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Triebfeder der Zivilgesellschaft

Ausgabe 302

Foto: Adena Lješnjanin

(iz). Bereitschaft für soziales Engagement ist eine wichtige Triebfeder der Zivilgesellschaft. Dieser Gemeinsinn kann in einer offenen Gesellschaft nicht staatlich verordnet werden. Auch wenn in dieser Hinsicht alle Teilgruppen der Gesellschaft gefragt sind, ihren Teil zur sozialen Kohäsion beizutragen, adressiert eine aktuelle Studie besonders eine Gruppe, deren Anteil in Deutschland wächst: die muslimischen Mitbürger*innen. Ihr Fokus lag hierbei auf den jungen, bildungsnahen Muslim*innen.

Hierzu sprachen wir mit Dr. Jörg Imran Schröter vom Karlsruher Institut für Islamische Theologie/Religionspädagogik. Der gelernte Islamwissenschaftler betreut diesen Bereich an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und führte gerade eine Studie zum Thema durch.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Schröter, Sie haben jüngst eine Studie zum Engagement junger MuslimInnen in Deutschland veröffentlicht. Was war Ihre Motivation und die wichtigsten Erkenntnisse?

Dr. Jörg Imran Schröter: In den überwiegend hitzigen Debatten über die Rolle des Islam in der deutschen Gesellschaft spürte ich die Gefahr, dass vor lauter Stereotypen und auch Vorurteilen an der Wirklichkeit der Muslim*innen in Deutschland vorbeigeredet wird. Das war für mich der Anlass eine empirische Forschung vorzunehmen, wobei es mir um die Frage ging, in wie weit muslimische Religiosität mit einem positiven Engagement in der Gesellschaft zusammengehen und auch zusammenhängen kann.

Die Bereitschaft für soziales Engagement ist ja eine wichtige Triebfeder der Zivilgesellschaft, denn es kann ­dadurch ein Gemeinsinn geschaffen werden, der die Grundlage unserer demokratischen Ordnung bildet. Dieser Gemeinsinn kann in einer offenen Gesellschaft allerdings nicht staatlich verordnet werden. So stellt sich die Frage, woher er heute noch kommen soll? Mit Blick auf die aktuellen demographischen Veränderungen und auch die wachsende Anzahl an Muslim*innen, die hier leben, wollte ich wissen, wie es tatsächlich aussieht. Es wurde ja auch behauptet der Islam befände sich nur noch in der Radikalisierung oder im stillen Rückzug…

Da war es eine Freude festzustellen, dass eine neue Generation junger Muslim*innen „am Start ist“, die überzeugt ihren Glauben leben, gebildet sind, aktiv an der Gesellschaft partizipieren und sich dabei auch sozial engagieren oder dies zumindest gerne möchten.

Islamische Zeitung: Sie sprechen im Titel von bildungsnah. Warum dieses Segment?

Dr. Jörg Imran Schröter: „Bildungsnah“, „Formal hochgebildet“… das sind auch alles wieder Schubladen. Es ist klar, dass das allein kein Gütekriterium im islamischen Verständnis ist. Aber es ist doch ein ganz wichtiger Aspekt, der in Deutschland noch gar nicht so richtig wahrgenommen wird. Religiös zu sein hat hier seit der Säkularisierung noch immer den „Touch“ von Ungebildetheit und Rückständigkeit. Mit Blick auf Muslim*innen gilt das nur noch umso mehr. Da ist es schon interessant den Fokus darauf zu lenken, dass es zunehmend gut ausgebildete Muslim*innen gibt, die auch entsprechende Positionen in der deutschen Gesellschaft einnehmen.

Mir war es dabei wichtig herauszufinden, ob die Gesamtgesellschaft davon profitieren kann. Tatsächlich sieht es nach meinen Ergebnissen so aus, dass sich Religiosität, Bildung und Engagement für junge Muslim*innen keineswegs ausschließen. Islamisch gesehen wäre hierbei auch das Ideal einer inneren Einheit von Glauben, Wissen und Ethik verwirklicht, wie es beispielsweise von Imam al-Ghazali in seiner „Wiederbelebung der Religionswissenschaften“ vertreten wird.

Islamische Zeitung: In dem Text findet sich ein hoher Grad an Engagement. Woran liegt das?

