Vom Verrat der Eliten

Ausgabe 302

Foto: Sergey Novikov, Adobe Stock

(Common Ground News). Gewalt seitens Polizei und Sicherheitsbehörden wie dem FBI, die sich zu Besatzungsmächten auswachsen, dienen dem Schutz des ausschließlichen Interesses einer winzigen kriminellen Klasse. Das enthüllt die Fiktion der Herrschaft des Rechts und den Verrat der dominanten Eliten.

Diese herrschenden Eliten haben keine Legitimität mehr. Sie haben unsere kapitalistische Demokratie zerstört und sie durch einen mafiösen Staat ersetzt. Was der römische Denker Cicero Gemeinwesen, Res Publica, „öffentliche Sache“ oder das „Eigentum der Leute“ nannte, wurde in ein Werkzeug des nackten Plünderns und der Repression im Namen einer globalen Konzernoligarchie verwandelt. Wir sind Leibeigene unter der Herrschaft reicher, omnipotenter Meister, die den US-Staatsschatz plündern, kaum oder keine Steuern zahlen. Diese haben Rechtssprechung, Medien und die legislativen Zweige der Regierung verdorben, um unsere bürgerlichen Freiheiten zu entziehen und ihnen freie Hand für finanziellen Betrug und Diebstahl zu geben.

Der Kontrollverlust über unser Herrschaftssystem, der Missbrauch aller demokratischen Institutionen, des Wahlsystems und Gesetze kanalisiert Geld nach oben zu einer Handvoll Oligarchen, während uns Macht entzogen wird. Die düstere Bedeutung dessen ist, dass die herrschenden Eliten nicht länger das Recht auf ein Gewaltmonopol beanspruchen können. „Damit Gewaltlosigkeit funktionieren kann, muss euer Gegner ein Gewissen haben“, warnte Stokely Carmichael. Tyrannei übernimmt den Platz von Reform. Die Gefahr weit­verbreiteter sektiererischer Gewalt in Amerika ist jetzt sehr real.

Es gibt drei Optionen: Reform (unmöglich angesichts des Verfalls im amerikanischen Staatswesen), Revolution oder Tyrannei. Je mehr Dinge zerfallen, umso bedrohter fühlen sich die Eliten und umso brutaler werden die Polizei, Nationalgarde und Staatsorgane sein müssen. Je länger die Diener ihren Meistern widersprechen, desto größer wächst die Bevölkerung der Gefängnisse. Und sie ist heute schon die größte in der Welt.

Wird der Mafiastaat nicht gestürzt, wird Amerika zu einem Polizeistaat, in dem jeder Opposition, egal wie mild sie sein mag, mit drakonischer Zensur oder Macht begegnet wird. In mehreren Städten des ganzen Landes hat die Polizei bereits die Berichterstattung von Dutzenden Journalisten vereitelt, die über die Proteste durch körperliche Gewalt, Verhaftungen, Tränengas, Gummigeschosse und Pfefferspray berichten wollten. Die krassen sozialen Unterschiede, die erheblich auf Rassismus aufbauen, werden von Neofaschisten an der Macht genutzt, um die legitime Wut der betrogenen Arbeiterschaft in eine Aggression von Nachbar gegen Nachbar umzuleiten. Neofaschistische „Patrioten“ werden als Kettenhunde entfesselt, um People of Color (PoC), Muslime, Feministinnen, Intellektuelle, Künstler, Medien und Liberale anzugreifen. Widerspruch, selbst wenn er gewaltlos ist, wird zu Verrat.

Bei den Aufständen in den Straßen amerikanischer Städte geht es nicht nur um den mutwilligen Mord an einem/r weiteren PoC durch die Polizei. Es handelt sich auch um einen verzweifelten Kampf zur Rückgewinnung über unser eigenes Leben. Das geht weit über Polizeibrutalität hinaus und ist Alltag für diejenigen, die in unseren internen Kolonien gefangen sind, in denen jedes Jahr 1.100 Bürger von der Polizei ermordet werden – fast alle unbewaffnet. Genauso werden die Erhebungen angefeuert von der Inbesitznahme der institutionellen und strukturellen Mechanismen, die einst eine gewisse Form von Gleichheit ermög­lichten – nie fehlerfrei und mit negativer Färbung gegen die Armen und PoC.

Die Hälfte des Landes lebt in Armut oder in einer Kategorie, die ihr nahekommt. Die arbeitende Klasse und die erwerbstätigen Armen (engl. working poor) werden finanziell aus dem Gesundheitssystem herausgedrängt. Die Schulen erziehen deren Kinder nicht. Sie leben ohne angemessenes Essen und oft ohne sauberes Wasser, werden wiederholt aus ihren Wohnungen vertrieben, können ihre Versorger nicht bezahlen, finden keine Jobs, werden durch lähmende Schulden bestraft und sterben an der Pandemie in unverhältnismäßigen Raten.

