(iz). Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der linken Bundestagsfraktion hervorgeht, gab es 2017 mindestens 950 Angriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen. Die Behörden sprachen von knapp 60 Anschlägen, Schmierereien und Schändungen auf Moscheen und andere Stätten. Wie drängend das ist, zeigten die letzten Wochen. Ungeachtet der unterschiedlichen Motivlage kam es in Halle (Sachsen-Anhalt), Nordhausen (Thüringen), Berlin, Ulm, Bremen, Itzehoe (Schleswig-Holstein) und anderen Orten zu versuchten oder erfolgten Angriffen auf muslimische Gebetsstätten.
Hierzu sprachen wir mit dem Juristen und Berater Engin Karahan über Möglichkeiten der Vorbeugung sowie, was Gemeinden tun sollten, nachdem es zu einem Vorfall gekommen ist. Laut Karahan brauchen die Gemeinden Konzepte für die Sicherheit ihrer Einrichtungen aber auch eine aktive Kommunikation mit den relevanten Ansprechpartnern sowie ihrem Umfeld.
Islamische Zeitung: Lieber Engin Karahan, was raten Sie als Jurist und Berater jenen Moscheegemeinden oder anderen muslimischen Einrichtungen, die bedauerlicherweise die Erfahrung mit Übergriffen, Sachbeschädigung oder Vandalismus machen? Was wären die konkreten Schritte in solch einem Fall?
Engin Karahan: Konkrete Schritte braucht es weit vor einem tatsächlichen Übergriff. Obwohl die Zahl der Anschläge in unterschiedlichen Formen auf Moscheegemeinden in den letzten Jahren zugenommen hat, ist das in unserem institutionellen Handeln nicht angekommen. Solche Vorfälle dürfen wir zwar nicht als etwas Alltägliches oder Normales ansehen. Die Erfahrung zeigt aber, dass sie nicht außerhalb des Wahrscheinlichen liegen. In den aktuellen Angriffen sehen wir zudem, dass ihre Auslöser nicht nur in innerdeutschen Islamdebatten liegen. Die gestiegene Sichtbarkeit von Moscheen führt auch dazu, dass sie von Spinnern, die eine politische Message verbreiten wollen, als geeignetes Objekt dafür gesehen werden.
Diese Loslösung der Angriffsmotivation von der jeweils konkret betroffenen Moschee macht es für uns schwer, mit der Thematik umzugehen. Die betroffene Gemeinde muss nichts falsch gemacht haben, im Gegenteil, sie kann sogar mustergültig im Sinne der Offenheit und Verankerung in der Mehrheitsgesellschaft sein und trotzdem ein passables Ziel für diese kranken Geister darstellen.
Aus diesem Grund würde ich dafür plädieren, dass je sichtbarer eine Moscheegemeinde ist – und ich gehöre zu denen, die sich für eine weitestmögliche Sichtbarkeit von Moscheen und Muslimen in der Öffentlichkeit aussprechen –, umso besser muss sich die Gemeinde auf solch einen Ernstfall vorbereiten. Dabei geht es nicht darum, in einer permanenten Angstsituation zu verharren, die am Ende nur lähmt und frustriert. Mit „darauf vorbereitet sein“ meine ich zum Beispiel die Erstellung eines Sicherheitskonzepts, in dem dann auch die von Ihnen gestellten Fragen beantwortet werden müssten. Wer ist in solch einem Fall der direkte Ansprechpartner in der Moscheegemeinde, wer ist der direkte Ansprechpartner auf Seiten der Polizei, auf Seiten der Stadtverwaltung usw.? Wen in der Gemeinde kann die Presse kontaktieren, welcher Journalist steht in solch einem Fall für die Gemeinde als Ansprechpartner zur Verfügung?
Einen Teil eines solchen Konzepts muss die Gemeinde eigenständig umsetzen. Zum Beispiel das Anbringen von Überwachungskameras mit Blick auf den Außenbereich oder die Installation von brandverhindernden oder -reduzierenden Maßnahmen. Dabei kann auf die Expertise der Brandschutzbehörde oder der Feuerwehr vor Ort zurückgegriffen werden. Mit der Polizei müssten die notwendigen Kommunikationskanäle bereits im Vorfeld etabliert werden. Über diesen könnten dann konkrete Bedrohungslagen kommuniziert und zum Beispiel über entsprechend verstärkte Streifenpräsenz gesprochen werden.
Sollte es dann doch zu einem solchen Vorfall kommen, geht es neben der Schadensbewältigung auch um die Dokumentation und die Öffentlichmachung des Vorfalls. Ja, den Tätern geht es zwar gerade um diese Öffentlichkeit, aber der beste Schutz, den solche Einrichtungen nach solch einem Vorfall brauchen, ist wiederum die vermehrte Aufmerksamkeit und der wachsame Blick der Öffentlichkeit auf diese Einrichtungen. Es ist dann oftmals leider erst diese geschaffene Öffentlichkeit, welche die Politik zum Handeln zwingt.
Islamische Zeitung: Welche Rolle spielt für Sie hier eine erfolgreiche Kommunikation? An wen sollten sich die Gemeinden wenden und wie sollte ein solcher Vorgang kommuniziert werden?
