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Unter dem Eindruck von Hanau

Foto: Bundesregierung, Schacht

Nun kommt er also: Innenminister Seehofer ist erstmals beim Integrationsgipfel dabei. Im Juni 2018 war er dem Treffen noch fern geblieben. Wenig später bezeichnete er die Migration als „Mutter aller Probleme“. Von Birgit Wilke

Berlin (KNA). Migrationsverbände machten ihrem Unmut deutlich Luft: Sie forderten im Vorfeld des Integrationsgipfels am Montag im Bundeskanzleramt mehr Einsatz beim Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Der Gipfel sei eine gute Dialogplattform, jetzt aber müssten Taten folgen. Hinter vorgehaltener Hand war die Kritik deutlich schärfer: Seit Jahren rede man über Sprachkurse, dabei sei das Problem des Rechtsextremismus und der Islamfeindlichkeit schon so lange virulent.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nun für Montag rund 50 Vertreter von Migrantenverbänden bereits vor dem eigentlichen Integrationsgipfel eingeladen. Anlass sind laut Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert die rassistischen Morde in Hanau. Mit dabei sind auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU).

Zumindest beim ersten Teil des anschließenden Integrationsgipfels wird Seehofer auch noch dabei sein. Für ihn ist es das erste Mal. Zum vergangenen Treffen vor zwei Jahren kam er nicht. Als Grund für seine Absage nannte er damals einen Artikel von Ferda Ataman, einer Journalistin und Sprecherin der „Neuen Deutschen Organisationen“, einem Netzwerk für Vielfalt und Gleichberechtigung von Menschen aus Einwandererfamilien. Ataman, die auch jetzt wieder am Gipfel teilnimmt, hatte sich damals mit dem Begriff Heimat befasst und in einem Artikel davor gewarnt, Deutschland „als Heimat der Menschen, die zuerst hier waren“ zu verstehen.

Seehofer, der sein Ministerium um den Bereich Heimat erweitert hatte, sprach dann im Spätsommer 2018 von der Migration als „Mutter aller Probleme“. Eine Formulierung, für die er damals auch aus den eigenen Reihen viel Kritik einstecken musste.

Zwei Jahre später ist die Situation eine andere: Den Spruch von damals würde Seehofer wohl nicht mehr in den Mund nehmen. Stattdessen sieht er nach dem Anschlag in Hanau vor gut einer Woche ein „hohes Gefährdungspotential durch den Rechtsextremismus“. In der jüngsten Sitzung des Innenausschusses des Bundestags sprach er laut Teilnehmern von einer „Blutspur des Rechtsterrorismus“ und warnte vor einer Relativierung. Am 19. Februar hatte den Ermittlungen zufolge ein 43-jähriger Deutscher in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Die Bundesanwaltschaft attestierte dem Täter eine „zutiefst rassistische Gesinnung“.

Widmann-Mauz sprach sich im Vorfeld des Gipfels bereits für mehr Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus aus. Explizit plädierte sie dafür, sich stärker mit Islamfeindlichkeit zu befassen. Sie trat dafür ein, eine entsprechende Expertenkommission einzusetzen. Auch das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus müsse entsprechend nachjustiert werden. Für Betroffene solle es ein „Hilfetelefon Rassismus“ geben.

Die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat macht sich indes dafür stark, dass sich auch der Bund an den Kosten für die Sicherung von Moscheen beteiligt. „Was für Synagogen gilt, muss auch für Moscheen gelten“, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Noch weiter gehen naturgemäß die Forderungen der Migrantenverbände. In dem Papier machen sich die Organisationen dafür stark, als neues Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, dass Deutschland ein „vielfältiges Einwanderungsland“ sei. Zugleich müsse der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz gestrichen werden.

Die Verbände sprachen sich nach dem Beispiel des Deutschen Ethikrats für einen „Nationalen Rat zur interkulturellen Öffnung“ aus. Daran sollten Migrantenorganisationen beteiligt werden. Zudem müsse es in Entscheidungsfunktionen eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Migrationshintergrund geben. Dazu solle es etwa Zielquoten für Führungskräfte geben.

Auch die Seehofer-Formulierung griffen die Verbände indirekt noch einmal auf und konterten sie auf eine Art und Weise, die vielleicht auch der Bundesinnenminister im Jahr 2020 unterschreiben würde. Sie bezeichneten den Rassismus als „Vater aller Probleme“.