"Wir sind Träger von Liebe und Hoffnung"

Foto: Ömer Sefa Baycal

(iz). Wir hassen Tage wie diese. Sie sind so erdrückend. Irgendetwas liegt in der Luft. Haben die Leute in unserem Land jetzt Angst vor uns? Diese Blicke, diese Kälte, es wirkt wie Misstrauen. Sollten wir uns klarer positionieren? Dabei macht dieses Distanzieren keinen Spaß. Es nervt. Warum sollen wir jetzt allen zeigen, dass das nicht der Islam ist? Warum finden sie das nicht selbst heraus? Warum lesen sie nicht einfach den Qur’an? Warum müssen immer wir hinhalten?
Aus guten Gründen. Wir sind Muslime. Allah spricht uns im Qur’an an und gibt uns Aufgaben. Wenn wir dachten, dass es leicht wird, haben wir uns geirrt. Allah wird uns nach unseren Taten befragen. Er wird uns nicht fragen, ob die Gesellschaft es uns leicht machte oder warum „die Anderen“ sich nicht informiert haben. Das ist deren Sache, nicht unsere. Und Allah warf den Qur’an nicht auf die Erde und ließ alle Menschen ihn von allein lernen. Allah sandte Propheten und ließ diese den Menschen Wissen geben. Nur Allah ist ohne Lehrer. Er lehrte die Engel, die Engel lehrten die Propheten, die Propheten lehrten die Gefährten und so lernten über Jahrhunderte der Wissenschaften wir vom Islam.
Wenn wir uns nicht positionieren und über den Islam aufklären, tut es niemand. Oder die Falschen. Wir leben nicht zum Spiel. Wir sind Muslime. Wir dienen dem Schöpfer und arbeiten für die Schöpfung. Wir bemühen uns um unsere Gesellschaft, schützen die Tiere und die Natur, stellen uns gegen Ungerechtigkeit, setzen uns ein für freien Handel, suchen Lösungen für Probleme, erforschen die Weiten der Welt und des Wissens. Wir sind Träger von Liebe und Hoffnung, mit Schildern aus Willen, Mut und Stärke, bereit alles wegzustecken.
Wir hassen Tage wie diese. Bei der ohnehin angespannten Stimmung verübten Menschen ein grausames Massaker, das sie unserem Glauben zuschieben. Einige von uns wollen nicht glauben, dass das die Wahrheit ist und schmieden Verschwörungstheorien. Ob sie es waren oder nicht ändert aber nichts an der Tatsache, dass es Leute gibt, die diese Tat rechtfertigen. Sie nerven uns. Alle erwarten, dass wir uns um sie kümmern, sie fertigmachen oder loswerden. Dabei sind diese Leute doch über alle Berge der Logik verschwunden. Sie hassen uns, die muslimische Mitte. Für sie sind wir Irregegangene.
Sie fingen an und erzählten, einer Rechtsschule zu folgen sei falsch, man brauche keine Lehrer, „Qur‘an & Sunnah“ würden genügen. Sie gingen weiter und sagten, Tasawwuf wäre Unglauben und Kritik sei Verrat. Wer ihnen widersprach und ihre Sekte benannte wurde der „Spaltung“ oder „Fitna“ beschuldigt. Dennoch haben wir uns bemüht nie von unseren Lehren der Mitte abzuweichen. Auch dann nicht, als die „Liberalen“ kamen, hofiert von Politik und Medien, auf einem Streifzug gegen diejenigen, die sie als „Konservative“ bezeichnen und mit den Radikalen in einen Topf werfen. Ihr gemeinsamer Hass auf die muslimische Tradition, die über Jahrhunderte nichts verbrach, eint sie. Sie eint das Schüren von Misstrauen in unsere Verbände und Moscheen. Sie eint die fehlende Verankerung in der muslimischen Community.
Wir sehen uns seit geraumer Zeit unter Beschuss von zwei extremen Rändern, die uns ihre Meinungen aufzwingen wollen. Sie beide sehen sich als geistig überlegen, meinen begriffen zu haben, wofür wir bislang zu dumm gewesen sein sollen. Aber wir bleiben dabei und beugen uns nicht.
