Wahlsieger in Indien wird mit "Feldzug" gegen Muslime in Verbindung gebracht

Neu Delhi (dpa) – Indien ist zwar ein aufstrebendes Schwellenland – doch das reicht den Indern nicht. Denn kaum jemand auf dem riesigen Subkontinent hat den ganzen Tag Strom, die Straßen sind löchrig, Brunnen oft trocken und Jobs in der Industrie Mangelware. Ein Fünftel der 1,2 Milliarden Bürger lebt unter der absoluten Armutsgrenze, muss also auf dem Land mit weniger als 34 Euro-Cent am Tag auskommen. Dafür machen die meisten Inder die Kongresspartei verantwortlich, die Indien fast ununterbrochen seit der Unabhängigkeit regiert hat. Sie haben nun genug und deswegen den Wandel gewählt.

Der Wandel wird personifiziert von Narendra Modi, dem Spitzenkandidaten der hindu-nationalistischen Partei BJP. «60 Jahre haben wir den Kongress gesehen, mit all seiner Korruption, der hohen Inflation und dem laschen Umgang mit Terrorismus», sagt Ajay Mann (24), ein angehender Beamter in Delhi. Als Regierungschef im Bundesstaat Gujarat habe Modi große Unternehmen angelockt und das Land wirtschaftlich entwickelt. «Dort hat er gezeigt, wie es geht. Dieses Modell soll er nun im ganzen Land umsetzen.» Modi könnte schon in den nächsten Tagen Premierminister Indiens werden.

Zahlreiche Wähler waren zur Stimmabgabe für Modi bereit, obwohl unter seinen Augen 2002 eines der schlimmsten Massaker geschah, das Indien je erlebte. Menschenrechtler, Akademiker und Diplomaten werfen dem 63-Jährigen vor, einen organisierten Feldzug gegen die muslimische Minderheit im Land geführt zu haben. Bei den wochenlangen Attacken kamen damals mehr als 1000 Menschen ums Leben. Verurteilt wurde er dafür nie. «Aber Unruhen geschehen in ganz Indien, jeden Tag, nicht nur in Gujarat», sagt Student Aman Varma (22).

Varma hofft wie Millionen anderer, dass mit Modi an der Spitze das zuletzt eingebrochene Wirtschaftswachstum wieder Fahrt aufnimmt. «Der Verdienst des Modi-Sieges gilt eigentlich der Kongresspartei, denn im ganzen Land gibt es eine tiefe Abneigung dagegen, wie sie das Land regiert hat, vor allem in den vergangenen drei Jahren», sagt der Politikjournalist Vinod Mehta. Da erlebte Indien katastrophal schlecht organisierte Commonwealth-Spiele, eine Finanzkrise und mehrere milliardenschwere Korruptionsskandale auf höchster Ebene.

Doch auch in Modis Bundesstaat Gujarat glänzt keineswegs alles. Auch dort hungert die arme Landbevölkerung, auch dort haben Dörfer keinen Strom- und Wasseranschluss. «Das Gujarat-Modell ist nur zum Teil ein Fakt und zum anderen Teil ein Hype», sagt Rajni Bakshi von der Denkfabrik Gateway House. Modi habe Agrarland zu Schleuderpreisen an Unternehmer gegeben, deswegen liege das Wirtschaftswachstum dort höher als in anderen Teilen Indiens. «Aber ob das auch auf nationaler Ebene klappt? Ich denke, dann werden die Bauern, die nicht richtig entschädigt werden, für Krawalle sorgen.»

Der Ökonomieprofessor Rakesh Basant weist darauf hin, dass Gujarat seit Jahrzehnten über eine starke Wirtschaft verfügt, nicht erst seit der Regierung Modi. «Modi versagte außerdem bei den sozialen Faktoren: Die Müttersterblichkeit etwa ist vergleichsweise hoch und die Bildung schlecht», sagt er. Hinzu komme, dass Muslime und Hindus nirgendwo sonst so strikt getrennt voneinander lebten wie in Gujarat. «Für Muslime ist es quasi unmöglich, in einer Hindu-Gegend Land zu kaufen oder eine Wohnung zu mieten.»

Doch Indien sei eben vor allem in einer wirtschaftlichen Krise, aus der es unbedingt ausbrechen müsse, meint der Anwalt Deepak Choudhary. Modi sei die beste Wahl gewesen, die er hatte. «Indien braucht einen Kraftmenschen, einen Reformer, der uns aus dem Kuddelmuddel befreit.»