
Vergessene Krisen: 123 Millionen Menschen weltweit sind Zwangsvertriebene. Experten zufolge gibt es heute so viele bewaffnete Konflikte wie seit 1946 nicht mehr: 61 in 36 Ländern. Die meisten geschehen abseits der Weltöffentlichkeit.
Bonn (KNA, iz). Hunger im Gazastreifen, das Leid der entführten Geiseln, abgeworfene Hilfslieferungen, die ihr Ziel nie erreichen. Die Lage in Nahost beherrscht die Schlagzeilen. Andere Krisen und Konflikte indes werden medial verdrängt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nimmt einige davon in den Blick.
Die große Krise im Sudan
Im Sudan wurde im April 2023 aus einem Kampf zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) ein Krieg um die Vorherrschaft im Land. Auslöser war die geplante Eingliederung der RSF in das reguläre Militär.
Die Vorgeschichte aber ist viel älter: 2019 wurde Langzeitherrscher Omar al-Bashir gestürzt. Nach anfänglicher Hoffnung wuchsen wirtschaftliche Probleme und damit Unzufriedenheit. 2021 kam es zu einem Militärputsch. 2023 eskalierte die Gewalt.
Foto: UNHCR | Ala Kheir
Die Folgen: Zwölf Millionen Menschen wurden seither laut UN-Angaben vertrieben. Vier Millionen suchten Schutz in Nachbarländern, die ebenfalls unter dem anhaltenden Bürgerkrieg leiden. Allein der Tschad nahm bisher 1,2 Millionen Menschen auf.
Mindestens 150.000 Menschen starben. Eine Hungersnot wurde schon im August 2024 in Teilen Nord-Darfurs bestätigt. Nach Schätzung des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Hilfe (OCHA) werden in diesem Jahr 4,2 Milliarden US-Dollar für humanitäre Hilfe benötigt, doch bisher ist nicht einmal jeder vierte US-Dollar bereitgestellt.
Laut der Welthungerhilfe sind in Darfur neun Millionen Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Im ganzen Land gebe es 30 Millionen Hilfsbedürftige. Im Januar sprach der damalige Papst Franziskus von der schlimmsten humanitären Katastrophe der Welt.
Am Horn von Afrika
Über Somalia am Horn von Afrika, einen der fragilsten Staaten der Welt, wird schon lange kaum noch berichtet. Dabei gelang es der Terrormiliz Al-Shabaab im März, in der Stadt Beledweyne im Zentrum des Landes für 24 Stunden ein ganzes Hotel unter ihre Kontrolle zu bringen. 20 Menschen wurden ermordet.
Die Extremisten führen einen bewaffneten Kampf gegen die Regierungstruppen; dazu kommt politische Instabilität. Nach UN-Angaben sind fast vier Millionen Menschen vertrieben worden, etwa 4,4 Millionen leben in einer kritischen Ernährungssituation. Der Klimawandel und die daraus resultierenden Dürren und Überschwemmungen verschärfen den Konflikt.
Foto: UN Photo, via flickr | Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0
Mali und der Sahel
Seit dem Abzug der Bundeswehr hat auch das Interesse am Sahelstaat Mali merklich abgenommen. Dabei breitet sich die islamistische terroristische „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) rasant in Richtung Süden und Westen aus und ist längst in den Nachbarländern – vor allem Burkina Faso und Niger – präsent.
Angst und Schrecken verbreitet aber auch die malische Armee, die mit der russischen Wagner-Miliz – heute Afrikakorps genannt – kooperiert. Die Vorwürfe von Menschenrechtlern: Im Anti-Terror-Kampf würden selbst unschuldige Zivilisten zu Terroristen erklärt, es komme zu Massakern mit Hunderten Toten. Eine unabhängige Berichterstattung aus der Region ist derzeit nicht möglich.
Komplett aus den hiesigen Nachrichten verschwunden ist Kamerun. Das passt zur Einschätzung des Norwegischen Flüchtlingsrats, der jährlich eine Liste vernachlässigter Vertreibungskrisen erstellt.
Die aktuelle Rangfolge führt erneut das Land in Zentralafrika an. Aufgrund mehrerer Krisen – Terroristen im Norden, im Südwesten ein Kampf zwischen Armee und nach Unabhängigkeit strebenden Milizen – gibt es mehr als 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
Dass sich daran etwas ändert, ist unwahrscheinlich: Im Oktober will sich der 92 Jahre alte Langzeitherrscher Paul Biya zur Wiederwahl stellen.
Screenshot: Arakan Army, YouTube
Vergessener Tod in Myanmar
In Asien spielt sich ebenfalls eine von der Weltöffentlichkeit wenig beachtete Krise ab: Seit einem Putsch im Februar 2021 ist das Militär an der Macht. Im darauf folgenden Bürgerkrieg starben Zehntausende Menschen. Hinzu kam vor einigen Monaten ein verheerendes Erdbeben mit Tausenden Toten.
Juntachef Min Aung Hlaing hat zwar für Ende des Jahres Wahlen angekündigt. Doch Beobachter sind skeptisch, ob dies tatsächlich zum Frieden führt: Der Juntachef selbst leitet die Wahlkommission. Überdies beschränkt ein Gesetz den freien Zugang zum Internet.
Afghanistan
Weitgehend ignoriert wird mittlerweile auch Afghanistan. Dabei gingen Bilder von dort vor vier Jahren um die Welt: Tausende Afghanen auf dem Rollfeld des Kabuler Flughafens mit der Hoffnung, das Land in letzter Minute vor der Machtübernahme der Taliban doch noch verlassen zu können.
An das Schicksal der afghanischen Zivilbevölkerung – vor allem die Rechte von Frauen und Mädchen wurden stark eingeschränkt – wird meist nur noch am Jahrestag (15. August) erinnert.