,

Zur Kieler Islamwoche: Eindrücke eines Referenten

kiel

Anmerkungen zur Kieler Islamwoche: Ahmet Aydin beschreibt seine Eindrücke eines Events und findet einen „Moment am Meer“.

„Die Wellen singen mir ihr Lied
Mit dem Wind zur Melodie
Und die Möwen stimmen ein
Zu meiner Symphonie
Das ist mein Moment am Meer
Den ich tief in mir genieß‘
Den ich in mir seh‘ und fühl‘
Wenn ich die Augen schließ’“

(iz). Ich liege mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Eine kühle Brise dringt durchs Fenster ein. Das Hotelzimmer ist stadtnah. Bevor es zum Vortrag geht, möchte ich noch eines dieser „besten Fischbrötchen der Welt“ essen.

Der Freund, der mich vom Bahnhof in Kiel abgeholt hat, hat mir die Stadt gezeigt und es endete damit, dass ich unbedingt „das beste Fischbrötchen der Welt“ essen müsse. Er hat mir nicht zu viel versprochen. Das Fischbrötchen ist einen Trip nach Kiel wert.   

Ein Wunsch von mir war es, mit der Fähre zu fahren. Auch das taten wir. An einer Anlegestelle war ein Café und den Augenblick ließ ich mir nicht nehmen: Ein Kaffee an der Küste: „Das ist mein Moment am Meer!“

Verse, die lebendig werden! Und nachdem wir mit der Fähre wieder zurückfuhren, habe ich mich zum Ausruhen vor dem Vortrag ins Hotel zurückgezogen. Und nun liege ich hier und höre „Küstenkind“:

„Wohin das Leben mich auch führt
Wo immer ich auch bin
Ich trag‘ den Norden tief in mir
Ich bin ein Küstenkind!“

Ein Küstenkind war ich nicht, denn ich bin in Wolfenbüttel, der Lessingstadt, geboren, aber: Den Norden trage ich tief in mir. Ich liebe es, wenn mich jemand mit Moin grüßt. Das gibt es in Köln, wo ich jetzt lebe, leider nicht. Scherzhaft sage ich immer, wenn ich den Gruß höre: „Endlich ein Mensch, der Zivilisation erfahren hat.“ Manche gucken dann irritiert, andere lachen. Ich habe meine Freude!

Foto: Autor

Wie soll der Vortrag betitelt werden?

Kultur – das wird auch das Thema meines Vortrages an der Uni sein. Islam und Kultur. Über den Titel kam es im Voraus zu einer Meinungsverschiedenheit. Auf dem Flyer stand „Islam vs. Kultur“. Ich bitte meinen Ansprechpartner der Hochschulgruppe, das zu ändern – doch der Titel stehe schon und der Flyer sei bereits geteilt. Ich sage, dass ich nicht für so einen Titel stehe. Mir wird gesagt, wenn Islam und Kultur sich nicht widersprechen, dann sei es ja meine Aufgabe, das im Vortrag deutlich zu machen.

Und tatsächlich werde ich kurz darauf bereits angesprochen auf den Titel: „Ahmet, der Titel war aber nicht deine Wahl, oder?“ Die Menschen wissen, was ich seit Jahren auf Social Media und auf meinem Blog, den ich gerade erneuere, teile und worüber ich referiere.

Ich frage den Freund, der mir das leckerste Fischbrötchen der Welt zeigte, ob die diesjährigen Organisatoren denn wissen, dass ich inhaltlich andere Dinge vortragen werde, als die Redner an den Tagen davor. Er bejaht und sagt, dass er froh ist, dass ich die Abwechslung bringe.

Die Vorträge wirken auf mich wie Predigten in der Moschee – aber wir sind an einer Uni. Das ist ein typischer Trugschluss. Manche Muslime denken islamisch ist etwas nur dann, wenn über Qur’an und Hadithe gesprochen wird. Es müsse sich um Gottesdienste, Fasten und Charakterideale drehen.

Zum richtigen Verständnis meiner Worte: In der Moschee können und sollten wir gerne ausführlich über Gottesdienste sprechen. Problematisch wird es dann, wenn Muslime einzig das für „traditionell-islamisch“ halten und die Universität für eine Moschee halten.

Die Universität ist keine Moschee. Sie ist keine Synagoge. Sie ist keine Kirche. Das gilt nicht nur für Muslime, sondern für alle. Hier gelten andere Normen. Das ist das eine.

Etwas anderes ist ebenfalls wichtig: Als ich während meines Vortrags Fragen gestellt bekomme, antwortete ich auch: „Die Frage möchte ich nicht beantworten. Ich bin hier als Akademiker. Wenn ihr einen theologischen, innerislamischen Vortrag hören möchtet, dann könnt ihr mich für ein anderes Format anfragen.“

Nur weil ich antworten könnte, heißt es nicht, dass ich antworten muss. Ich muss wissen „wer“ ich bin und „wo“ ich bin. So sagte ich es auch im Vortrag. Das ist es, was Adab ist: die Wissenschaft von schöner Lebensart, das gute Betragen.

Ich war vor kurzem als muslimischer Repräsentant bei der Abschlussfeier einer Grundschule und habe aus dem Qur’an vorgetragen und etwas über einige Verse erzählt. Meine dortige Rolle war klar definiert. Ich sollte dort in der Rolle eines Imams auftreten und wurde deshalb gebeten in Gewand und mit Kopfbedeckung zu erscheinen. Kleidung, die ich privat nicht trage. Aber ich war in einer Schule mit der Bitte, Muslime zu repräsentieren. Also wählte ich das, was in einer Moschee üblich ist. Ort und Anlass erlaubten es.

Ich bin privat eher für meine Weste bekannt, die ich unter dem Gewand auch voller Stolz trug. Dieselbe Weste trug ich auch in Kiel. Und ich leitete meinen Vortrag in Kiel mit einem Bild ein. Auf dem Bild war das Mausoleum Rumis in Konya zu sehen. Damit setzte ich ohne Worte das erste Zeichen dafür, was im Vortrag folgen wird. Damit ließ ich andeuten, welche Gelehrtentradition ich wertschätze.

War ein Referent Salafist?

Der Referent Sertac Odabas bemängelte, als Salafist bezeichnet zu werden und dass keine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Vortrag stattgefunden habe. Nun, so funktionieren Medien auch nicht. Es kommt nicht nur darauf an, was ein Referent während eines Vortrags sagt, sondern wofür er steht.

Und wer häufiger Ibn Taymiyya zitiert, lässt sich erstmal nichts zu Schulden kommen. Aber Tatsache ist, dass vor allem die Muslime, die Ibn Taymiyya zitieren, einen Rumi und Ibn ‘Arabi als „Kafir“, also Leugner der göttlichen Einheit, bezeichnen. Wer also häufiger Ibn Taymiyya zitiert und keine anderen muslimischen Gelehrten wie Rumi, setzt sich selbst diesem Verdacht aus.

Wer so vorgeht, darf nicht überrascht sein, wenn er in Verbindung mit dieser Ideologie gebracht wird. Die deutsche Öffentlichkeit kann eventuell nicht nachvollziehen, was ich hier von mir gebe. Deshalb möchte ich es verständlicher machen.

Salafisten in Deutschland 

Vor kurzem wurde eine Moschee in Braunschweig geschlossen. Diese Entscheidung war absolut richtig. Ich komme aus der Region und habe erlebt, wie junge Muslime, die sie besuchten, sich dahingehend radikalisiert haben, dass sie plötzlich Menschen nur nach ihrem Glauben beurteilt haben:

„Ich Muslim gegen die Welt.“ Das ist das Weltbild von Salafisten. Radikale Abendlandsverteidiger denken ähnlich: „Wir wissen, was Freiheit ist und kämpfen gegen den Rest der Welt.“ Das ist das Anzeichen von Ideologen, von Extremisten.

Einige Muslime aus der inzwischen geschlossenen Einrichtung haben nach gemeinsamen Gesprächen erkannt, wie unsinnig das Islamverständnis war, dem sie folgten. Was ist das erste Anzeichen eines Salafisten? Die jungen Muslime, die dort in die Moschee gingen, bezeichneten auf einmal Rumi als Kafir, das heißt als Leugner; oder „Ungläubiger“, wie es fälschlicherweise aus der christlichen Kirchenterminologie übernommen wurde.

Rumi und Ibn ‘Arabi und teilweise auch Abu Hanifa, die seien abgeirrt. Das wird bei Salafisten zu einer wichtigen Angelegenheit in der Religion. Von Berlin über Braunschweig bis Wuppertal – überall ist dies ein Anzeichen von Salafisten. Und ja, das ist gefährlich!

Die Aufgabe der Menschen in dieser Moschee schien zu sein, gegen bestimmte muslimische Gelehrte zu hetzen und allen klar zu machen, dass sie nicht zum traditionellen Islam gehören.

Ich weiß nicht, ob Sertac Odabas Rumi oder Ibn ‘Arabi zu Leugnern erklärt. Sollte er es tun, dann würde eines der klarsten Anzeichen von Salafisten bei ihm zu finden sein. Ich weiß es aber wirklich nicht, ob er es tut. Ich weiß aber das: Menschen, die es tun, für die sind alle „Sufis“, wie sie es nennen, „Erneuerer“ und nicht Teil des traditionellen Islams.

Sich selbst zu einem Repräsentanten des traditionellen Islams zu erklären, ist sehr, sehr gewagt. So tat es Sertac Odabas in seiner Erklärung. Das ist falsch. Damit erweckt er den Anschein, dass seine verbreiteten Ansichten die Norm seien.

Aber: Zum traditionellen Islam gehört Al-Gazali, der intensiv Philosophie studierte und auch von Schäden und Nutzen der Philosophie spricht. Zum traditionellen Islam gehört Mewlana Jalaluddin Rumi, der große Sufimeister aus Konya/Balchi. Dazu gehören auch Ibn ‘Arabi und Konevi, Imam Nawawi und und und… Wer sagt das? Das sagen zum Beispiel prestigeträchtige Dozenten in der Türkei. 

Die echte Herausforderung der Muslime

Im persönlichen Gespräch sagten mir einige Professoren für klassischen Islam, dass es absolut nötig ist, den Islam in Deutschland zu beheimaten. Das sei aber nicht möglich, wenn man bloß aus türkischen oder arabischen Ländern kopiert. Verwiesen wurde ich auf Ustadh Abdalhakim Murad, den mir einer bewundernd als klassischen britischen Muslim bezeichnete.

Was wir benötigen, sind klassische deutsche Muslime. Doch so wie sich Deutsche ständig darüber streiten, was Deutsch ist, fragen sich Muslime in Deutschland das eben auch. Wie typische Deutsche wissen wir, wir Muslime in Deutschland, es doch selbst nicht.

Philisterhaft zu behaupten, man habe die Weisheit mit Löffeln gefressen und etwas Unbedachtes als deutschen Islam zu präsentieren, ist nicht nachhaltig. Wir sind im Prozess es herauszufinden. 

Selman Dilek ist eine Person, die aus der Türkei nach Deutschland kam. Er promovierte zu Meister Eckhart. Und nach kurzer Zeit in Deutschland äußerte er folgende Beobachtung: „Eine Erneuerung, die sich auf die eigentlichen Ziele der Religion stützt, ist für Muslime in Europa notwendig geworden. Denn der Islam ist in Europa ein neues Phänomen. Sein Fortbestehen hängt davon ab, dass eine religiöse Kultur aufgebaut wird.“

Neu meint, dass die große Zahl der Muslime eben relativ neu hier ist. Nun seit fast 60 Jahren. Das ist für den Aufbau einer eigenen Kultur wirklich nicht viel. In diesem Lichte schrieb ich meine Gedichtsammlung „Der deutsche Diwan“. Er leistet einen Beitrag dazu, Heimat in Deutschland zu stiften.

Das alleine stellt schon eine beachtliche Leistung dar. Meine Großeltern konnten nicht flüssig Deutsch, ihr Enkel schreibt Gedichte und erfindet Versmaße auf Deutsch – was für eine Erfolgsgeschichte!

Islam ist keine Kultur. Er ist keine Ideologie. Der Islam ist die Erkenntnis, dass nichts anbetungswürdig ist, außer Gott. Den Islam auf Bräuche und Sitten zu reduzieren, wie es Salafisten oder Antimuslime tun (hierin sind sie sich so dermaßen ähnlich), leugnet, dass der Islam universal ist.

