(iz). Das Forum Zeitgeschichte Berlin (bestehend aus dem Alliierten-Museum, dem Deutschen Historischen Museum, dem Deutsch-Russischen Museum und der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung) ist eine Veranstaltungsreihe, die sich in unregelmäßiger Folge bestimmten Fragen und Problemen der Zeitgeschichte widmet. Unter der Überschrift „Brennpunkt Krim. Historische und ethnische Hintergründe eines geopolitischen Konflikts“ lud das Forum am 29.04. zu einer Podiumsdiskussion ein. Eingeladen waren Prof. Dr. Manfred Kittel von der Stiftung selbst, Prof. Dr. Frank Golczewski und Prof. Dr. em. Otto Luchterhandt von der Universität Hamburg und Mustafa Dschemliew, der Ehrengast als Vertreter der Krimtataren. Als Vertreter der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung begannt Prof. Dr. Kittel mit einem Appell an die internationale Staatengemeinschaft und den einfachen Bürgern, aus ihren historischen Fehlern zu lernen und dem Krimkonflikt entschieden entgegenzutreten. Die Geschichte lehre uns, wie falsch sei, was Russland gegenwärtig tue, führte er aus und forderte eine „geschlossene und besonnene Eindämmung imperialistischer Regime.“ Von der Brisanz sei die Krim gegenwärtig mit der Kubakrise oder Berlin zu vergleichen.
Seine darauffolgende inhaltliche Einführung begann der Historiker Golczewski mit mahnenden Worten an seinen Vorredner: „Historiker lösen keine Probleme, Historiker machen welche.“ Eines der großen Probleme des Konflikts sei eben, dass jeder meint, aus der Geschichte Anweisungen für sein Handeln erhalten zu können. Wenn man anfängt, es auf dieser Ebene zu betrachten, werde es nie eine Lösung geben, da „de facto alle Ansprüche gegeneinander haben“. Um die Russen zu verstehen, erklärte er, müsse man ihren Volksglauben und ihre Gefühle berücksichtigen. 988 wurde der „Heilige Wladimir“, Großfürst von Kiew, auf der Krim getauft und dieser Tag gilt als Beginn der russischen Geschichte. Die Krim habe für die Russen schon immer Symbolcharakter gehabt, wie auch als Ort des starken Widerstands gegen die Nazis.
Golczewski wollte erklären, warum sich die Krim abspalten konnte, wenn es denn eine legitime Wahl gewesen sei. Durch die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim wurde eine sich tiefverwurzelnde Propaganda betrieben. Die Ukrainer seien ständig mit den weitaus besser verdienenden und besser ausgerüsteten Russen konfrontiert gewesen. Dies hätte ihre Loyalität zum ukrainischen Staat geschwächt. Er sprach von „materiellen Erwartungen“ der Krimbewohner, es gehe nicht um die Rechte. „Russen wurden nicht verfolgt, dieser Grund funktioniert nicht“, betonte Golczewski.
Den gleichen Tenor schlug auch Prof. Luchterhandt an. Was auf der Krim geschehe, sei absolut völkerrechtswidrig. Als Berater der Bundesregierung in Völkerrecht habe er mehrmals geprüft, ob das russische Eingreifen legal sein könnte. Es widerspräche dem allgemeinen Völkerrecht und auch der russischen Verfassung. Er erinnerte an das Budapester Memorandum und die Verpflichtung von Russen, Briten und Amerikanern, die Grenzen der Ukraine anzuerkennen, wenn sie im Gegenzug ihre Atomwaffen abgibt. „Hätten die Russen auch Truppen geschickt, wenn die Ukraine immer noch Kernwaffen hätte“, fragte er gerichtet an die russischen Botschaftsmitarbeiter, die er im Publikum vermutet. Putin habe zwei Brigaden auf die Krim mit dem Auftrag entsendet, Russen zu beschützen, die sich nie in Gefahr befanden. Luchterhandts Ansicht ist, dass diese Grenzverletzung illegal war.
Mustafa Dschemilew wollte über die „wirklich Diskriminierten“ sprechen. Die Krimtataren seien das einzige ursprüngliche Volk der Halbinsel und dennoch sollen sie wieder nicht dort zuhause sein, wo sie doch zuvor ein halbes Jahrhundert dafür kämpften zurückzukehren. Als Vertreter der krimtatarischen Nationalversammlung wisse er ,wovon er spreche und kenne die Zahlen.
Die Wahlbeteiligung hielt er für eine große Lüge, man habe Informationen erhalten, dass es 34,4 Prozent gewesen seien. Ebenso habe man Informationen darüber, dass der russische Geheimdienst die Russen auf der Krim angewiesen habe, systematisch die Krimtataren zu diffamieren und zu sabotieren. Die Russen hätten bereits seit den 1990ern Souveränität genossen und kontrollieren die gesamte Halbinsel. Schulen unterrichten zu über 90 Prozent auf Russisch. Radios senden zu über 90 Prozent auf Russisch, Regierung und Sicherheitsbehörden seien fest in russischer Hand.
Die einzigen, die wirklich unterdrückt seien, bleiben nach wie vor die Krimtataren, betonte er energisch. Erst jetzt finge man an, das Leiden seines Volkes zu beachten, erst nach dem legitimen Auflehnen gegen den „mafiösen und korrupten Jannukowitsch-Apparat“ und das untermauere sein fehlendes Vertrauen in die Staatengemeinschaft.
Immer wieder hallte Applaus durch das Publikum, einige ukrainischsprachige Zuschauer warteten gar nicht erst auf die Übersetzung. Dschemilew wollte nicht, dass man den Fokus ausschließlich auf die Geschichte setze, sondern man solle sich realistisch mit den gegenwärtigen Geschehnissen auseinandersetzen. Den Krimtataren hänge immer noch der Ruf der Illoyalität an und sie müssten sich, trotz ihrer friedfertigen Bemühungen, wohl auf Blutvergießen einstellen. Er wolle keine gewaltsamen Auseinandersetzungen; auch keine mit der Begründung einer Prävention. Wie er nun nach seinem Einreiseverbot in Russland weitermache, zu dem die Krim ja nun gehören solle, wisse er noch nicht. Fest stünde aber, dass er sich nicht aus seiner Heimat vertreiben lasse. Zu einer Podiumsdiskussion kam es nicht wirklich. Dennoch war die Veranstaltung ein gelungenes Forum, um auf die problematische Situation des krimtatarischen Volkes aufmerksam zu machen.