Dr. Jörg Imran Schröter: Abgesehen von vielen anderen Faktoren, die hier wirksam sein können, halte ich insbesondere zwei Umstände für wesentlich. Erstens: Diese jungen Muslim*innen wurden zum Engagement erzogen.

Die Studie hat ergeben, dass überwiegend die religiöse Gemeinschaft, Freunde und Bekannte, die Ausbildung und auch die Familie zum Engagement geführt haben. Zweitens: Diese jungen Muslim*innen haben die Gelegenheit und die Orte, um sich zu engagieren. Das ist ja nicht einfach selbstverständlich, sondern vielmehr auch das positive Ergebnis der letzten Jahre aus den Bemühungen von Stiftungen und Vereinen jungen Muslim*innen Engagement und Teilhabe zu ermöglichen.

Islamische Zeitung: Bei Veranstaltungen finden sich häufiger Teilnehmerinnen als Teilnehmer. Haben Sie ähnliche Erkenntnisse?

Dr. Jörg Imran Schröter: Tatsache ist, dass zwei Drittel derjenigen, die sich freiwillig an der Studie beteiligt haben, Frauen waren. Die öffentliche Wahrnehmung von Muslim*innen in Deutschland erscheint dagegen weitestgehend männlich geprägt. Muslimische Frauen werden häufig marginalisiert oder als ­defizitär oder passiv dargestellt. Da ist dieser Befund der hohen weiblichen ­Beteiligung allein schon ein wichtiger Beitrag zu einem differenzierteren Bild – nicht zuletzt auch zur gesellschaftlichen Stellung oder vielmehr Selbstverortung junger muslimischer Frauen.

Islamische Zeitung: Gibt es Beziehungen zwischen dem religiösen Selbstverständnis und dem Engagement sowie seiner Intensität?

Dr. Jörg Imran Schröter: Genau diese Korrelation sollte in der Studie untersucht werden und es zeigt sich, dass in der Stichprobe diejenigen Befragten, die sich als „sehr“ oder „eher religiös“ bezeichnen, 72 Prozent ausmachen. Gleichzeitig sind 61 Prozent der Befragten derzeit aktiv engagiert, die meisten davon rein ehrenamtlich (ehrenamtlich: 46 Prozent; beruflich: 3 Prozent; beruflich und ehrenamtlich: 12 Prozent). Neben den 61 Prozent derzeit Aktiven gaben 22 Prozent an, dass sie gerne aktiv wären, aber noch nicht die Gelegenheit dazu hatten, 11 Prozent gaben an, in der Vergangenheit aktiv gewesen zu sein. Nur 7 Prozent geben an, dass ein soziales Engagement nichts für sie sei. Die meisten der Engagierten sind dabei im religiösen Bereich aktiv. So darf aber aus der Befragung geschlossen werden, dass die Moscheegemeinde ein wichtiger Ort des Engagements ist.

Islamische Zeitung: In Deutschland hat das Ehrenamt eine lange Tradition. Gibt es Bezugspunkte zwischen den Erkenntnissen und der weiteren Gesellschaft?

Dr. Jörg Imran Schröter: Ich denke, dass in Deutschland neben vielen anderen wichtigen Einrichtungen, wie NGO’s, gerade auch die beiden großen christlichen Kirchen immer noch eine starke Bedeutung für zivilgesellschaftliches und soziales Engagement haben. In meiner Studie unter jungen Muslim*innen zeigt sich, dass von denjenigen, die sich im religiösen Bereich engagieren, weniger als die Hälfte angibt, dabei auch in einem religiösen Projekt beteiligt zu sein. Dies zeigt, dass Engagement in diesem Sektor nicht zwangsläufig auch in einem religiösen Projekt stattfindet.

Wenn dieser Befund so richtig ist, dann heißt das, dass Moscheegemeinden ein Ort des Engagements sind, aber das Engagement dort facettenreicher als „nur“ religiös ist. Das Interesse gilt also nicht allein spezifisch religiösen Themen, sondern gesamt-gesellschaftlich wichtigen Themen. Kirchen und Moscheen könnten damit gemeinsam Orte und Bereiche sein, die aus religiösen Motiven Engagement befördern, aber über das Religiöse hinausweisen und auch für die weitere Gesellschaft relevant sind. Religiosität hätte damit auch eine „gesellschaftlich wünschenswerte Funktion“, wenn man so reden will.

Islamische Zeitung: Lieber Dr. Schröter, Danke für das Gespräch.