Herders Weisheit ist ein verlorenes Gut

Warum liebe ich den Norden so sehr? Weil ich ihn mit Herder verbinde. Er segelte über die Ostsee. Auch wenn er nie in Kiel war, muss ich an ihn denken, wenn ich eine deutsche Küste sehe. Was ist seine Weisheit: Eine Pflanze, die an einem Ort der Welt blühen kann, kann an einem anderen Ort der Welt nicht auf die selbe Weise blühen. Aber die Natur hält für jede Geographie der Welt Pflanzen bereit und wo nicht, dort ist kein Leben auf Dauer möglich.

Der Islam ist eine Pflanze. Die Frage ist, in welcher Gestalt kann er in Deutschland blühen? Das Fortbestehen von Muslimen hängt nun davon ab, ob sie – wie die Muslime, die in Al-Andalus aufgeblüht sind – zur Kultivierung Deutschlands beitragen werden oder nicht. Kultivieren bedeutet, eine Kultur aufbauen. Das geht nicht mit veralteten Diskussionen darüber, welche Religion vernünftiger sei und welche nicht.

Lessing hat doch bereits gesprochen, welche Religion die natürlichere sei. Goethe hat bereits gesprochen, dass er nicht daran glaube, dass ein Mensch Gott sei. Die Frage, die wir uns stellen müssen: „Was bewirkt mein Glaube in mir? Zu welchen Aktivitäten und Handlungen inspiriert mich das, woran ich glaube?“

Das sind die Fragen, die unsere Gesellschaft bereichern. Und das ist eben für alle interessant. Zu meinen, man sei im Besitz der Wahrheit, das macht träge und hochmütig. Was nützt das, wenn man ein unsympathisches Arschloch ist? Allah te’ala liebt umgängliche Menschen.

Die Frage der Geschlechtertrennung

Ein Vorlesungssaal ist weder eine Synagoge noch eine Moschee (beides Gotteshäuser, in denen Geschlechtertrennung üblich ist, Anm.d.Red.). Es wäre falsch, hier Männer und Frauen anzuweisen, dass sie sich getrennt hinsetzen sollen. Die Studentinnen und Studenten müssen die Freiheit haben, sich hinzusetzen, wohin sie möchten.

Weder muss ich auf einem Platz sitzen bleiben, wenn ich warum auch immer nicht neben bestimmten Menschen sitzen möchte. Noch muss irgendwer anderes sitzen bleiben, wenn er oder sie nicht neben mir sitzen möchte.

Was ich in Kiel beobachtet habe, ist, dass Frauen hinten saßen und Männer vorne. Eine ältere, nichtmuslimische deutsche Dame sagte mir im Anschluss des Vortrags, sie habe sich bewusst neben Männer gesetzt, weil sie mit der Sitzordnung so nicht einverstanden sei – und voilà niemand hat sie aufgefordert, sich umzusetzen.

Das heißt, es war in Kiel möglich, sich als Frau neben Männer oder als Mann neben Frauen zu setzen. Was ich nicht weiß, ist, ob die Teilnehmer angewiesen wurden. Wenn das geschehen ist, dann wäre es nicht korrekt. Jeder Mensch soll sich intuitiv hinsetzen, wo er oder sie möchte.

Und ich lache gerade selbst, bei diesen lächerlichen Sätzen. Womit sind wir bitte beschäftigt? Daraus ein Medienspektakel zu machen, weil Lobbyisten das so wünschen und auch das zum Theologikum zu machen seitens von Muslimen… Und dann wundern wir uns, warum Deutschland sich abschafft… Gute Nacht, wenn das eure Zeit in Anspruch nimmt.

Goethes besondere Form des Deismus und Lessings Kampf dafür, sein Ideendrama aufzuführen, diese Dinge interessieren mich einfach mehr. Denn auch ich kämpfe dafür, dass sich mehr Menschen (symbolisch gesprochen) für Rumi und Goethe begeistern. Die Wirtschaft, das Gemeinwesen, die Atmosphäre in Deutschland – alle würden profitieren.

Was Antisemitismus betrifft, kann ich Folgendes sagen: Wenn es Antisemitismus ist, eine Flagge des Staates Palästina als Aufkleber zu haben, dann gab es Antisemitismus. Wenn die Flagge des Staates Palästina keinen Antisemitismus darstellt, dann gab es keinen.

Jeder Mensch, der etwas gegen Juden hat, weil sie Juden sind, kann, darf und soll meinen Auftritten fernbleiben. Jeder Mensch, der etwas gegen Christen hat, weil sie Christen sind, kann, darf und soll meinen Auftritten fernbleiben. Jeder Mensch, der etwas gegen Muslime hat, weil sie Muslime sind, kann, darf und soll meinen Auftritten fernbleiben.

Foto: Autor

Und jetzt wird mir mein eigener Text gerade zu lang. Ich sitze gerade in der Venloer Straße und genieße einen Kaffee. Das ist mein Moment im Café.

Und: Ich plane bereits meinen nächsten Kiel-Besuch. Warum? Weil Kiel eine geile Stadt ist. Eben der „echte Norden“, wie es heißt. Weil dort die Menschen das zivilisierte Moin moin von sich geben. Und weil es dort das beste Fischbrötchen der Welt gibt! Das waren viele und schwere Gedanken. Das benötigt ein bisschen Kopflüften mit dem Lied Küstenkind! Den Moment am Meer lasse ich mir von niemandem nehmen.

„Die Wellen singen mir ihr Lied
Mit dem Wind zur Melodie
Und die Möwen stimmen ein
Zu meiner Symphonie
Das ist mein Moment am Meer
Den ich tief in mir genieß‘
Den ich in mir seh‘ und fühl‘
Wenn ich die Augen schließ’“

, , ,

Harvard – Bildung in Trumps Amerika

harvard

Juden und Muslime fühlen sich in Harvard nicht wohl. Dabei ist die Eliteuniversität ein Aushängeschild der US-Wissenschaft. (KNA/IZ). Die Universität Harvard steht seit Jahrhunderten für herausragende akademische Leistungen, bahnbrechende Forschung […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

Al-Qarawiyyin – ein Leuchtturm des Wissens

Qarawiyyin

Die Al-Qarawiyyin-Universität erstrahlt als Leuchtturm des Wissens, eine Bastion des Lernens und der Erleuchtung, deren Geschichte tief in die Vergangenheit Nordafrikas reicht.

(iz). Ihre Gründung vor über einem Jahrtausend durch Fatima Al-Fihriya markierte den Beginn einer Ära des intellektuellen Aufblühens und des kulturellen Austauschs, die bis heute nachhallt. Von Idriss Al-Jay

Ein Blick hinter die historischen Mauern dieser ehrwürdigen Institution enthüllt ein faszinierendes Geflecht aus sozialer Solidarität, wirtschaftlicher Innovation und kulturellem Erbe, das weit über ihre akademischen Leistungen hinausreicht. Idriss Al-Jay lässt uns in die verborgenen Geschichten und die vielschichtige Bedeutung der Al-Qarawiyyin-Universität eintauchen, deren Einfluss die Grenzen der Zeit und des Raumes überschreitet.

Al-Qarawiyyin – gegründet von einer Frau

Die Al-Qarawiyyin-Universität wurde während der Herrschaft von Yahya, einem der Söhne von Idris I., gegründet. Das war 100 Jahre vor der Al-Azhar-Universität in Kairo, 300 Jahre vor der ältesten europäischen Universität in Bologna, 341 Jahre vor der Sorbonne und Oxford. „Die älteste Hochschule der Welt, liegt nicht in Europa, wie wir dachten, sondern in Afrika, in Fès, der Hauptstadt von Marokko“, bemerkte der russische Orientalist Bandali Saliba Al-Jawzi.

Fatima Al-Fihriya (800 bis 880) war die Gründerin der Al-Qarawiyyin. Sie wurde in Qairawan (Tunesien) geboren und zog später mit ihrer Familie nach Fès. Al-Qarawiyyin wurde im Jahr 859 erbaut und besteht nicht nur aus Madrasas der großen Moschee, sondern auch auf die 16 ihr angeschlossenen Madrasas wie die Medersa Al Bounaniya, Medersa Al Mesbahia, Medersa Ras Scherrateen und Medersa Attarin.

Al-Qarawiyyin hat einen bedeutenden wissenschaftlichen Ruf erlangt. Dieser wurde jedoch oft von den sozialen und wirtschaftlichen Aspekten überschattet. Bei Erwähnung ihres Namens wird unweigerlich ihre historische Bedeutung im wissenschaftlichen Bereich und die Bekanntheit derjenigen, die dort studiert oder gelehrt haben, hervorgehoben, darunter Persönlichkeiten aus Nordafrika, Andalusien, dem Nahen Osten und dem Westen. Die Namen dieser Gelehrten finden sich in zahlreichen Büchern, Artikeln und Studien wieder.

Ähnlich wie heutzutage europäische Studenten Universitäten besuchen, um Wissen zu erlangen, kamen auch Studenten aus Europa mit dem gleichen Ziel an die Universität Al-Qarawiyyin. Ohne historische Aufzeichnungen von Schülern wie Gerbert von Aurillac, der später als Papst Sylvester II. bekannt wurde, wären diese Informationen verloren gegangen. Wir würden dann nicht wissen, dass er einer von vielen Hunderten von Schülern war, die ihre wissenschaftliche Ausbildung an der Al-Qarawiyyin genossen.

Papst Sylvester II. war der einzige Papst, der Arabisch lernte und die muslimischen Wissenschaften beherrschte. Europa verdankt ihm die Einführung der arabischen Ziffern, der Arithmetik, der Mathematik, der Astrologie und der Astronomie. Sein Interesse an den arabischen Zahlen drückte er in einem Brief an Kaiser Otto III. folgendermaßen aus: „Ich vergleiche sie (die Null) mit den einfachen Ziffern der Zehn (1 bis 9). Sie nimmt an Wert zu, wenn man links von ihr eine dieser Ziffern anordnet.“

Die heutige Übereinstimmung zwischen islamischem und europäischem Recht ist kein Zufall. „Wenn die griechische Zivilisation eine Zivilisation der Vernunft war und die moderne Zivilisation eine Zivilisation der materiellen Wissenschaften ist, so ist die islamische Zivilisation eine Zivilisation der Jurisprudenz“, sagt Mohammed Abed Al Jabri.

Keine Zivilisation vor der islamischen hat je ein Gesetz mit solcher Präzision entwickelt, das das materielle und geistige Leben der Menschen von der Wiege bis zur Bahre regelt. Die Universität Al-Qarawiyyin zählte Menschen aus allen Bereichen des Lebens zu ihren Schülern, darunter der jüdische Gelehrte Mosche ben Maimon, von dem die Juden sagen: „Nach dem Propheten Moses kam niemand an Wissen, außer Moses“, gemeint ist Maimonides.

Unter den zahlreichen Namen der Gelehrten und Philosophen der Al-Qarawiyyin findet man Namen wie Ibn Baddscha, Ibn Arabi, Ibn Zuhr, Abd ar-Rahman Ibn Chaldun, Ibn Al-Khatib bis hin zu Abd Al-Karim Al-Khatabi.

Al-Qarawiyyin hat viele Facetten, die oft in Reiseführern nicht ausführlich beschrieben werden. Diese Reiseführer bieten in der Regel langweilige Informationen wie die Anzahl der Tore (14), der Säulen (260) oder die Kapazität der Gläubigen, die sie aufnehmen kann (bis zu 20.000).

Die Marokkaner und Arabien

Die religiöse und politische Geschichte der Marokkaner ist eng mit der Stadt Medina in Saudi-Arabien verbunden. Ihre Rechtslehre basiert auf den Lehren des Imams von Medina. Malik Ibn Anas, während ihre Koranrezitation von Imam Warsh stammt, einem Rezitator aus Medina, und von Idris I., dem Gründer des ersten unabhängigen Staates in Marokko. Dies geschah unabhängig vom Kalifat der Abbasiden in Bagdad und dem Umayyaden-Kalifat in Andalusien.