Und wir hassen Tage wie diese, wenn man uns vorwirft, uns nicht klar genug zu positionieren. Vielleicht stimmt es ja auch. Wenn es Menschen gibt, die unsere Linie nicht kennen und denken, wir könnten Terrorismus gutheißen oder würden ihn nicht absolut ablehnen, dann haben wir sicher etwas falsch gemacht. Ja, es gibt auch Unbelehrbare, Sturköpfe, Berufsidioten. Aber wenn wir alle das Gefühl haben, uns distanzieren zu müssen, dann wird es wohl überall im Land so einige Menschen geben, die wahrscheinlich doch diese Aufklärung nötig haben. Und wer, wenn nicht wir, soll das übernehmen?
Wir hassen Tage wie diese, weil sie uns in der Konsequenz daran erinnern, wie viel wir doch versäumen. Denn an Tagen wie diesen sollte es eigentlich keinen Bedarf geben sich zu erklären. Unsere Nachbarn müssten uns kennen. Sie müssten wissen, wer wir sind, wofür wir stehen und woran wir glauben. Sie müssten auf die Medien zeigen und von allein sagen können: „Das ist sicher nicht der Islam. Den Islam kenne ich schon.“ Also entweder beugen wir vor und klären auf oder wir baden aus und klären auf. Aber wir beschweren uns nicht. Schließlich geht es um den Islam. Ist es nicht eine Ehre für ihn einzustehen?
Wir hassen Tage wie diese, weil in ihnen der Islam angegriffen wird. Von Terroristen, die meinen ihren abscheulichen Terror mit dem Islam begründen zu können. Und von Islamhassern, die diese Terroristen bestätigen und im Islam genau dieses Abscheuliche suchen. Wir müssen den Islam verteidigen, gegen beide.
Gerade an Tagen wie diesen. Weil unsere Gesellschaft kälter wird. Wir leben mit und in der Technik, machen uns zu einem Sklaven dieser. Wir werden immer älter und unsere Alten immer einsamer. Einige dieser Alten gehen auf die Straße und protestieren gegen Islam und Muslime. Auch wenn sie diese nicht kennen. Machen wir es ihnen zum Vorwurf oder uns? Sie werden einsamer und ihr Ton rauer. Nur, weil wir uns nicht bemühten, sie zu besuchen, ihnen zu helfen, mit ihnen zu sprechen. Menschen mit Existenzängsten, die Beruhigung für ihr Herz brauchen. Ist Sachsen weit? Wir haben Geld und Zeit. Aber haben wir Willen? Denn unsere Aufklärung ist kein Zeichen unserer Güte.
Nein, jeder Mensch hat das Recht auf Islam. Und wenn wir als Leute dieses Landes es versäumen, haben wir ihr Recht gebrochen. Wir hassen Tage wie diese, weil es heißt und wirkt, als würde nichts mehr so sein, wie es mal war. Doch war es eben nie wirklich hervorragend. Was will uns Allah mit Tagen wie diesen sagen? Seine Botschaft ist lebendig und Seine Worte sind beständig. Wir müssen uns nur bemühen zu verstehen. Ja, bemühen. Auch wenn wir es uns lieber leicht machen wollen.
Wir hassen Tage wie diese, weil jeder zweite meint, Experte zu sein und die Welt erklären zu können. Vielleicht aber auch, weil wir uns dazu gedrängt fühlen. Dazu aber nicht dazu für den Islam einzustehen? Wir hassen Tage wie diese, weil wir keine Lust auf Aktionismus haben. Kurze Betroffenheit und symbolische Anteilnahme. Aber keine wirkliche Veränderung. Und deshalb müssen wir die Veränderung sein. Ich will diese Tage lieben, wenn unsere Antwort Verantwortung ist. Verantwortung für den Ort und die Zeit, die Allah für uns wählte. Verantwortung für die Welt, die Er uns schuf.
„Gut und Böse sind nicht gleich. Wehre (das Böse) mit dem ab, was besser ist, und schon wird der, zwischen dem dir Feindschaft herrschte, wie ein guter Freund werden. Das wird aber nur denen gegeben, die geduldig sind; niemandem wird es gegeben als dem Besitzer innerer Größe.“ (Qur’an 41:34-35)