Sie begreifen die Botschaft der Oligarchen: Sie und ihre Kinder sind entbehrlich. Sie zählen nicht. Ihre Leben bleiben folgenlos, solange sie nicht in einen Käfig gesperrt sind, in dem sie bis zu 60.000 US-Dollar jährlich für die Vielzahl und Unternehmen generieren können. Zu den Profiteuren gehören die gewinn­orientierten medizinischen Dienste, ­Verpflegungsdienste, Geldtransferdienste, Kommissarendienste, Telefondienste, ­privaten Gefängnisse und Gefängnisunternehmer; ganz zu schweigen von den großen Unternehmen und Landesregierungen, die die billigen und gebundenen Arbeitskräfte von einer Million unserer 2,3 Millionen Gefängnisinsassen ausbeuten. Das Gefängnissystem ist eine Industrie, die Milliarden US-Dollars pro Jahr Macht. Lobbyisten in den Landeshauptstädten und Washington stellen sicher, dass diese Körper in den Käfigen bleiben oder schneller wieder dorthin zurückkehren, sobald sie freigelassen werden. Die Neo-Sklaverei ist das Unternehmensmodell für alle in Amerika.

Je länger die herrschende Elite sich weigert, die Ursache hinter diesen Protesten anzusprechen, umso mehr rauben sie den Staatsschatz aus, um sich und ihre Mitoligarchen zu bereichern. Je mehr sie sich an vergeblichen und absurden ­Versuchen beteiligen, von ihrer Schuld abzulenken, desto mehr werden sich die Unruhen ausbreiten.

Es sind nur die schwindenden und mehrheitlich weißen mittleren und professionellen Klassen, welche an die Fiktion glauben, dass diese Abstimmung eine Wahl anbietet oder dass wir in einer ­Demokratie leben. Die Arbeiterklasse und die erwerbstätigen Armen wissen es besser. Ihr Leben war, wie Barbara ehrenreich schrieb, bereits vor der Pandemie ein langer Notfall. Jetzt stehen sie vor der Aussicht der Zahlungsunfähigkeit, wenn im Sommer die Schecks für Arbeitslosigkeit und Konjunkturpakete auslaufen. Die Sperre von Zwangsräumungen wurde aufgehoben, sodass sich die obdachlose Bevölkerung von elf Millionen Menschen verdoppeln oder verdreifachen kann. 48 Prozent der Schwerarbeitenden hat keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und 43 Millionen haben gerade ihre arbeitsgeberfinanzierte Krankenversicherung verloren. Die ­Tafeln werden bereits von zehntausenden verzweifelten Familien überrannt.

Und was haben unsere kleptokratischen Herrscher in dieser Krise getan? Sie raubten 4 Billionen US-Dollar in einer Größenordnung, die seit dem von Barack Obama und Biden überwachten Rettungspaket von 2008 nicht mehr gesehen wurde. Sie versorgten und bereicherten sich auf unsere Kosten, während sie den leidenden und verachteten Massen Krümel aus den Fenstern ihrer Privatjets, Yachten und Palasthäuser ­warfen.

Wie langen können wir erwarten, dass die Leute zuschauen, wenn ihre Kinder hungrig sind? Wie lange kann man glauben, dass die Leute zusehen, wenn geliebte Menschen leiden und sterben, weil sie keine medizinische Versorgung ­bekommen? Wie lange glauben wir, dass es gutgehen kann, dass Leute von einer rechtlosen Polizei und einem Gerichtssystem, welches die Armen in Gefängnisse treibt, missbraucht werden? Wie lange kann man zuschauen, dass die ­Reichen vom Elend profitieren?

Ich würde es vorziehen, dass unsere ­Revolution das Gift der Gewalt ablehnt, das ich nur zu eng von meinen zwei Jahrzehnten als Kriegsberichterstatter kenne. Es werden schlussendlich die herrschenden Eliten sein, welche den Mechanismus von Widerstand bestimmen. Wenn sie jeden Ausweg versperren, wenn sie ­ausschließlich in der Sprache der Macht reden, dann wird diese Sprache zur einzigen Form von Kommunikation. Trumps Forderung, dass Bundesstaaten die Nationalgarde einsetzen, um Proteste zu zerschlagen und den Einsatz des US-Militärs auf den Straßen amerikanischer Städte androhen, erhöht nur den Ärger und die Frustration, die zu den Unruhen führten.

Der letzte verzweifelte Versuch der ­Oligarchen, sich selbst zu retten, wird es sein, dass Feuer rassifizierter Gewalt zwischen entrechteten Weißen und People of Color anzuheizen. Ich fürchte, das wird das nächste Kapitel der Geschichte sein. Ich sah die Anwendung dieser Taktik mit tödlicher Effektivität im ehemaligen ­Jugoslawien. Das sind dunkle Zeiten und sie werden dunkler.