Tore der Al-Qarawiyyin

Im Laufe der Geschichte und unter den verschiedenen Dynastien, die Marokko regierten, hat das Gebäude zahlreiche Veränderungen erfahren. Dies spiegelt sich in den Fassaden der 17(!) heutigen Tore wider. Die meisten dieser Tore erzählen Geschichten von Ereignissen und Situationen, die in oder um das Monument herum stattgefunden haben, sei es bei gesellschaftlichen oder offiziellen Anlässen Bab Al-Hufat (Tor der Barfüßer), Bab Al-Muwattiqin (Tor der Notare), Bab Al-Shama’een (Tor der Wachshändler), Bab Al-Warraqin (Tor der Papiermacher), Bab Al-Salihin (Tor der Frommen), Bab Al-Natta’een (Tor der Lederhändler), Bab Al-Khulafa (Tor der Kalifen), Bab Majlis Al-Qada‘ (Tor des Justizrates), Bab Al-Ferkha (Tor des Schlosses), Bab Al-Hududi (Tor der Gesetze), Bab Al-Khaloua (Tor des Rückzugs), Bab Al-Salihin Al-scharqi (östliches Tor der Frommen), Bab Ben Hayoun (Tor Ben Hayoun), Bab Ben Omar (Tor Ben Omar), Bab Al-Saba (Tor der Unterführung), Bab Al-Khessa (Tor des Brunnens), Bab Al-Sefr Al-Chamali (Nördliches Messing-Tor): 

Bab Al-Hufat zählt zu den ältesten Toren der Al-Qarawiyyin und dokumentiert die langjährige Bindung der Unterprivilegierten an diese Institution seit ihrer Gründung. Es ist benannt nach den Menschen, die keine Schuhe tragen und durch dieses Tor gehen sollten, um ihre Füße in einem rechteckigen Waschbecken, das mit Blei überzogen ist, zu reinigen. Denn auch denjenigen, die barfuß sind, steht das Recht zu, durch dieses Tor das wissenschaftliche Gebäude zu betreten, sei es, um am Gottesdienst teilzunehmen oder den Vorlesungen zu lauschen.

Die Al-Qarawiyyin symbolisiert grundlegend soziale Solidarität. Auf der rechten Seite dieses Tores, neben einem Brunnen, der allen Bewohnern des Stadtviertels „Boutouil“ zur Verfügung stand, befand sich eine Töpferwerkstatt. Diese diente als Wohltätigkeitsorganisation für Kinder oder Bedienstete, unabhängig davon, ob sie in Handwerksbetrieben oder in Privathaushalten arbeiteten. Wenn eines ihrer Gefäße zerbrach, erhielten sie von der Werkstatt ein neues, bezahlt von den Mitteln der Al-Qarawiyyin, um zu verhindern, dass sie von ihren Eltern oder Lehrern bestraft wurden. In Fès gab es eine Vielzahl solcher Einrichtungen.

Dieses Tor zählt zu den ältesten in der Stadt und wird auch als „Tor der Zeugen“ bezeichnet, da hier Urkunden und gerichtliche Bescheinigungen ausgestellt wurden. Die Straße, in der sich dieses Tor befindet, beherbergte Notare, um den Bürgern nahe zu sein.

Bab Al-Shama’een (Tor der Wachshändler)

Dieses Tor stammt aus der Regierungszeit von Ali Ibn Yusuf Ibn Tashfin. Es ist das Haupttor der Al-Qarawiyyin-Moschee und trägt verschiedene Namen. Es wird als Bab Al-Najjarin bezeichnet, wie vom Autor von Al-Istibsar erwähnt wird. Es ist auch als Bab Al-Shahid (Tor des Märtyrers) bekannt, in Erinnerung an das Martyrium von Imam Abd Al-Wahid Al-Wanscharissi (1475-1548), der die Bewegung anführte, die sich weigerte, Treue zum Saadi Sultanat (1510-1659) zu schwören.

Aufgrund des Marktes gegenüber dem Tor, auf dem einige Geschäfte Kerzen und Trockenfrüchte anboten, erhielt es den Namen Bab Al-Shama’een. Interessanterweise hat sich das Angebot bis heute nicht wesentlich verändert. In diesem Bereich befindet sich auch der astronomische Turm, der mechanische Wasseruhren und Instrumente zur Beobachtung der Sterne und zur Bestimmung des Planetenzyklus beherbergte.

Bab Al-Warraqin (Tor der Papiermacher)

Das Tor ist auch als Tor der Buchmacher bekannt, da die Geschäfte davor alle dem Verkauf von Schreibpapier, Büchern oder deren Vervielfältigung gewidmet waren. Die Buch- und Papierindustrie gelangte im 12. Jahrhundert aus dem Osten über Tripolis nach Fès und ließ sich in der Nähe der Al-Qarawiyyin nieder, von wo aus sie nach Europa gelangte.

Hassan Al-Wazzan erwähnt, dass es dreißig Geschäfte gab, die sich auf den Verkauf von Büchern spezialisiert hatten. Dieses Tor wurde auch als Bab Al-Adoul (Tor der Notare) bezeichnet, weil die Geschäfte, die früher dem Verkauf von Büchern dienten, später zu Notariaten wurden.

Gegenüber Bab Al-Warraqin befanden sich soziale Einrichtungen der Al-Qarawiyyin, darunter eine Wohnstätte, die für begabte Studenten als Unterkunft diente. Hier wurden auch Fundsachen, die während der Woche gefunden wurden, deponiert. Nach dem Gebet am Freitag wurden sie dann in Bab Al-Salihin ausgerufen.

Bab Al-Salihin (Tor der Frommen)

Dieses Tor erhielt seinen Namen, nachdem bemerkt wurde, dass viele Gottesmänner durch dieses Tor eintraten, wenn sie von der westlichen Seite nach Al-Qarawiyyin kamen, während sie, wenn sie von der östlichen Seite kamen, durch ein gegenüberliegendes Tor eintraten. In seinem Buch „al-Qarawiyyin“ schreibt Dr. Abdelhadi Tazi: „Ich habe keine Erklärung dafür!“.

Bab Al-Natta’een (Tor der Lederhändler)

Das Tor öffnet sich zum Ledermarkt, da Leder ein bedeutendes Produkt für die Buchindustrie ist. In der arabischen Sprache werden daher große und wertvolle Bücher als „Mujallad: Band“ oder „Mujalladat: Bände“ bezeichnet, was vom Wort „Leder“ abgeleitet ist.

Bab Al-Nattaeein wird auch als „Bab Al-Sbitriyin“ bezeichnet, ein Name, den die Andalusier aus dem spanischen Wort „Zapatero“ (Schuhmacher) abgeleitet hatten. Diese Bezeichnung wird auf die Tatsache zurückgeführt, dass im Laufe der Zeit Schuhmacher im Bereich des Tors ansässig wurden. Es wird auch „das Obere Messingtor“ genannt, weil es eines der drei Tore der Al-Qarawiyyin ist, das mit Messing überzogen ist.

Bab Al-Khulafa (Tor der Kalifen)

Dieses Tor wurde gegen Ende der Dynastie der Almoraviden im Jahr 1137 eröffnet und ist als Tor der königlichen Dekrete bekannt. Nur die Kalifen und ihr Gefolge hatten für das Freitagsgebet Zugang zu diesem Tor, wo der Kalif traditionell mit Datteln und Milch empfangen wurde. Der Name „Tor der Kalifen“ wurde gewählt, da es direkt zu einer kleinen Kammer führte, in der der Kalif auf das Freitagsgebet wartete. Das Tor hat sein Pendant in der Großen Moschee von Cordoba.

Bab Majlis Al-Qada‘ (Tor des Justizrates)

Bab Majlis Al-Qada‘ (Tor des Justizrates) verdankt seinen Namen dem früheren Sitz des Richters, der sich links vom Tor befand. Es zählt zu den letzten architektonischen Werken des Almoraviden-Staates nach der Erweiterung der Moschee. Es wird auch als „Bab Al-Kutub“, Tor der Bücher, bezeichnet, da hier täglich ein Markt für den Verkauf und Austausch von Büchern stattfand.

Es ist auch als „Tor zur Begräbnismoschee“ bekannt, da es zur Begräbnismoschee führt, die sich in der Nähe der Al-Qarawiyyin befindet. Die Begräbnismoschee wurde errichtet, um die juristische Debatte darüber zu lösen, ob die Toten vor der Bestattung gereinigt werden sollten oder nicht. In Marokko gibt es nur wenige Begräbnismoscheen, und im Orient sind sie fast unbekannt, mit Ausnahme der Begräbnismoschee von Damaskus. Sevilla soll ebenfalls eine Begräbnismoschee gehabt haben, so Abd Al-Majid ibn Abdun.

Bab Al-Ferkha (Tor des Schlosses)

Es handelt sich um ein kleines Tor, das von den Gehilfen der Moschee bei Bedarf als Hintereingang genutzt wurde. Es befindet sich unter einem Schuppen zwischen zwei Häusern, der als „As-Sabat“ bekannt ist und auch als das „Tor des Identitätsschutzes“ bezeichnet wird. Dieses Tor wurde mit Rücksicht auf die Sensibilität der Menschen genutzt und diente als versteckter Zugang für Prozessbeteiligte, sowohl Männer als auch Frauen, um beispielsweise einen Eid abzulegen.

Bab Al-Hududi (Tor der Gesetze)

Hinter der Schatzkammer von Al-Qarawiyyin, die mit der Moschee verbunden ist, liegt ein Bereich, der 1349 von Abu Inan Faris erbaut wurde. Das Untergeschoss dieser Bibliothek spielte vor seinem Umbau eine wichtige wirtschaftliche und banktechnische Rolle.

Die erste Einrichtung, die den heutigen internationalen Banken ähnelte, entstand hier. Im 12. Jahrhundert richtete die Verwaltung von Al-Qarawiyyin die weltweit erste Schatzkammer ein, da die Institution über beträchtlichen Reichtum verfügte, der von Gläubigen gespendet wurde und mit staatlichen Finanzen konkurrierte.

Die älteste noch heute aktive Bank der Welt ist die „Monte dei Paschi di Siena“ in Italien, gegründet 1472. Ihr folgten die Staatsbank von Venedig 1587 und die Bank von Amsterdam 1609. Alle dienten dazu, Einlagen zu sichern.

Die Idee, einen Tresor zu errichten, um wertvolle Schätze aufzubewahren, entstand aus dieser Notwendigkeit. Der Tresor befand sich unter dem später errichteten Säulengang, der die Bibliothek umgibt. Die Schatzkammer war mit einer soliden Konstruktion ausgestattet, und jede Tür war mit drei Schlüsseln versehen, die drei Beauftragten zugewiesen waren, um sicherzustellen, dass sie nur in Anwesenheit aller drei geöffnet werden konnten.

Im Inneren der Schatzkammer befanden sich gut gefertigte Kästen und Schlösser, in denen das Geld der Moscheeverwalter aufbewahrt wurde. Aufgrund ihrer hohen Sicherheit vertrauten Kaufleute und Geldverleiher dieser Schatzkammer ihre Einlagen an.

In unmittelbarer Nähe der Al-Qarawiyyin in „Darb Al-R‘ton“ befand sich „Dar Al-Afiya (Haus der Erholung)“, ein voll ausgestattetes Haus, in dem arme Frischvermählte, die sich keine Hochzeit leisten konnten, bis zu zwei Wochen lang kostenlos unterkommen konnten. Abd Al-Malik bin Hayoun (gest. 1202) stiftete in „Adwa Al-Qarawiyyin“ zwei solcher Häuser, zwei weitere gab es in „Adwa Al-Andalus“. (Fès bestand aus 2 „Städten“, Arabisch Adwa).

Bab Al-Khaloua (Tor des Rückzugs)

Dieses Tor, das über alle anderen Außentore der Al-Qarawiyyin hinausragt, erfordert das Erklimmen von neun Stufen, um erreicht zu werden. Es trägt den Namen „Bab Al-Khaloua“ aufgrund seiner Nähe zu einer Leseecke, die während der Expansion der Almoraviden errichtet wurde.

Gegenüber diesem Tor liegt das „Dar Al-Nissa“, ein Frauenhaus, das ausschließlich Frauen vorbehalten war, die vor häuslicher Gewalt flohen. Es wurde von einer Frau geleitet, und die Frauen, die hier Zuflucht suchten, verließen es erst, wenn ihre Ehemänner sich gerichtlich verpflichteten, keine Gewalt mehr anzuwenden.

Alle Kosten dieser Einrichtung wurden von den Mitteln der Al-Qarawiyyin getragen. Dieses Frauenhaus ist mehrere Hundert Jahre älter als das älteste europäische Frauenhaus.

