(iz). Seitdem ich denken kann, stehen in unserer Wohnung Pflanzen. Im Wohnzimmer, im Esszimmer, in der Küche. Seitdem ich denken kann, gehören Pflanzen für mich zur Grundeinrichtung eines Zuhauses.
Meine Mutter legte immer viel Wert auf die Atmosphäre in unserer Wohnung. Ich möchte meinen, arabisches Feng Shui. Ihre Vorliebe für die Natur spiegelte sich nicht nur in einfachen Topfpflanzen wieder. In jedem Zimmer stehen gut und gerne fünf exotische und heimische Pflanzenarten in verschiedensten Größen.
„Nach dem Tod von unserem Papa“, erzählt sie des Öfteren rückblickend, „starben alle Pflanzen bei uns“. Damals war es noch nicht ihre Aufgabe. „Er goss sie immer und achtete auf sie. So sehr wir uns danach auch bemühten, sie wollten nicht mehr leben und gingen ein.“ Als ich älter wurde, gewöhnte ich mir an, jede Woche neue Blumen zur Deko nach Hause zu bringen. Auch meine Mutter liebt Blumen, so wie jede Frau. Wenn ich das mal so pauschalisieren darf. Aber sie sah ihnen nie gerne beim Sterben zu.
Seitdem ich denken kann, erzieht mich meine Mutter zum Respekt gegenüber Tier- und Pflanzenwelt. Seitdem ich denken kann, steht das Wohl unseres Grüns auch in meiner Verantwortung. Immer wieder ließ sie mich mit ihr gießen. Mir fiel auf, dass sie während des Gießens Gebete sprach. Es war für mich ein gewohnter Sprachklang, die richtige Bedeutung lernte ich erst später. Aber sie sprach auch zu den Pflanzen. Sie entschuldigte sich, wenn sie sah, dass die Spitzen einiger Blätter abzusterben drohten.
Als ich mit dem Studium begann und mich allgemein als reif genug bewies, begann sie meiner Bitte nachzugehen auch mal Reisen ohne mich anzutreten. Die Frauengruppen waren eh nie so wirklich mein Ding. Immer wieder blieb ich allein zuhause mit unseren Pflanzen. Meine Mutter schwor mich ein mich um sie zu kümmern. Ich versprach es es ihr. An einem Freitag sollte ich sie gießen, hatte aber viel zu tun. Wir waren vor und nach dem Freitagsgebet Werbekunden für die Zeitung treffen und ich kam erst spät zurück. Ich vergaß, sie zu gießen. Am nächsten Tag ein ähnlicher Ablauf, wieder vergessen. Am Sonntag wachte ich mit einer sehr unangenehmen Stimmung auf. Ich hatte nicht schlecht geträumt oder unbequem gelegen. Ich war einfach nur bedrückt. Der erste Gang in die Küche offenbarte mir den wahrscheinlichen Grund. Die Pflanzen waren durstig.
Hektisch füllte ich die Kanne auf und begann die erste Pflanze zu gießen. Ich erinnerte mich an die ernstgemeinte Mahnung meiner Mutter, ich solle doch mit den Pflanzen sprechen. Ich war eh alleine, dachte ich mir, also warum nicht. Ich begann Salawat zu rezitieren, den Segenswunsch auf den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, und entschuldigte mich für meine Vernachlässigung. Das tat ich bei jeder einzelnen Pflanze. Beim Lesen hört es sich vielleicht ein wenig seltsam an, aber das war es nicht.
Es sind Lebewesen. Nichts auf der Welt lebt ohne die Erlaubnis Allahs. Nichts auf der Welt lebt ohne die natürliche Veranlagung Allah zu kennen. Auch diese Pflanzen sind Diener des Schöpfers. Sie spenden Sauerstoff und Schönheit. Sie sind Mittel Allahs für das große Ganze. Denn Allah ist Der Lebensspender und Er liebt die Schönheit. Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, erklärte, dass alle Geschöpfe zu einer Familie gehören und dass der Meistgeliebte bei Allah derjenige ist, der höchstes Mitgefühl für seine Familie hegt.
Sie leben unter meiner Verantwortung und vertrauen mir. Die von Gott im perfekten Kreislauf geschaffene Natur hätte ihnen Regen gespendet. Und es heißt doch, dass mit jedem Regentropfen ein Engel herabsteigt. Ich nahm diese Pflanzen zu mir und verwehrte ihnen den Regen und die Begegnung mit den Engeln. Also bin ich ihnen Wasser schuldig und die Gebete, die die Engel wieder in ihre Nähe bringen.
Unter allen so wertvollen Lektionen meiner Mutter, war diese mir immer die Schönste. Frieden und Segen seien auf dem Gesandten Allahs, der uns Liebe und Wissen um das Leben brachte.