Engin Karahan: Er sollte kommuniziert werden, unbedingt. Aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen bereits für die eigenen Mitglieder und Moscheebesucher. Es wäre fatal, wenn sich bei diesen nach solch einem Fall das Gefühl festsetzt, dass sich niemand außerhalb für ihre Sorgen und Ängste interessiere. Dabei beschränkt sich dies nicht einmal auf die dramatischste Form eines solchen Angriffs – den Brandanschlag. Es reicht schon, wenn es Schmierereien an den Außenwänden sind. Ich hatte es bereits mit Vorständen zu tun, die so etwas still und heimlich selbst entfernen lassen wollten. Aus einer Art von Scham heraus, überhaupt Opfer geworden zu sein und weil man in der Öffentlichkeit nicht mit Problemen in Verbindung gebracht werden wollte.
Diese Ängste sind zwar nachvollziehbar, sie haben aber fatale Auswirkungen auf die eigene Gemeinde. Die Öffentlichkeit bekommt zwar von dem Vorfall nichts mit, aber in der Gemeinde wird es sich herumsprechen, gepaart mit der Erkenntnis, dass sich niemand außerhalb für den Angriff interessiere. Dass die Öffentlichkeit davon nichts mitbekommen hat, das wird in der emotionalen Verletzung nicht mehr wahrgenommen.
Öffentlichkeit ist aber auch notwendig, weil ein Angriff auf Gebetsstätten nicht einfach nur ein Problem von Muslimen ist, sondern ein Problem der gesamten Gesellschaft darstellt. Angriffe auf religiöse Stätten haben eine andere Qualität als wenn Jugendliche eine Büste im Park umstoßen, eine Wand mit Graffiti überziehen oder aus purer Langeweile und Übermut ein Schaufenster einwerfen. Sie stellen oftmals die Manifestation eines Menschenhasses dar, der mit entmenschlichenden Vorstellungen, mit Überzeugungen von Wertlosigkeit, mit einem Hass auf bestehende oder imaginierte Gruppen aufgrund ihrer Religion oder Herkunft zu tun hat. Die Auseinandersetzung mit solchen menschenverachtenden Ideologien ist nicht alleinige Aufgabe der konkret hier betroffenen Muslime, sie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Islamische Zeitung: Rein räumlich befinden sich Moscheen nicht im luftleeren Raum, sondern in einem konkreten Umfeld. Welche Rolle spielt es beim Umgang mit solchen Vorfällen?
Engin Karahan: Es mag paradox klingen, wenn einerseits die öffentliche Sichtbarkeit der Moschee die Wahrscheinlichkeit von Angriffen steigern kann. Andererseits ist es diese Öffentlichkeit, die Moscheen den notwendigen Schutz bietet. Die Verankerung der Moscheegemeinde in einem breiteren gesellschaftlichen Umfeld, das Bestehen von Kooperationen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren, den Kirchen und der Kommunalverwaltung, wird der Gemeinde helfen, die Folgen solch eines Vorfalls zu mildern.
Zum einen wird dies nach innen helfen, da die Mitglieder und Moscheebesucher in diesem Moment des Versuchs der extremsten Ausgrenzung die Umarmung der Gesellschaft spüren. Zum anderen, weil gerade die öffentliche Solidarisierung mit der Moscheegemeinde nach solch einem Vorfall der Ausgrenzungsabsicht der Angreifer entgegenwirkt. Ihnen wird damit eindeutig gezeigt, dass ihr Angriff nicht zur Aussonderung der Muslime geführt hat, sondern zum gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss gegen ihre menschenfeindliche Ideologie.
Islamische Zeitung: Haben Sie praktische Tipps zur Verbesserung der lokalen Beziehungen zu den entsprechenden Behörden, der Kommune und der Nachbarschaft?
Engin Karahan: Es gibt genug Anlässe außerhalb solcher Vorfälle, die zur Kontaktaufnahme oder zur Vertiefung einer Beziehung genutzt werden können und sollten. Für die Beziehungspflege braucht es nicht erst eines tragischen Vorfalls. Einer Moscheegemeinde, die mit beiden Füßen fest in der Zivilgesellschaft steht, wird die Bewältigung solch tragischer Vorfälle leichter fallen, sie wird dabei mehr Unterstützung bekommen.
Anlass für die Beziehungsaufnahme kann die Übernahme zivilgesellschaftlicher Verantwortung im Stadtteil oder in der Kommune sein. Ob es der Bereich der Jugendarbeit oder der sozialen Aktivitäten ist, hier kann Zusammenarbeit geschehen. In den meisten Fällen besteht bereits auf kommunaler Seite ein Interesse am Beziehungsaufbau, wobei sich aber noch zu viele Moscheegemeinden schwer tun, diesem entgegenzukommen. Dabei liegt es im Interesse der Gemeinden und entspricht ihrem religiösen Anspruch, nicht als nach innen gewandte Egoisten wahrgenommen zu werden, sondern mit einem Gestaltungsanspruch als Teil der Zivilgesellschaft aktiv zu werden.
Islamische Zeitung: Können Moscheegemeinden präventiv handeln?
Engin Karahan: Zumindest die Erarbeitung eines Grundgerüstes, eines Sicherheitskonzeptes, kann ich jeder Gemeinde nahe legen. Dabei kann man auf Polizeibehörden zugehen und sich von diesen beraten lassen. Wie sieht es mit dem Brandschutz aus, wen kann man im Ernstfall kontaktieren, welche Sicherheitsvorkehrungen können getroffen treffen? Das sind alles Fragen, die man zumindest einmal diskutiert und niedergeschrieben haben sollte, damit im Ernstfall nicht noch mehr Irritationen entstehen.