Bab Al-Salihin Al-Scharqi (Östliches Tor der Frommen)

Das Tor befindet sich schräg gegenüber dem „Bab Al-Awliya (Gottesfreunde)“. Wenn man sich in westlicher Richtung bewegt, gelangt man zum Hof der Großen Thuraya (Kronleuchte). Dr. Abdelhadi Al-Tazi berichtete, dass er alte juristische Dokumente untersucht hatte, die auf die Zeit von Sultan Moulay Ismail zurückgehen. Aus diesen Dokumenten geht hervor, dass das Tor schon immer diesen Namen trug. Eine alternative Bezeichnung für das Tor ist „Bab Sba‘a Louyat (Tor der 7 Kurven)“, was auf die nahegelegene Gasse „Sba‘a Louyat“ zurückzuführen ist.

Bab Ben Hayoun (Tor Ben Hayoun)

Die Gasse gegenüber ist nach dem andalusischen Philanthropen Abdelmalek Ben Hayoun benannt und trägt noch heute diesen Namen. Hier befand sich ein Hammam, das insbesondere den Schülern und Lehrern der umliegenden Schulen als Reinigungsstätte diente.

Abdelmalek Ben Hayoun war bekannt für seine humanitären Taten, darunter die Übertragung von zwei Dritteln seines Besitzes an die Armen während Zeiten hoher Preise, um sie zu unterstützen, um mit den steigenden Kosten zurechtzukommen. Nach seinem Tod vermachte er zwei Drittel seines Vermögens den Gefangenen und ein Drittel den Armen.

In dieser Gasse steht bis heute ein Haus, in dem Ahmed Al-Maqqari Tlemceni (1578-1631) lebte, der Autor des berühmten Buches „Nafh Al-Tayyib“.

Gegenüber diesem Tor liegt die Abdul Majid Karawanserei, benannt nach dem Gelehrten Abdul Majid Al-Badissi, der dort lebte. Diese Karawanserei erfüllte eine wichtige soziale Funktion. Es war für Frauen bestimmt, die Milch gaben. Sie wurden damit beauftragt, Babys zu stillen, deren Mütter entweder früh verstorben waren oder aus anderen Gründen nicht in der Lage waren, ihre Kinder zu stillen. Diese Frauen erhielten eine Vergütung, die von der Al-Qarawiyyin gezahlt und von zwei Notaren dokumentiert wurde.

Bab Ben Omar (Tor Ben Omar)

Das Tor stammt aus der Zeit der Almohaden, das während der Herrschaft der Meriniden restauriert wurde. Es trägt den Namen des Schreiners Ben Omar, der maßgeblich an seiner Konstruktion beteiligt war und einen Großteil seiner Arbeit diesem Tor gewidmet hat.

Bab Al-Saba (Tor der Unterführung)

Bab Al-Saba ist ein eher unauffälliges Tor, das den Eingang auf der Nordseite der Moschee markiert. Es ist ausschließlich für Frauen reserviert und befindet sich über einem Lagerhaus, vor dem Haus der Imame.

Bab Al-Khessa (Tor des Brunnens)

Bab Al-Khessa gehört zu den älteren Toren und stammt aus einer Zeit vor dem Bau des Brunnens, der erst 1203 während der Herrschaft der Dynastie Zenati errichtet wurde.

Bab Al-Sefr Al-Chamali (Nördliches Messing-Tor)

Das nördliche Messing-Tor verdankt seinen Namen der Messingverkleidung, die es ziert. Es ist auch als „Tor der Blinden“ bekannt, da es oft von blinden Bettlern frequentiert wird.

Eine weitere Bezeichnung für dieses Tor ist das „Bab al Ward, das Rosentor“. Diese Bezeichnung hat ihren Ursprung in einem Vorfall, bei dem ein Mann sein Pferd am Tor band. Als er zurückkehrte, bemerkte er, dass sich mehrere Menschen um das Pferd versammelt hatten und die Hinterlassenschaften des Tieres anprangerten. Der Besitzer versprach daraufhin, das Tor wieder aufzubauen. Als Zeichen der Buße und als Ehrung für die Moschee beschloss er, statt normalem Wasser Rosenwasser für den Mörtel zu verwenden. Seitdem wird das Tor auch als das „Rosentor“ bezeichnet.

* Übersetzung aus dem Arabischen: F. Filali und I. Al-Jay

,

Die Frau, die eine Universität schuf. Wer war Fatima Al-Fihri?

Obwohl das Thema des Erbes der muslimischen Zivilisation umfangreich ist, fällt eine Persönlichkeit auf: Fatima al-Fihri. (Amaliah.com) Obwohl das Thema des Erbes der muslimischen Zivilisation umfangreich und es empfehlenswert ist, […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

,

Studierende zwischen Kooperation und Widerstand

studierende

Studierende: Wie muslimische Hochschulgemeinschaften mit Rassismus an Universitäten umgehenund trotzdem optimistisch bleiben. (iz). Als Gründer der Muslimischen Hochschulgemeinschaft (MHG) in Hildesheim habe ich aus erster Hand die bemerkenswerte Arbeit miterlebt, […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

Interview: Uni-Rektorin Nelles weist Kritik am Islam-Zentrum Münster zurück

(KNA) Das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Universität Münster steht in der Kritik der muslimischen Verbände. Uni-Rektorin Ursula Nelles äußerte sich am Montag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) und wies die Vorwürfe zurück.

KNA: Frau Rektorin Nelles, der Bundespräsident besucht Ende November das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT)…

Nelles: Bundespräsident Joachim Gauck besucht vorrangig die Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Er hat aber sein besonderes Interesse für das ZIT bekundet, weil er dem interreligiösen Dialog einen großen Stellenwert einräumt.

KNA: Die muslimischen Verbände attackieren öffentlich ZIT-Leiter Mouhanad Khorchide. Ist das ein guter Zeitpunkt für den Besuch?

Nelles: Der Bundespräsident ist jederzeit willkommen. Möglicherweise kommt die Kritik der Verbände auch gerade jetzt im Vorfeld der Visite des Staatsoberhauptes auf, um besondere öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen.

KNA: Der Koordinationsrat der Muslime mit seinen vier Verbänden klagt darüber, bei Lehrinhalt und Lehrpersonal nicht mitreden zu dürfen.

Nelles: Grundsätzlich gilt für die islamische Theologie das Gleiche wie für die christliche: Kirchen beziehungsweise Religionsgemeinschaften einerseits und der Staat andererseits sind in unserem freiheitlichen Gemeinwesen getrennt. Die Universität als Teil der staatlichen Behörden garantiert die Forschungs- und Lehrfreiheit. Bei den bekenntnisorientierten Studiengängen sind wir aber verpflichtet, die Glaubensfreiheit der Religionsgemeinschaften zu respektieren und deren Mitwirkungsrechte sicherzustellen. Die entsprechenden Konkordate und Staatskirchenverträge haben wir analog konsequent auf die islamische Theologie übertragen. Wir berufen die Professoren nach wissenschaftlichen Kriterien, ernennen sie aber erst, wenn die Religionsgemeinschaften ihre Zustimmung gegeben haben.

KNA: Mit den Kirchen haben sie ein direktes Gegenüber. Die staatlich nicht als Religionsgemeinschaften anerkannten muslimischen Verbände sollen ihre Vertreter in einen Beirat des ZIT entsenden und darüber mitreden. Das Gremium hat sich aber noch gar nicht konstituiert. Klagen die muslimischen Verbände nicht zu Recht darüber, dass ohne sie Fakten geschaffen werden?

Nelles: Nein, denn wir haben bislang keinerlei mitwirkungsbedürftige Entscheidungen wie beispielsweise die Ernennung eines Professors oder die Verabschiedung von Lehrinhalten gefällt. Nach der Beiratsordnung beruft die Universität acht Mitglieder: Vier Personen ernennt die Universität im Einvernehmen mit dem KRM, und weitere vier schlägt der Koordinationsrat selbst vor. Gegen einen von diesen mit Nähe zum Islamrat gab es Vorbehalte des Bundes wegen der Verfassungstreue. Deshalb konnte ich ihn nicht für den Beirat berufen – andernfalls würde die Universität riskieren, dass der seine Zuschüsse für das Zentrum wieder streicht.

KNA: Zeigt der Vorgang, dass das Beiratsmodell nicht funktioniert?

Nelles: Die Beiratslösung ist sicher nicht optimal und eine Art Hybrid-Lösung. Bei den christlichen Fakultäten haben wir ein klares Gegenüber: die Universität auf der einen Seite und die davon organisationsrechtlich getrennten Kirchen andererseits. Beim Beirat macht man die Bekenntnisgemeinschaft zu einem Teil der Binnenstruktur der Universität. Das löst Probleme aus. Es wäre besser und ehrlicher, wenn man eine legitime Vertretung der islamischen Religionsgemeinschaften neben der Universität hätte – mit all den Mitspracherechten, wie sie die Kirchen auch haben.

KNA: Auch Khorchide lehnt die Beiratslösung ab…

Nelles: Das stimmt nicht. Er hat die selben Vorbehalte wie ich. Aber im Moment gibt es keine andere Lösung zu dem vom Wissenschaftsrat vorgeschlagenen Modell.

KNA: Der Lehrbetrieb läuft seit einem Jahr. Wie stellen Sie die in der Verfassung abgesicherte Religionsfreiheit denn sicher?

Nelles: Wir haben, wie gesagt, seitdem keine einzige endgültig bindende Entscheidung getroffen. Die beiden Lehrstuhlvertreter, die neben Herrn Khorchide im Zentrum lehren und forschen, haben nur Verträge, die auf ein Semester befristet sind. Zudem haben wir keine Lehrpläne abschließend beschlossen, sondern nur semesterweise das Curriculum fortgeschrieben. Dabei haben wir eine vorläufige Genehmigung des nordrhein-westfälischen Schulministeriums eingeholt, das sich nach der Einführung des islamischen Religionsunterrichtes in NRW auf einen eigenen Beirat stützen kann.

KNA: Die Verbände haben ein Gutachten über die Arbeit Khorchides angekündigt. Was ist, wenn sie ihm das Vertrauen entziehen?

Nelles: Die Verbände haben selbst der Berufung von Khorchide zugestimmt. Wenn sie nun inhaltliche Einwände haben, mischt sich die Universitätsleitung grundsätzlich nicht ein – eben wegen der Trennung von bekenntnisorientierten Wissenschaftsinhalten einerseits und staatlicher Sicherstellung von Forschungsfreiheit andererseits. In der aktuellen Diskussion vermischen sich aber leider politische und theologische Fragen – ob beispielsweise alles verfassungsrechtlich korrekt organisiert ist und ob Khorchides Positionen allgemeine Meinung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft sind.

KNA: Kann es sein, dass Khorchide wie sein Vorgänger Sven Kalisch den Lehrstuhl verliert?

Nelles: Der Vergleich mit Herrn Kalisch ist unsinnig. Herr Kalisch hatte öffentlich erklärt, kein Muslim mehr zu sein. Vor diesem Hintergrund kann er natürlich nicht mehr islamische Theologie lehren, weshalb die Universitätsleitung ihn als Beamten mit einer anderen Aufgabe betraut hat – erneut in Analogie zu den Konkordaten und Staatskirchenverträgen. Solche Fälle gab es auch in der katholischen Kirche. Das zeigt, dass wir das Mitspracherecht der Glaubensgemeinschaften respektieren.

KNA: Eine Abberufung von Khorchide ist also auch möglich?

Nelles: Ja. Wenn der Beirat sich konstituiert, kann er das machen.

KNA: Und Sie haben wieder ein Problem.

Nelles: Das sind keine Probleme, das sind Herausforderungen – in diesem Fall übrigens eher hypothetischer Natur. Wann immer man etwas Neues anfängt, muss man damit rechnen, dass es am Anfang Verwerfungen gibt. Wir haben noch keine allzu lang zurückreichenden Erfahrungen mit der islamischen Theologie und sind in einer Art Experimentierphase. Wo, wenn nicht an Universitäten, sollte dieses Experiment Schritt für Schritt durchgeführt werden?

KNA: Drohen nicht Dauerauseinandersetzungen, wenn der Beirat seine Arbeit aufnimmt?

Nelles: Ohne Auseinandersetzungen gäbe es keine Wissenschaft, keine Streitkultur und keine Debatten. Ich bitte geradezu um die Auseinandersetzung mit der islamischen Theologie. Diese müssen aber die Theologen und die Religionsgemeinschaften selbst führen und nicht die Universitätsleitung. Ich fürchte mich ja auch nicht vor der katholischen Kirche, nur weil sie schon mehrfach Professoren die Lehrbefugnis entzogen hat.

KNA: Wie entwickelt sich – unabhängig von den aktuellen Querelen – das islamische Zentrum?

