Von „Asyltourismus“ und „geflutetem“ Land: „Brachiale Sprache“ steht in der Kritik

Ausgabe 277

Foto: Freud, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-Sa 3.0

(KNA). Am dritten Juniwochenende trendete auf Twitter ein Begriff, der gute Chancen haben dürfte, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden: „Asyltourismus“. Geprägt hat ihn der bayerische Ministerpräsident Söder: „Der Asyltourismus muss beendet werden“, twitterte er am 14. Juni. Vier Tage später präzisierte Söder, er wolle den „Asyltourismus in Europa beenden“.
Auf dem Kurznachrichtendienst erntete er viel Kritik, teils harsch, teils elegant verpackt. So zitierte die „Tagesschau“ die Definition von „Tourismus“ aus dem Duden: „das Reisen, der Reiseverkehr (in organisierter Form) zum Kennenlernen fremder Orte und Länder und zur Erholung“. Die Seenotretter von SeaWatch veröffentlichten ein Foto, auf dem ertrinkenden Menschen ein Rettungsring zugeworfen wird. So sehe „Asyltourismus“ bei ihnen aus, kommentierten die Helfer – und luden Söder zu einem „Urlaub“ auf ihrem Rettungsschiff ein.
Indes, nicht jeder reagiert ablehnend. Söder erhält auch Zustimmung, genau wie sein Parteikollege, der frühere Bundesinnenminister Friedrich, der kürzlich erklärte, das Land sei im Jahr 2015 mit Flüchtlingen „geflutet“ worden.
Sprache ist nicht neutral. Sie prägt die Wahrnehmung der Realität. Sprachwissenschaftler sprechen von „Framing“, wenn durch stete Wiederholung ein bestimmtes Verständnis eines Sachverhalts durchgesetzt werden soll. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Begriff „Fake News“, den US-Präsident Trump erfolgreich etabliert hat.
In diesem Zusammenhang bekamen jüngst auch TV-Talkshows Gegenwind. Flüchtlinge würden dort in den Fragen in erster Linie als kriminell, der Islam  als Problem beschrieben, so die Kritik. Nach dem verlorenen WM-Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft twitterte der Aktivist Gerald Hensel, er sehe schon die Talkshow vor sich: „Deutsches WM-Aus. Welche Rolle spielt der Islam?“
Dass sich Sprache und Maßstäbe in Debatten verschieben, beobachten Wissenschaftler seit längerem. Momentan scheint sich die Stimmung einem neuen Siedepunkt zu nähern. Stil und Tonfall der CSU-Führung seien „erschreckend“, konstatierte der Essener katholische Generalvikar Pfeffer auf Facebook. Er bezog sich direkt auf Söders „teilweise brachiale Sprache“. Die CSU sei „längst dabei, eine rechtspopulistische Partei zu werden“, so Pfeffer: Statt „Besonnenheit und Bemühen um ein differenziertes Denken und Sprechen“ gebe es „einfache Thesen und subtil aggressive Töne“.
Deutliche Worte fand auch der frühere bayerische Kultusminister Maier (CSU) für seine Partei. Die Flüchtlingsfrage als möglicher „Scheidungsgrund“ von der CDU sei „grotesk“ und „abenteuerlich“, sagte er im Deutschlandfunk. Als Partei mit dem „C“ im Namen sei die CSU auf Menschenwürde und Nächstenliebe, auf die Zehn Gebote und die Botschaft Jesu verpflichtet, mahnte Maier.