Eine solche These ist so stichhaltig wie die Behauptung, Länder wie Norwegen oder Dänemark hätten sich wegen der Aktivitäten einiger Kollaborateure in ihrer Gänze dem deutschen Vernichtungs­willen verschrieben. Die Absicht war klar: Die ideologische Auseinandersetzung mit dem Islam sollte durch Assoziationen mit dem dunkelsten Segment der deutschen und europäischen Geschichte eskaliert werden. Ideologisch begleitet wurde das Projekt durch Pamphlete, die einen theoretischen Zusammenhang zwischen ­Islam und dem Ungeist Hitlers herzustellen versuchten.

Vor wenigen Wochen jährte sich zum 68. Mal das Ende des 2. Weltkriegs (Japan folgte Monate später). Es lohnt sich ein Hinweis auf Max Hastings. Der britische Journalist (Augenzeuge des Falklandkrieges) und Autor platziert in ­seiner wegweisenden Abhandlung über den Zweiten Weltkrieg „Inferno: The World at War, 1939-1945“ den tödlichsten Konflikt der Menschheitsgeschichte in einem globalen Rahmen.

Nach der Lektüre von Hastings Buch wird klar, dass die vielen Muslime Asiens und des Nahen Ostens entweder Unbeteiligte oder Opfer des „tödlichsten Konflikts der Menschheitsgeschichte“ (Timo­thy Snyder) ­waren. Die historische Verzerrung war unter anderem auch deshalb möglich, weil alles ausgeblendet wurde, was nicht ins Bild passte. Solange es das unrühmliche Beispiel des „Muftis“ gab und man auf die Handschar-Einheiten (die sich auch deshalb Deutschland anschlossen, weil die bosnischen Muslime ins Kreuzfeuer von Tschetniks, Ustascha-Faschisten und Partisanen gerieten) verweisen konnte, war der Rest egal.

Kampf gegen Nazismus
In Europa gab es muslimische ­Soldaten der Sowjetarmee (die am Kampf gegen Hitlerdeutschland teilnahmen und deren Heimatregionen unter den stalinistischen Gewaltwellen litten). Zu nennen wären auch die muslimischen Kolonialeinheiten Frankreichs und Großbritanniens, die – aus den imperialen Kolonien Nordafrikas, Schwarzafrikas, Asiens und des Nahen Ostens kommend – in Nordafrika und in Europa gegen die nazistischen Armeen kämpften. Elemente der muslimischen Bevölkerung, sofern sie nicht direkt Opfer von Kampfhandlungen oder Zuschauer waren, stellten keine wesentlichen Akteure des Weltkrieges in Europa dar. Im Gegenteil: Es gab beispielsweise muslimische Partisanengruppen wie in Albanien, die sich ­gegen den Faschismus zur Wehr setzten.

Trotz der selektiven Zitatwahl der Islamkritik ging es den Muslimen unter Hitler nicht so, wie es die angeblichen Belege nahelegen. „Ich befürchte, da kommt man zu einem sehr traurigen Schluss. Wir Muslime waren unter dem Nazi-Regime nie vor Belästigungen seitens der Behörden sicher. Aber das hing von der politischen Großwetterlage ab. Wenn es dem Regime ins Konzept ­passte, etwa weil man sich aus politischen Gründen mit den Arabern gut stellen wollte, blieben wir unbehelligt, aber man ließ es uns durchaus immer fühlen, dass man uns als Angehörige einer ‘artfremden’ Religion betrachtete“, berichtete der musli­mische Veteran Muhammad Aman Hobohm vor einigen Jahren im Gespräch von seinen Erfahrungen während der Nazizeit. Und: Der Islam war auch kein Schutz für jene Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland, die jüdische Vorfahren hatten.

Es gab keinen Masterplan
Max Hastings macht deutlich, dass Hitlerdeutschland (anders als das Kaiserreich, das sich stark in der muslimischen Welt engagierte) trotz gegenteiliger, zusammenhangloser Aktionen (auf die sich die retroaktiven Autoren gerne stützen) kein echtes Interesse am Nahen Osten hatte. Plausible Pläne, die Briten aus Ägypten und von Erdölquellen des Nahen Ostens zu vertreiben, ­wischte das Nazi-Regime beiseite. Es gab isolierte Versuche, anti-britische und anti-franzö­sische Kräfte in der Region zu unterstützen, aber diese wurden niemals ernsthaft realisiert.

In Asien sah die Lage noch eindeutiger aus. Hier fanden – in den heutigen Staaten Burma, Malaysia und Indonesien – die Kampfhandlungen auf dem Rücken muslimischer Bevölkerungen statt. Dass einige Führer asiatischer Unabhängigkeitsbewegungen nichts dagegen einzuwenden hatten, ihre alten Kolonialherren loszuwerden (worauf Japan zu Beginn setzte), kann nicht als faschis­toide Geisteshaltung ausgelegt werden. Und nicht nur die Japaner missachteten jede Grundregel zum Schutz der Zivilbevölkerung. So ließen es die Briten zu, dass in Bengalen eine Hungersnot zehntausende, wenn nicht gar hunderttausende Todesopfer forderte. Dies erklärt auch das Scheitern von Briten, Franzosen und Niederländern, nach dem Krieg ihre alte Kolonialherrschaft wieder anzutreten.

Muslimische Sorgen nach Brandanschlag auf Londoner Moschee

Der Brand eines islamischen Zentrums in London sendet Schockwellen durch die muslimische Gemeinschaft Großbritannien und verstärkt – nach der brutalen Ermordung eines Armeesoldaten – wachsende Befürchtungen vor einer neuen, anti-muslimischen Welle.

(OnIslam.net). „Muslime sind verängstigt und fühlen sich vollkommen unverstanden“, meint Massoud Shadjareh, Vorsitzender der Islamic Human Rights Commission (IHRC) gegenüber der „International Business Times“ am 6. Juni. „Sie wurden physisch angegriffen, Moscheen niedergebrannt, Friedhöfe beschädigt und die sozialen Netzwerke sind voller anti-muslimischem Hass und Drohungen von Gewalt.“

Vorgehen verlangt
Muslimische Vertreter riefen die Regierung zum Vorgehen gegen anti-muslimische Ressentiments auf. „Dies war der letzte Vorfall in einer ganzen Reihe von Angriffen seit dem schrecklichen Mord an Lee Riby“, erklärte Farooq Murad, der Generalsekretär vom Muslim Council of Britain (MCB). „Es ist an der Zeit für ein ernsthaftes Vorgehen gegen solche Verbrechen.“

Nach der Ermordung hat die rechtsgerichtete EDL (English Defenve League) divese Proteste gegen Muslime und ihre Moscheen abgehalten. Laut Murad habe es diverse Verurteilungen des EDL-Vorgehens gegeben, aber keine daraus resultierenden Handlungen. „Wir brauchen eine wirkliche Antwort von den Polizeiführungen, angefangen bei der nationalen Polizei, in dieser Frage. Lokale Polizeieinheiten und Bezirkskommandanten haben sich in respektabler Weise mit den Gemeinschaften in Verbindung gesetzt. Jetzt müssen wir vom Leiter der Polizei von Groß-London und den Verantwortlichen der Vereinigung der Polizeichefs hören, was sie für den Schutz vor steigenden Angriffen zu tun gedenken.“