Nelles: Sehr gut. Das Interesse ist groß. Für das laufende Wintersemester hatten sich rund 1.000 Bewerber auf 260 Plätze beworben. Durch die Einführung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichtes in NRW ist ein attraktives Berufsfeld entstanden. Auch in der öffentlichen Diskussion über die Inhalte des Studienganges sehe ich einen Erfolg. Sie zeigt, dass wir ihn brauchen.

Bekir Alboga erneuert Kritik am aktuellen Stand des Beiratsverfahren des ZIT Münster

Düsseldorf (KNA). Der Druck auf den Islamwissenschaftler Mouhanad Khourchide in Münster nimmt zu. Nach dem Zentralrat der Muslime (ZDM) äußerte nun auch der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime (KRM), Bekir Alboga, am Donnerstag in Düsseldorf gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) Bedenken, ob Khorchide seinen Lehrstuhl „konfessionsgebunden leiten“ könne.

Dem Koordinationsrat gehören der Zentralrat, der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) sowie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) an. Alboga ist auch stellvertretender Generalsekretär der Ditib.

Er wirft Khorchide vor, die Mitarbeit der muslimischen Verbände in dem Beirat des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster abzulehnen. Der Beirat, der über Lehrinhalte- und -personen entscheidet, soll aus je vier Vertretern der Universität und des KRM bestehen. Jeder Verband im KRM entsendet einen Vertreter. Zwei vom Islamrat nacheinander vorgeschlagene Kandidaten wurden laut Alboga wegen offensichtlicher verfassungsrechtlicher Bedenken abgelehnt. Deshalb arbeitet der Beirat an dem mit Bundesmitteln geförderten Zentrum noch nicht. Gleichwohl läuft der Lehrbetrieb seit dem Wintersemester 2012.

Die Universität Münster hatte bei der Ernennung Khorchides im Jahre 2010 die Zustimmung des KRM eingeholt. An dem Zentrum werden islamische Religionslehrer und Imame ausgebildet. Da der Islam im Gegensatz zu den Kirchen nicht als klar definierte Religionsgemeinschaft anerkannt ist, bestimmt ersatzweise der Beirat über Lehrinhalte und -personal. Mit diesem Verfahren lehnt sich die Hochschule an das Berufungsverfahren für katholische und evangelische Theologie-Professoren an und folgt zugleich einer Empfehlung des Wissenschaftsrates.

Alboga wies Vorwürfe zurück, dass die muslimischen Verbände die Funktionsfähigkeit des Beirats blockierten. Der KRM habe sich darauf verständigt, „zum letzten Mal“ einen weiteren Kandidaten vorzuschlagen.

Muslimische Verbände kritisieren Theologie-Zentrum in Münster

Köln (KNA). Die muslimischen Verbände in Deutschland kritisieren den Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) in Münster, Mouhanad Khorchide. „In Münster werden Inhalte beschlossen und Professoren bestellt – über die Köpfe der Religionsgemeinschaften hinweg“, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, am Dienstag in Köln. Münster agiere nicht im Einklang mit verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach Lehrinhalt und Lehrpersonal mit den Religionsgemeinschaften abgestimmt werden sollen.

Inhaltlich wirft Mazyek Khorchide vor, wie ein Orientalist und nicht wie ein Vertreter einer bekenntnisorientierten Religion zu argumentieren. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) werde in Kürze ein theologisches Gutachten herausgeben, das „Punkt für Punkt“ Khorchides Theologie unter die Lupe nehme.

Mazyek forderte, dass das ZIT seine Arbeit solange ruhen lasse, bis sich der Beirat konstituiert hat, der über Lehrinhalte und Lehrpersonal befindet. Das Gremium besteht aus je vier Vertretern der Universität und des KRM. Weil von den Verbänden vorgeschlagene Kandidaten wegen ihrer Nähe zum Islamrat vom Bundesverfassungsschutz nicht akzeptiert werden, arbeitet der Beirat nicht. Gleichwohl läuft der Lehrbetrieb seit dem Wintersemester 2012.

Mazyek warnte davor, ohne die Religionsgemeinschaften Fakten zu schaffen. Weiter kritisierte er, dass Khorchide selbst gegen die Beiratslösung ist. Damit stelle er sich gegen die Verfassung. Es sei unhaltbar, dass das ZIT in dieser Situation Bundesgelder bekomme. Die Handlungsfähigkeit des Beirats sei so schnell wie möglich herzustellen. „Taktische Spielchen können wir uns nicht leisten, das sage ich in alle Richtungen“, so Mazyek.

Khorchide hatte in einem „Zeit“-Interview gesagt, dass er das Beiratsmodell und die damit verbundene Lehrerlaubnis am liebsten abschaffen würde. Stattdessen sei er für eine Selbstverpflichtung, in der stehe, dass man ein Leben nach islamischen Maßstäben führe. Ende November will Bundespräsident Joachim Gauck das Zentrum in Münster besuchen. Mazyek begrüßte die Visite als Würdigung der islamischen Theologie an den Hochschulen.

Interview: Muslimische Verbände kritisieren Theologie-Zentrum in Münster

(KNA). Die muslimischen Verbände sind unzufrieden mit dem Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) in Münster, Mouhanad Khorchide. Über die Gründe äußert sich der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, am Dienstag im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Köln.

KNA: Herr Mazyek, der Bundespräsident besucht Ende November das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) in Münster. Aber ihre Freude ist getrübt…

Mazyek: Mit dem Besuch würdigt der Bundespräsident, dass an deutschen Hochschulen neben der christlichen Theologie nun auch der islamische bekenntnisorientierte Glaube gelehrt wird. Dies rechne ich Herrn Gauck hoch an – wie seinem Amtsvorgänger, der bereits die islamische Theologie an der Uni Osnabrück besucht hat.

KNA: Dennoch sind Sie nicht einverstanden damit, wie es derzeit in Münster läuft.

Mazyek: Die vier im Koordinationsrat (KRM) zusammengeschlossenen muslimischen Religionsgemeinschaften sind besorgt über das, was da in Münster passiert. Wir bekommen täglich Briefe von unseren Gemeindemitgliedern, die sich beschweren. In Münster werden Inhalte beschlossen und Professoren bestellt – über die Köpfe der Religionsgemeinschaften hinweg. Münster agiert nicht entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach Lehrinhalt und Lehrpersonal in Abstimmung mit den Religionsgemeinschaften festgelegt werden sollten. ZIT-Leiter Mouhanad Khorchide will ja offenkundig diese Mitsprache auch noch ganz kappen. Aber sein Mandat ist explizit auf diese Zustimmung aufgebaut, weil bekenntnisorientierter Glaube vermittelt werden soll und keine Orientalistik. Khorchide redet, schreibt und handelt aber wie ein Orientalist und nicht wie ein Islamlehrer. Und das ist die Krux aller Probleme.

KNA: Tragen die muslimischen Verbände nicht selbst Schuld an der Misere? Die Uni hat ihre vier Mitglieder für den Beirat nominiert. Der KRM hat mit der Besetzung seiner vier Kandidaten dagegen Probleme, weil der Bundesverfassungsschutz bei dem einen oder der anderen eine zu große Nähe zum Islamrat moniert.

Mazyek: Zwischenzeitlich ist eine von der Uni bestellte Person des Beirats aus Protest über das Vorgehen in Münster zurückgetreten. Es muss so schnell wie möglich Handlungsfähigkeit des Beirats hergestellt werden. Taktische Spielchen können wir uns nicht leisten, dass sage ich in alle Richtungen. Ich kann auch nicht ganz nachvollziehen, dass der Vertreter des Islamrats im nordrhein-westfälischen Beirat sitzen darf, der die Inhalte für den schulischen Religionsunterricht festlegt, in Münster aber nicht. Der Islamrat sucht jetzt aber dennoch eine neue Person. Und ich hoffe, dass bald eine verträgliche Lösung gefunden wird, mit der alle leben können.

KNA: Soll das ZIT seine Arbeit ruhen lassen, bis der Beirat steht?

Mazyek: Für Münster hätte dies den größten Vorteil. Die Uni würde auf einen Schlag den Geruch los, die Situation auszunutzen und ohne die Religionsgemeinschaften Fakten zu schaffen.

KNA: Khorchide selbst ist gegen die Beiratslösung und den Einfluss der islamischen Verbände. Aus seiner Sicht gibt es im Islam keine amtliche Lehrerlaubnis.

Mazyek: Damit stellt er sich gegen die Verfassung. Diese sieht vor, dass die Lehrerlaubnis durch die Religionsgemeinschaft begründet wird. Khorchides Vorstoß bedeutet im Umkehrschluss, dass er sich selbst diese Befähigung geben und alleiniger Master islamischer Rechtsprechung werden will. Es ist unhaltbar, dass solch ein Konsortium, das sich explizit gegen die Vorgaben des Wissenschaftsrates setzt, weiter Bundesgelder bekommt. Solche Vorstöße sind in der Öffentlichkeit vielleicht schick, weil sie gegen muslimische Verbände gerichtet sind. Sie gefährden aber nachhaltig den Standort Münster.

KNA: Was stört Sie denn so sehr an der Arbeit von Khorchide?

Mazyek: Wie gesagt, er argumentiert wie ein Orientalist und nicht wie ein Vertreter einer bekenntnisorientierten Religion. Der KRM wird in Kürze ein Gutachten herausgeben, das ausgewiesene Theologen erstellen, in dem wir sachlich Punkt für Punkt seine sogenannte Theologie vor dem Hintergrund des reichen Fundus der 1.400-jährigen islamischen Geistesgeschichte genauer unter die Lupe nehmen.

KNA: Khorchide ist dagegen, den Islam auf rechtliche Regelungen zu reduzieren und will juristische Aussagen – etwa, dass Dieben die Hand abzuhacken sei – nicht wörtlich verstehen, sondern im historischen Kontext. Ist Ihnen der Professor zu liberal?

Mazyek: Gar nicht, nur muss diese Liberalität auch mit Substanz gefüllt sein. Längst stellen zum Beispiel viele Gelehrte die drakonischen Hadd-Strafen unter ein Moratorium. Damit wird man doch nicht gleich liberal. Khorchide benutzt bekannte mutazilitsche Ansätze (eine islamische Denkrichtung, Anm. d. Red.), verwoben mit autobiografischen Erlebnisberichten. Auch manch Alttestamentarisches ist dabei, wenn man mal bestimmte Begriffe heranzieht. Wirklich Neues ist nicht zu erkennen. Daran ändert auch nichts, wenn man sich als besonders liberal oder als Reformer preist, was zugegeben hierzulande geradezu elektrisiert. Was aber hinten raus kommt, ist wichtig. Und das ist theologisch und wissenschaftlich ziemlich dünn?

KNA: Was soll Khorchide denn anders machen?

Mazyek: Der Islam ist in Deutschland eine junge Wissenschaft. Da brauchen wir Professoren, die zunächst einmal die 1.400-jährige muslimische Geistesgeschichte aufarbeiten. Und das heißt: Monografien und analytische Bibliografien sprachlich und kulturell in den deutschen Sprachraum zu bringen. Vor dem Experiment kommt die Bestandsaufnahme, sonst bleibt das Experiment eine Luftblase. Im Bereich Monografien und Bibliografien haben bislang nur Orientalisten gearbeitet, die aber anders an die Texte herangehen als bekenntnisorientierte Wissenschaftler.

KNA: Khorchide setzt aus Ihrer Sicht die falschen Prioritäten?

Mazyek: Ich denke schon. Ich will das an einem Beispiel erklären. Vorbildlich, obwohl ohne bekenntnisorientierten Anspruch, ist das Projekt «Corpus Coranicum» der Berliner Arabistik-Professorin Angelika Neuwirth. Sie bemüht sich um eine der Überlieferung entsprechende Übersetzung des Korantextes in die heutige Zeit. Nicht alles würde ich kritiklos hinnehmen. Aber an ihrer Art erkennt man einen wissenschaftlichen Ethos und eine gewisse Demut, die ich mir bei Khorchide wünsche. Neuwirth zeigt: Man kann frei forschen, ohne die wissenschaftliche Würde zu verraten. Es geht mir gar nicht um Linientreue oder so. Aber eine Jahrhunderte alte Geistesgeschichte mit exzellenten wissenschaftlichen Arbeiten plus Glaubensvermittlung lässt sich nicht in den Kategorien liberal oder konservativ beschreiben. Das suggeriert aber Khorchide. Er macht sich so zwar populär, aber wissenschaftlich angreifbar, weil oberflächlich.

KNA: Khorchides Vorgänger, der Islamtheologe Muhammad Sven Kalisch, hat die Zustimmung der islamischen Verbände verloren, nachdem er die Existenz Mohammeds angezweifelt hatte. Droht nun auch Khorchide eine Abberufung?

Mazyek: Nochmals, es geht hier nicht um Orientalistik, sondern um die Glaubenslehre. Hier muss es ein Mindestmaß an Authentizität geben. Dieses zu beurteilen, obliegt weder dem Staat, der neutral bleiben muss, noch dem einzelnen Wissenschaftler. Was authentisch ist, müssen die Gläubigen sagen, – allerdings plausibel. Warten wir erst mal, was das Gutachten des KRM ergibt.

KNA: Spielen Sie nicht das Spiel des radikalen Salafisten Pierre Vogel? Er fordert im Internet vollmundig, Khorchide von der Universität zu vertreiben.

Mazyek: Noch schlimmer, er erklärt ihn zum Glaubensverweigerer. Diese Äußerungen sind extrem populistisch und gleichsam hochgefährlich. Jemanden kraft irgendwelcher Autorität zum Kafir, also zum Ungläubigen oder Glaubensverweigerer zu erklären, lehnen wir rundweg ab. Übrigens hat Khorchide in seinem Buch die Neo-Salafisten ebenso zu Glaubensverweigerer erklärt. Damit hat er, vielleicht ohne es zu merken, das Geschäft der Fundamentalisten bedient.

Avni Altiner antwortet auf die Vorwürfe des Münsteraner Professors und Dozenten Mouhanad Khorchide

(iz). Mouhanad Khorchide unterstellt mir [sowie der Redaktion der Islamischen Zeitung, Anm.d.Red.] in einem Interview, das vor Kurzem auf der Online-Plattform www.islam.de veröffentlicht wurde, ein „lebensfeindliches Verständnis“ des Islam zu propagieren und im Sinne der Salafisten zu polarisieren.

Ich wollte – so Khorchide – gemeinsam mit den Salafisten nicht, dass der Islam mit Barmherzigkeit in Verbindung gebracht wird und hätte behauptet, dass die theologischen Thesen von Khorchide meilenweit von der muslimischen Basis entfernt seien. Zu diesen Vorwürfen und Unterstellungen nehme ich folgendermaßen Stellung:

Befremdliche Vorwürfe eines Hochschullehrers
Bis auf den letzten Punkt entspricht nichts von dem weder meiner persönlichen Position, noch der meiner Religionsgemeinschaft, der Schura Niedersachsen. Dies sind einseitige Unterstellungen und befremdliche Vorwürfe eines Hochschullehrers, der anscheinend nur sich selbst und seine Theologie für lebensfreundlich hält. Wer jedoch den „Spaß am Leben“, wie es Khorchide selbst formuliert, gegen islamische Grundwerte und Normen definieren möchte und dadurch die Religion zur Beliebigkeit degradieren will, muss dies offen bekunden. Ich habe so wenig mit den Salafisten zu tun, wie die Theologie von Khorchide selbst mit dem islamischen Mainstream und der muslimischen Basis in Deutschland zu tun hat.

Randständige Positionen
Von einem Beamten, der mit staatlichen Geldern finanziert wird und glaubt islamische Theologie zu betreiben, wäre jedoch zu erwarten, dass er die islamischen Glaubensgrundsätze beachtet, wenn er die künftigen Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht und die Imame (allgemeiner Religionsbedienstete) für die Moscheegemeinden ausbilden möchte. Dies ist keine Zumutung und auch keine Positionierung gegen die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, sondern eine Selbstverständlichkeit im weltanschaulich-neutralen Staat. Denn seine unseren Glaubensüberzeugungen widersprechenden normativen Hypothesen kann er im universitären Rahmen sehr wohl auch in der Islam- oder Religionswissenschaft lehren und darlegen, womit wir keinerlei Probleme hätten. Wer jedoch A sagt muss auch B sagen, der Anspruch islamische Theologen auszubilden, geht mit dem Wagnis einher sich nicht nur auf die Glaubensgrundsätze der Muslime einzulassen, sondern diese auch zu verinnerlichen und zu teilen. Seine randständigen Positionen als den unverfälschten Islam im wahrsten Sinne des Wortes zu verkaufen und die Repräsentanten der islamischen Religionsgemeinschaften als lebensfeindlich zu deklarieren, übertrifft jede Form von Dreistigkeit.

//2r//Nicht nur ich selbst, sondern viele andere exponierte Vertreter der Muslime in Deutschland haben sich von den Positionen Khorchides distanziert und diese kritisiert. Neben Ditib Nord, haben sich Vertreter von Schura Hamburg und auch Ditib Hessen ausdrücklich von seinen Thesen abgegrenzt und ihr Befremden zum Ausdruck gebracht. Auch Ditib-Sprecher Bekir Alboga hat diese Thesen verurteilt und sich sehr irritiert darüber gezeigt.

Kritik wird als „unwissenschaftlich“ diffamiert
Da Khorchide jede Kritik an seinem veröffentlichten Buch als unislamisch und unwissenschaftlich bezeichnet, möchte ich klarstellen, dass ich hier lediglich auf die von ihm veröffentlichten und mit großem Wohlwollen der nichtmuslimischen deutschsprachigen Presse unterstützten Positionen lediglich reagiere und hierzu Position beziehe. Er durfte in den wichtigsten Presseorganen dieses Landes in der nichtmuslimischen Öffentlichkeit massiv für sein Buch werben und wurde hierbei systematisch und gut organisiert unterstützt. Selbst das Bundesforschungsministerium wirbt mit seinem Namen deutschlandweit auf Plakaten und baut ihn damit offenkundig als modernen, aufgeklärten Theologen bewusst auf. Von einer neutralen Positionierung der nichtmuslimischen Medien und staatlichen Stellen in Bezug auf rein religiöse Glaubensdiskurse ist hier wenig zu verspüren und Khorchide kann sicherlich keine fehlende Unterstützung für seine Thesen durch die Medien beklagen. Im Gegenteil, selbst die Reaktionen der nichtmuslimischen Pressevertreter (Qantara, TAZ, Deutschlandfunk etc.) auf einen theologischen Diskurs zwischen den Muslimen (Reaktion der Ditib Nord, Schura Hamburg, Ditib Hessen versus Khorchide) war massiv parteiergreifend für Khorchide. Zudem veröffentlicht man ein Buch um seine Gedanken zu verbreiten und damit hat man nicht nur positive Rückmeldungen von Vertretern der Nichtmuslime oder säkularer Kulturmuslime zu erwarten, sondern muss im öffentlichen Diskurs auch mit Kritik von bekennenden und praktizierenden Muslimen und ihrer Religionsgemeinschaften rechnen.

„Jede Politisierung der Theologie durch die Hintertür lehnen wir strikt a2b
Unsere Aufgabe als Vertreter eben dieser islamischen Religionsgemeinschaften ist es gerade diese Entwicklungen an staatlichen Hochschulen kritisch zu begleiten um einen Staatsislam im Zuge der universitären Ausbildung zu verhindern und dem weltanschaulich neutralen Staat, der durch die Universitäten agiert, seine Grenzen im theologischen Bereich aufzuzeigen. Jede Politisierung der Theologie durch die Hintertür lehnen wir strikt ab und werden uns hiergegen mit rechtsstaatlichen Mitteln wehren. Hochschullehrer sind verwaltungstechnisch den Universitätsrektoren untergestellt, die wiederum nicht nur durch das Wissenschaftsministerium finanziert werden, sondern auch als oberstem Dienstherren diesen unterstehen. Der Staat ist nach den Vorgaben des Grundgesetzes nicht berechtigt über Hochschullehrer, die Beamte des Staates sind, Glaubensüberzeugungen von Religionsgemeinschaften zu konstituieren oder diese einseitig gegen ihren ausdrücklichen Willen paternalistisch weiter zu entwickeln. Alles andere würde zu einer Staatskirche führen, was unserem Grundgesetz eindeutig widerspricht.

//3l//Meinungsvielfalt in einem bestimmten Rahmen wurde im Islam immer durchaus positiv bewertet. Die von nahezu allen sunnitischen, schiitischen, mutazilitischen etc. Gelehrten geteilten Glaubensüberzeugungen jedoch als salafistisch zu bezeichnen (vgl. beispielsweise S. 216-217 in seinem Buch) und dadurch diskreditieren zu wollen, entspricht weder einem differenzierten wissenschaftlichenUmgang, noch ist dies guter muslimischer Brauch.

Mir persönlich als Anhänger der mystisch geprägten Nurculuk-Bewegung eine Nähe zum Salafismus vorzuwerfen, zeugt gleichzeitig von jedweder Unkenntnis der islamischen Bewegungen in Deutschland. Dies bedaure ich umso mehr, da Prof. Khorchide Leiter eines Zentrums für Islamische Theologie an einer bedeutenden deutschen Universität ist und den Unterschied zwischen der Nurculuk-Bewegung und dem Salafismus kennen sollte.

Mehrfach hat sich die Schura Niedersachsen, wie auch ich selbst öffentlich von dem Salafismus distanziert und diesen kritisiert. Gegenüber der salafistischen Theologie habe ich ähnliche Bedenken, wie ich sie gegenüber den Thesen von Khorchide ebenfalls habe. Da Khorchide mittlerweile sehr gut in der deutschen Presselandschaft vernetzt ist, hätte er wenigstens diese Meldungen zur Kenntnis nehmen können, bevor er mir über die konservative Schiene eine Nähe zum Salafismus vorwirft. Zudem vertritt die Schura Niedersachsen in diesem Bundesland seit fast 15 Jahren – mit Ausnahme der Salafisten – unabhängig von ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit oder Rechtsschule beinahe alle Moschee-Gemeinden außer den Ditib-Gemeinden, die eigenständig organisiert sind.

Um was geht es genau bei meiner Kritik? Warum distanziere ich mich von seinen Hypothesen? Ich habe vor Monaten in einem Interview gesagt, dass Khorchide mit diesem Buch die Erwartungen der Residenzgesellschaft bedient und mit viel Zuspruch der Nichtmuslime rechnen darf, seine Hypothesen jedoch meilenweit von der muslimischen Basis entfernt sind. Folgende Textstellen aus seinem eigenen Buch belegen in der gebotenen Kürze seine marginalen islamisch-theologischen Positionen, die ich nicht nur ablehne, sondern auch für höchst problematisch mit Blick auf die Entwicklung der islamischen Theologie in dieser Gründungsphase an staatlichen Universitäten erachte. Die islamische Theologie ist in Deutschland noch ein zartes Pflänzchen zugleicht gibt es auf muslimischer Seite große Vorbehalte und Bedenken gegen diese universitäre Ausbildung, die wir als islamische Religionsgemeinschaften täglich zu entkräften versuchen. Hervorheben möchte ich auch folgendes: Für eine authentische und glaubwürdige Entwicklung der islamischen Theologie in einer christlich und säkular verfassten Gesellschaft, in der die Muslime eine kleine Minderheit sind, empfinde ich für mindestens so besorgniserregend, wie diese wissenschaftlich eingekleideten Glaubensüberzeugungen von Khorchide, die externe, bevormundende Einmischung von Nichtmuslimen in diesen rein religiösen DiskurS.

Nach Khorchide ist beispielsweise Gott im christlichen Duktus nichts anderes als die Liebe und Barmherzigkeit per se. S. 199 Damit reduziert er Gott auf ein niedliches, harmloses Wesen und relativiert, ja negiert zahlreiche eindeutige weitere strafende und ausgleichende Attribute, Eigenschaften und Namen Allahs, die der Selbstbeschreibung Gottes und seines Propheten in Koran und Sunna entsprechen. „Unter den Menschen gibt es manch einen, der ohne Wissen über Gott zu haben, über ihn streitet und dem aufrührerischen Teufel folgt.“ Koran 22/3 Im folgenden Textabschnitt möchte ich mit unmissverständlichen und klaren Zitaten aus dem Buch von Khorchide seine Standpunkte skizzieren, damit jeder Leser sich sein eigenes Bild machen und Urteil bilden kann.

//4r//Glaube und Gottesvorstellungen nach Khorchide
Nach Khorchide sind Glaubenszugehörigkeiten billige Überschriften und Etikettierungen, die für das Jenseits unbedeutend sind. Muslime sollen sich Gott nicht unterwerfen und ihm dienen, da dies nur ein restriktiver Diktator verlangen könne. Jeder Muslim soll selbst individuell entscheiden, ob und wie er eine Beziehung zu Gott aufbaut und diesen dann eigenständig verantworten. Gott in Gehorsam zu dienen schalte nach Khorchide die Vernunft ab und verdamme den Menschen zur Unmündigkeit. Der Mensch sei aber zu mehr berufen, als zum Knecht (ibada, türkisch kulluk) sein. Diese vereinfachenden Thesen alleine widersprechen den Glaubensüberzeugungen sämtlicher Madahib. „Ich fragte mich nach dem Sinn und Zweck von Religion. Was will Gott von uns Menschen eigentlich? Und was will dieser Gott für sich? Warum überhaupt das Ganze? Wie kann es sein, dass dieser Gott Menschen, die ungerecht sind und andere Menschen abfällig behandeln, ins Paradies eingehen lässt, andere aber, die gerecht sind und andere Menschen respektvoll behandeln, für immer in die Hölle verbannt? Weil sie die falsche Überschrift tragen?! Weil sie sich nicht Muslime nennen?! Geht es Gott wirklich nur um Überschriften?! Geht es Gott wirklich nur darum, dass an ihn geglaubt wird? Geht es ihm darum, dass nur auf eine bestimmte Art und Weise an ihn geglaubt wird? Geht es Gott also um sich selbst? Braucht er uns, um von uns angebetet zu werden, hat er uns deshalb erschaffen? Wer sich ihm also unterwirft, den belohnt er mit dem Paradies, und wer sich ihm nicht unterwirft, dem zeigt er im Jenseits, wer das letzte Wort hat, wer der Chef ist? Geht es Gott wirklich darum, seine Macht zu demonstrieren? Ist Gott wirklich so klein? Ich kam zu der Antwort: Mit Sicherheit nicht! Gott ist kein Diktator, kein Mubarak oder Gaddafi. Gott ist in sich vollkommen.“ (S. 25)

„Die Beziehung des Menschen zu Gott wird auf eine Dimension reduziert, nämlich die des GehorsamS. Gehorsame werden für ihren Gehorsam belohnt, Ungehorsame entsprechend bestraft. Die Fähigkeit des Menschen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, Gotteserfahrungen zu machen und diese zu reflektieren, eine individuelle Beziehung zu Gott aufzubauen, eine eigene Religiosität zu entwickeln und diese selbst zu verantworten, für sich selbst zu entscheiden, wie er sein Leben entwerfen und auf Gott individuell ausrichten will – all das wird ignoriert und unterdrückt. Wäre es aber nicht unfair von Gott, uns eine Vernunft zu geben, die verstehen will, die viele Fragen hat und vieles hinterfragen will, die dem folgen will, was ihr einleuchtet, was sie nachvollziehen kann – aber zugleich von uns zu erwarten, diese Vernunft zu unterdrücken? Ist dann Vernunft eine Falle, die Gott dem Menschen gestellt hat, um zu sehen, ob er sich für das blinde Gehorchen oder das kritische Reflektieren entscheidet? Spielt Gott die Vernunft gegen sich selbst aus? Ist die Vernunft der Hauptfeind des Menschen? Ist das menschliche Leben ein einziger Kampf gegen die eigene Vernunft? Sind diejenigen Sieger, die sich für Gott und gegen die Vernunft entschieden haben, und die Verlierer, die sich zur Vernunft und gegen Gott gewandt haben?! Viele Gelehrte spielen Gott gegen die Vernunft auS. Sie stellen die Menschen vor die Wahl: entweder Gott oder die Vernunft. Diese Position wird weder Gott noch der Vernunft gerecht. Beide gehen dadurch verloren. Aus Gott wird ein selbstsüchtiger Diktator, und die Vernunft wird ausgeschaltet.“ (S. 74-75)

„Viele Muslime projizieren ihre Vorstellung von einem mächtigen Familienoberhaupt oder von einem archaischen Stammesvater, dem man unhinterfragt gehorchen und sich unterwerfen muss, auf ihre Vorstellung von Gott. Demnach gestaltet sich die Gott-Mensch-Beziehung als Beziehung zwischen einem Herrn und seinem Knecht. Der Herr braucht seinen Knecht, er ist auf seine Dienste angewiesen, um seine Herrlichkeit genießen zu können. Will aber Gott wirklich, dass Menschen ihm dienen? Braucht er unseren Dienst? Diese Vorstellung eines restriktiven Diktators, dem es nicht um die Interessen seines Volkes geht, unterscheidet sich kaum von der Vorstellung eines restriktiven Diktators, dem es nicht um die Interessen seines Volkes geht, sondern um die Unterwerfung der Menschen unter seinen Willen. Der Mensch ist unmündig, er ist auf die Instruktionen Gottes angewiesen. Der Koran und die prophetische Tradition werden in dieser Sichtweise als Instruktionen Gottes wahrgenommen, die Gott dem Menschen verkündet, da dieser nicht in der Lage sei, von sich aus zu erkennen, was gut und was schlecht für ihn ist. Der Koran und die Sunna (prophetische Tradition) sind demnach eine Art Bedienungsanleitung für das Funktionieren des Menschen.“ (S. 73)

„Manche Gelehrte interpretieren die islamische Religion so, als ginge es lediglich um die Verherrlichung GotteS. Sie berufen sich auf folgenden koranischen Vers: „Ich habe den Menschen erschaffen und den Dschinn (ein Geistwesen) nur deshalb erschaffen, damit sie mir dienen.“ (Koran 51/56) Dieses Verständnis von Religion kollidiert jedoch mit dem Verständnis, dass Gott den Menschen bedingungslos aus seiner Barmherzigkeit erschaffen hat, um seine Liebe mitzuteilen… .“ (S. 114)

Jenseitsvorstellungen nach Khorchide
Nach Khorchide sind die Höllen- und Paradiesvorstellungen des Korans kontextgebundene, historisch geprägte Aussagen, die die unterentwickelten Menschen im 7.Jahrhundert ansprechen. (S. 62-63)

Mündigen Muslimen gehe es „nicht um eine opportunistische Haltung, die lediglich darauf zielt, die eigene Haut vor dem Höllenfeuer zu retten (…)“, sondern um die Gemeinschaft mit Gott. (S. 218)

Allen andere unterstellt er Selbstanbetung. „Man belügt sich selbst, wenn man behauptet, man verehre Gott durch Beten und Fasten, man aber in Wirklichkeit nur in ein Paradies voller materieller Vergnügungen kommen möchte.“ (S. 62)

Geschickt schreibt er die verbreitete Wahrnehmung des Jenseits unter Muslimen neben den Mutaziliten lediglich den Aschariten zu, spricht bewusst nicht von den Sunniten und meint anscheinend dadurch verheimlichen zu können, dass seine Position zudem weder dem sunnitischen noch dem schiitischen Jenseitsglauben entspricht. Im Grunde widerspricht er damit dem Jenseitsbekenntnis aller bekannten islamischen Strömungen einschließlich der der Ahl as-Sunna, der Schia und der Mutazila etc.

„Der Ansatz, den ich hier vorstellen möchte, sieht im Jenseits – anders als die Aschariten oder Mutaziliten tun – nicht nur ein Gericht, dessen Ziel es ist, Gerechtigkeit wiederherzustellen, sondern darüber hinaus eine Phase der Transformation, mit der die Menschen zur ewigen Glückseligkeit , also in die Gemeinschaft mit Gott gelangen, indem sie Gottes Barmherzigkeit in ihrer absoluten Vollkommenheit erfahren und erleben. (…) Gott hat großes Interesse daran, seine ursprüngliche Intention bei der Schöpfung – nämlich Mitliebende zu haben, die er in seine Gemeinschaft einschließt.“ (S. 50)

„Die Hölle ist demnach kein Ort der Bestrafung oder der Rache Gottes, sondern steht symbolisch für das Leid und die Qualen, die der Mensch im Laufe dieses Transformationsprozesses erlebt. Dabei begegnet er einerseits der unendlichen Barmherzigkeit und Liebe GotteS. Dies versetzt ihn in Scham und Demut, da ihm bewusst wird, dass er in seinem Leben Nein zu dieser Liebe und Barmherzigkeit gesagt hat.“ (S. 50-51)

„Der Versuch, das Jenseits als Ort der Vervollkommnung und Transformation des Menschen zu verstehen, soll keineswegs das wortwörtliche Verständnis von Paradies und Hölle als von tatsächlich existierenden Orten ersetzen, sondern denjenigen ein weiteres Interpretationsangebot bieten, die nicht aus Angst vor einer Bestrafung bzw. Hoffnung auf eine Belohnung Gutes tun und das Schlechte vermeiden, sondern, die bestrebt sind, sich in ihrem Menschsein zu vervollkommnen und selbstlos Gutes zu tun. Eine Lesart des Jenseits als Ort der Transformation macht den Menschen ein Angebot, Gott nicht als Richter zu erfahren, sondern ihn in seiner vollkommenen Barmherzigkeit zu erkennen. Wer sich aber nur dann bzw. besser in der Lage sieht, das Gute zu tun und sich vom Bösen abzuwenden, wenn er sich von einer jenseitigen Strafe bedroht fühlt bzw. auf eine Belohnung im Sinne materieller Vergnügung hofft, dem steht das Angebot, das Paradies und die Hölle als tatsächlich existierende Orte im materiellen Sinne zu verstehen, nach wie vor offen.“ (S. 56)

Religionsverständnis nach Khorchide
Der Autor stellt das ganze Konzept der Rolle und Aufgabe von Religion und der Welt als Ort der Prüfung auf den Kopf. Nach islamischem Glauben sendet Gott Propheten mit Büchern (religiösen Vorschriften) um die Menschen zum rechten Weg zu leiten. Gläubige Menschen sollen diese Glaubensüberzeugungen teilen und bestätigen und die Gebote, Verbote, Werte etc. akzeptieren und praktizieren. Nach Khorchide aber sei es eine „naive Vorstellung“ zu glauben, dass Gott Instruktionen schicke, „um zu sehen, wer sich an sie hält und wer nicht, um dann diejenigen, die ihm gehorchen, zu belohnen und sich an den Ungehorsamen zu rächen. Diese Vorstellung wird Gott in keiner Weise gerecht. Sie macht aus ihm einen Diktator, der nur auf Gehorsam aus ist, der verherrlicht werden will und nach Selbstbestätigung sucht. Die Beziehung zu solch einem `Diktator-Gott` kann nur auf Angst basieren.“ (S. 63-64)

„Der Gedanke Gott habe die Menschen erschaffen, weil er verherrlicht oder angebetet werden wolle, macht aus Gott einen von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten, egoistischen `Diktator`, der auf der Suche nach sich selbst ist. Das ist dann aber nicht mehr Gott.“ (S. 70)

„Es geht beim Gottesdienst somit nicht um Gott, sondern um seine Schöpfung. Man dient Gott, indem man seiner Schöpfung dient.“ (S. 115)

//5r//Glaubensverständnis und das Jenseits für Nichtmuslime nach Khorchide
Nach Khorchide spielt es für das Jenseits keine Rolle, welcher Religion jemand zugehörig ist oder welche Glaubensüberzeugung er teilt. Im Grunde ist die Glaubensüberzeugung eines Menschen relativ unbedeutend, da es nach Khorchide alleine auf das Handeln ankommt. Jeder barmherzig und liebevoll handelnde Mensch ist als Medium Gottes Muslim, auch wenn er explizit formuliert nicht an Gott glaubt. Hierbei handelt es sich nicht um ein -wie von ihm behauptet- aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat, vielmehr zieht sich dieser Gedankenstrang konsequent durch das ganze Buch. „Und wer den Glauben leugnet, dessen Werk-Handlung-Tat ist zunichte geworden. und im Jenseits gehört er zu den Verlierern.“ Koran 5/5.

„Der Gerichtstag als Ort der Abrechnung mit den ‚Ungläubigen‘ lässt hier auf der Erde ein Gefälle zwischen Muslimen und Nichtmuslimen entstehen. Muslime und Nichtmuslime können sich nach der Vorstellung der traditionalistischen islamischen Theologie nicht auf Augenhöhe begegnen, da, unabhängig von ihren jeweiligen Handlungen, heute schon feststeht, wer der ‚Gewinner‘ und wer der ‚Verlierer‘ sein wird. Gott aber interessiert sich nicht für Überschriften wie ‚Muslim‘, Christ‘, ‚Jude‘, ‚gläubig‘, ‚ungläubig‘ usw., Gott geht es um den Menschen selbst, um seine Vervollkommnung, damit er ihn für sich, für seine ewige Gemeinschaft gewinnen und ihn in sie aufnehmen kann. Entscheidend dabei ist, ob der Mensch dieses Angebot annimmt oder nicht. Die Hölle ist nichts anderes als der Zustand, in dem sich derjenige befindet, der Nein zu Liebe und Barmherzigkeit, der Nein zur Gottesgemeinschaft sagt.“ (S. 57-58)

„Die Vorstellung vom Gerichtstag als Ort der Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes und der Wahrheit des Menschen selbst bietet hingegen keine Grundlage für ein derartiges Machtgefälle zwischen den Menschen. Der Gerichtstag im Sinne einer Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes soll uns nicht in Schrecken versetzen, sondern uns hoffen lassen –und zwar alle, egal WELCHER RELIGION ODER WELTANSCHAUUNG WIR FOLGEN. Gott will letztendlich alle in seine Gemeinschaft aufnehmen, bis auf diejenigen, die Nein zu seiner Liebe und Barmherzigkeit, Nein zu seiner Gemeinschaft sagen. Er ist wie der liebende Vater oder die liebende Mutter, die ihren Kindern alles Liebe der Welt wünschen.“ (S. 59-60)

„Einige sagen: „Ich strenge mich die ganze Zeit an, vermeide diesen oder jenen Genuss im Leben, und am Ende ist Gott zu mir genauso barmherzig, wie zu denen, die alles genossen haben?!“ Dieses Argument bringt eine gewisse Unzufriedenheit mit zum Ausdruck: Man empfindet es als Last, nicht zu sündigen, man ist nicht ganz davon überzeugt, der Verzicht auf Sünden kommt nicht von Herzen. Ein Freund von mir, der in einem arabischen Land als muslimischer Gelehrter arbeitet, erzählte mir von einem Engländer, der mit sechzig Jahren den Islam annehmen wollte. Er ging zu einem Imam und fragte ihn, ob er den Islam annehmen könne. Der Imam verneint dieS. Der Engländer war sehr enttäuscht und kam nach langer Verzweiflung zu meinem Freund und stellte ihm dieselbe Frage. Mein Freund sagte ihm, natürlich könne er sofort zum Islamübertreten. Als mein Freund den Imam zur Rede stellte, sagte dieser: „Der Mann ist sechzig Jahre alt, er hat alles im Leben genossen, schöne Mädchen, Alkohol, und nun soll er mit mir ins Paradies kommen, der ich nichts davon gehabt habe, was er lebenslang genossen hat?! Das geht nicht!“ (S. 67-68)

//6l//Professorales Takfir
Salafisten und alle extremistischen Muslime gelten bei Khorchide nämlich als Kafir, die Nein zur Liebe und Barmherzigkeit Gottes sagen und damit direkt in die Hölle kommen. „Gerade Salafisten und andere Fundamentalisten und Extremisten, die im Namen ihres Glaubens Hass und Unfrieden auf Erden verbreiten, sind nichts anderes als kafirun.“ (S. 91)

„Der Mensch ist ein Medium der Verwirklichung göttlicher Liebe und Barmherzigkeit durch sein freies handeln. Gott und Mensch arbeiten Seite an Seite, um Liebe und Barmherzigkeit als gelebte Wirklichkeit zu gestalten. (…) Der Mensch, die die Einladung Gottes zu Liebe und Barmherzigkeit annimmt und bereit ist, ein Medium der Verwirklichung göttlicher Intention zu sein, ist ein Muslim. Islam ist die Annahme der Liebe und Barmherzigkeit GotteS. “ (S. 85)

„Ich möchte versuchen, eine Vorstellung vom Islam jenseits eines dogmatischen Verständnisses zu vermitteln, in dem es lediglich um die Frage nach den richtigen Glaubenssätzen geht. Fundamentalisten haben sich in der Frage verloren, woran ein Muslim glauben muss, und ihre Liste beschränkt sich keineswegs auf die sechs Glaubensgrundsätze (Gott, Engel, Bücher, Propheten, Wiederauferstehung und Vorherbestimmung), sondern es kommen noch viele Glaubenssätze dazu, wie der Glaube an die Rechtschaffenheit aller Gefährten des Propheten, der Glaube an die Fürbitte des Propheten am Tag des Gerichts, der Glaube an eine Brücke, die über die Hölle geht, der Glaube an die Schau Gottes im Jenseits, der Glaube an die Existenz einer Waage am Tag des Gerichts usw.“ (S. 86)

„Der traditionellen islamischen Lehre nach muss sich jeder Muslim und jede Muslimin zu den islamischen Glaubensgrundsätzen bekennen. Diese bilden die so genannte islamische `Aqida.“ (S. 209)

„Ein Verständnis von Glückseligkeit, dass diese lediglich von den richtigen Glaubenssätzen abhängig macht, hat sich bis heute mehr oder weniger umfassend durchgesetzt. Dieses Verständnis steht jedoch im Widerspruch zu den koranischen Aussagen.“ (S. 211)

„Die Verwirklichung von Gottes Liebe und Barmherzigkeit auf der Erde verliert ihre zentrale Bedeutung, wenn wir den Islam auf Glaubenssätze oder auf das Glaubensbekenntnis reduzieren. Nach der oben dargestellten Definition des Islam ist jeder, der sich zu Liebe und Barmherzigkeit bekennt und dies durch sein Handeln bezeugt, ein Muslim, AUCH WENN ER NICHT AN GOTT GLAUBT, denn Gott geht es nicht um die Überschriften `gläubig` oder `nichtgläubig`. Gott sucht nach Menschen, durch die er seine Intention, Liebe und Barmherzigkeit, verwirklichen kann; Menschen, die bereit sind, seine Angebote anzunehmen und zu verwirklichen. Und umgekehrt ist jeder, der meint, an Gott zu glauben, jedoch Liebe und Barmherzigkeit nicht durch sein Handeln bezeugt, kein Muslim.“ (S. 87-88)

Khorchide ist nicht nur mutig bei der Kritik der Glaubensgrundsätze der Muslime, vielmehr wirft er ihnen vor den Islam im Grunde seit Muawiya falsch verstanden und ausgehöhlt zu haben. Lediglich die Fassade der Religion des Propheten sei heute  übrig geblieben. „Von dem Islam Muhammads“ sei „heute kaum etwas geblieben.“ (S. 212)

Praktizierter Islam = konservativ = „salafistisch“?
Schließlich etikettiert er mehr oder weniger die praktizierte Form des Islam in Deutschland mit konservativ und setzt diesen dem Salafismus gleich. „Wie konnte es passieren, dass sich einige dieser Positionen nicht nur in salafistischen Milieus verbreitet haben, sondern auch in anderen islamischen Kreisen, die man heute als „konservativ“ bezeichnet?! Ich wundere mich immer wieder über Muslime, die darauf beharren, dass Gott im Islam nicht der absolut Barmherzige ist sondern auch der zornige und der bestrafende Gott sei,, während der „liebende“ Gott der christliche Gott sei.“ (S. 216-217)

Für jemanden der das Glaubensbekenntnis hybridisiert und normativ diesen auf das barmherzige Verhalten verlagert, gleichzeitig die Höllenstrafen de facto negiert und verniedlicht, argumentiert er in dieser Kausalkette folgerichtig und plausibel. Und auch in diesem Gedankengang schließt sich nun der Kreis, da er mich persönlich zuvor auf www.islam.de als konservativen Vertreter des Islam den Salafisten gleichgestellt hatte, die er ja bekanntlich als kafir bezeichnet. Gleichzeitig braucht man nach unserem Autor kein Muslim im herkömmlichen Sinn zu sein, um ins Paradies und in die „Gemeinschaft Gottes“ zu kommen. Das Paradies des Koran steht nach Khorchide auch allen Christen, Atheisten etc. zu, nur nicht den Salafisten und allen ihnen gleichgestellten bösen konservativen Muslimen.

Abschließende Bewertungen
Ein Buch mit solch gewagten Thesen zu verfassen, verlangt von jedem Autor eine klare Vertiefung in die islamische Theologie und viel intensivere Auseinandersetzung mit der reichhaltigen islamischen Wissenschaftstradition voraus, als dies in diesem Buch geboten wird. Diesem Wunsch liegt freilich der Gedanke zu Grunde, dass auch diese Kompetenzen bei dem Autor vorhanden sind. Schließlich betont Khorchide immer wieder, dass er sein Buch als islamischer Theologe schreibt und ist bei seiner Kritik an die Muslime auch kein bisschen bescheiden oder demütig.

Wie ist es um die Qualifikation bestellt?
An dieser Stelle wäre nach der wissenschaftlichen Qualifikation von Prof. Khorchide zu fragen. Soweit ich informiert bin, hat er weder einen Master, noch eine Dissertation im Bereich der islamischen Theologie. Beide Abschlüsse hat er im Bereich der Soziologie und Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien zu Themen des islamischen Religionsunterrichts und der Integration erlangt. Die Suche nach einer Habilitation ist ebenfalls eine ganze Fehlanzeige.

Lediglich über einen B.A. Fernstudium einer Universität in Beirut verfügt unser Autor. Zudem hat Dr. Khorchide keine Professur im Bereich der Kerndisziplinen der islamischen Theologie, sondern der islamischen Religionspädagogik an der Universität Münster. Wenn jemand mit diesen Abschlüssen und solch einer bescheidenen theologischen Ausbildung, so weitreichende Thesen in der Gründungsphase der islamischen Theologie in Deutschland aufzustellen vermag, stellt sich bei mir die Frage: Wie kommt das? Woher dieser Übermut und diese Selbstüberhebung? Wo bleibt die von ihm in seinem Werk viel gepredigte menschliche Bescheidenheit und die wissenschaftliche Mäßigung?

Einzig der Fußnotenapparat in seinem Buch ist mehr als bescheiden. Von einem Beamten, der auch mit den Steuergeldern der Muslime finanziert wird, hätte ich mehr Takt und vor allem noch mehr wissenschaftliche Tiefgründigkeit für eine solche revolutionäre, humanistische und aufgeklärte Theologie – so jedenfalls die unbescheidene Selbstzuschreibung Khorchides – erwartet.

Jeder kann glauben, was er möchte. In diesem Land besteht Gott sei Dank im Gegensatz zu manch einem islamisch bezeichneten Staat die Religionsfreiheit. Jeder kann auch zu religiösen Positionen jede Meinung vertreten und wissenschaftlich zu begründen versuchen, hier gilt die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Unislamische Glaubensüberzeugungen mit der Autorität und der Würde eines Professorentitels an einer Universität und der Unterstützung von nichtmuslimischen Vertretern der Medien als islamisch zu etikettieren und dies den Muslimen als den wahren Islam aufdrücken zu wollen, kann und werde ich jedoch nicht akzeptieren. Extremistische und gewaltverherrlichende Positionen werden wir ebenso konsequent verurteilen, wie auch bevormundende sogenannte Liberalisierungs- und Verniedlichungstendenzen des Islam durch Beamte des Staates, die den Islam tatsächlich aushöhlen und hybridisieren.

Zum Abschluss
Zum Abschluss möchte ich Prof. Khorchide mit seinen eigenen Worten aufrufen, darüber nachzudenken, inwieweit das von ihm in seinem Buch favorisierte Verständnis von Glaube, Gott, Jenseits und Religion noch islamisch ist, und inwiefern dies eine einseitige Aufgabe religiöser Überzeugungen zu Gunsten der Hingabe an den Zeitgeist darstellt.

„Es wäre ja mehr als schade, wenn man sein Leben lang einen Gott anbetet, der sich am Ende als eine Projektion herausstellt und mit Gott selbst so gut wie nichts zu tun hat. Dann hat man eigentlich alles verloren, und alles ist dann umsonst gewesen: Man hat sich das ganze Leben nur um sich selbst gedreht und mehr oder weniger seine eigene Vorstellung angebetet: „Sollen wir euch Menschen sagen, wer die größten Verlierer sind? Das sind diejenigen, deren Eifer umsonst war, während sie glaubten, das Richtige zu tun.““ (S. 145)

//1r//Avni Altiner ist der Vorsitzende der Schura Niedersachsen. Vergangenes Jahr verlieh die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover Altıner einen Ehrenpreis für sein Einsatz um Respekt, Toleranz und Verständnis zwischen den Religionen.