(iz). Lasst uns über Rassismus sprechen. Irgendwie eine total schlimme Sache, da wären sich alle einig. Dabei kommt es jedoch immer wieder zu Diskrepanzen, dieses wichtige Thema mit einer langen Geschichte zu adressieren.
In der Vorstellung vieler Politiker lässt sich Rassismus herrlich einfach in die Geschichtsbücher verbannen und damit für die Gegenwart wegpostulieren. Er kommt, wenn überhaupt, dann nur noch als bewusst vertretene Einstellung bei extremen Randgruppen vor, die mit uns ja nichts zu tun haben.
Auf der anderen Seite trifft man immer häufiger ein ganz anderes Verständnis des Begriffes und einen ganz anderen Ansatz an, Rassismus zu bekämpfen. Es ist eine Welt der vielen Anglizismen. Ihre Theoretiker und Anhänger, von denen es auch so einige in meiner Facebook-Freundesliste gibt, kommen meistens aus dem akademischen Milieu der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften und dem linken politischen Spektrum. Sie sind inspiriert von der angloamerikanischen Rassismusforschung. Es geht im Kern, so weit komme ich noch mit, darum, das Thema Rassismus nicht als Problem einer betroffenen Minderheit, der „People/Persons of Color” (PoC), zu betrachten, sondern der „weißen” Mehrheitsgesellschaft, die ihn durch bestimmte Werte und Normen produziert.
Rassismus
Wie der Titel andeutet, bin ich also nie jemand gewesen, der sich wirklich in dieser „Whiteness”- („Weißsein”) und „PoC”-Argumentation wiedergefunden hat. Sicherlich bringt sie jedoch gewisse Chancen mit sich, auch für das Problem des antimuslimischen Rassismus. Eine Chance, rassistische Mechanismen zu benennen und zu bekämpfen. Dass Muslime Opfer von Rassismus sind (auch ohne eine „Rasse” zu sein, deren Existenz beim Menschen ohnehin widerlegt ist), muss auch endlich deutlicher ausgesprochen werden.
Der springende Punkt, der sich bei Betrachtung der unsäglichen ewigen Scheindebatten über den Islam und die Muslime herauskristallisiert, ist doch derjenige, dass man es gewissen Stimmen niemals wird recht machen können, solange gewisse Machtverhältnisse weiterbestehen. Es wird immer etwas Neues an den Haaren herbeigezogen, ein neuer Vorwurf, der durch schamlose Verallgemeinerung zustande kommt.
Um genau diese Machtmechanismen und die in ihnen verfestigten Vorurteile geht es der Rassismusforschung. Sie sind und bleiben ein Problem der Mehrheitsgesellschaft, die sie produziert, und eine von Rassismus betroffene Gruppe wird sie niemals durch Veränderung an sich selbst, Anpassungen oder „Integration” abbauen können.
Warum ich keine PoC sein möchte
Dieser Ansatz birgt aber auch die Gefahr, dass Islam und Muslim-Sein zu bloßen Labels, zu „rassifizierenden Kategorien” degradiert werden, was ohne Frage die Religion aushöhlt und trivialisiert. Das ist auch der Grund, warum ich mich oft von diesem Diskurs und seinen Wortführern so entfremdet fühle.
Dazu eine kleine Ausführung: Ich halte es für ein trauriges Zeichen unserer Zeit, dass ein Muslim, der beispielsweise die fünf Gebete einhält, als Selbstbezeichnung „praktizierender Muslim” wählt. Ein Begriff, der eigentlich in sich redundant ist, denn eine klar definierte Glaubenspraxis ist bereits im Wort „Muslim” enthalten und eine fundamentale Bedingung für diese Zuschreibung. Von einer breiten Masse wird sie jedoch schlicht und einfach nicht gelebt.
Es geht mir nicht darum, Einzelnen ihren Islam abzusprechen oder einen gesellschaftlichen Zwang in Bezug auf die Religionszugehörigkeit und -ausübung zu befürworten. Über das Individuum zu richten fällt nicht in den Verantwortungsbereich der Menschen. In der Theorie macht Allah jedoch eine unzweideutige Eingrenzung, was die Zugehörigkeit zu Seinem Din angeht.
Zu sagen „Ich trage den Glauben im Herzen”, reicht hier nicht aus. Den islamischen Glauben, im Sinne von Iman, aus einer deutlichen Freiwilligkeit heraus, zu bekennen, ist natürlich essentiell. Die mit der Freiheit einhergehende Verantwortung bezieht sich dann aber auf die gottesdienstlichen Handlungen mit ihrem klaren obligatorischen Charakter. Das Eine wäre wertlos und nichtig beziehungsweise unaufrichtig ohne das Andere. Als Muslime sollten wir die islamische Lebensweise aus einem gesunden Selbstbewusstsein heraus umsetzen, mit der zentralen Motivation, die Zufriedenheit Allahs zu erlangen.
Dazu im Widerspruch stünde einerseits eine Haltung, die vor rassistischen Mechanismen einknickt, indem, bis zur Selbstverleugnung, ständig nur an sich selbst nach Fehlern gesucht wird. Auf Rassismus aber mit einem regelrechten „PoC-Stolz” zu reagieren, halte ich ebenfalls für höchst fragwürdig. Spätestens dann, wenn weißen Muslimen vorgeworfen wird, sie würden durch ihr Bekenntnis Türken oder Arabern die Kultur stehlen, zeigt sich, dass hier zwei Konzepte von Identität offen miteinander kollidieren; aber auch schlicht Unwissenheit über den Islam besteht.
Missverständnis dessen, was ein Muslim ist
Denn die Muslime in Europa sind weder von ihrer Geschichte noch von ihrem Selbstverständnis her etwa mit den Afroamerikanern zu vergleichen. Das Muslim-Sein wird nicht vererbt und ist auch nicht per se physisch sichtbar. Der Muslim ist auch nicht durch so schwammige Kategorien wie „Kultur” oder gar „Ethnie” markiert. Es hätte weder eine theologische, noch historische Grundlage, sich wegen eines Namens, einer Hautfarbe, eines Lieblingsgerichts oder einer Großtante Ayse, die mal auf der Hadsch gewesen ist, als Muslim zu bezeichnen. Es ist in erster Linie eine innere Haltung und in der Konsequenz eine bestimmte Lebensführung, die sich nach einer islamischen Ethik ausrichtet und einer Tradition folgt.
Sicher zeichnen sich Rassisten vor allem dadurch aus, dass sie das Objekt der Abwertung oberflächlich definieren. Warum sollte man diese Definition aber übernehmen oder sogar demonstrativ nach außen tragen? Es ist die Trivialisierung der Religionszugehörigkeit, von der ich oben sprach, die hier vielleicht auch mit der allgemein religionskritischen Haltung vieler Linker zusammenhängt und mit der Neigung, gläubige Menschen ein wenig zu belächeln.
Ich halte es für fatal, „Islam” oder „Muslim” ausschließlich als rassifizierende Kategorie zu lesen. Das wäre nicht zuletzt auch etwas, was ein Diskurs dem Individuum zuschreibt. Dabei ist doch Islam die bewusste, aktive und auch unabhängige Hingabe und Ergebung zu Gott. Diese ist auch als Quelle unserer Würde zu verstehen. Diesen Aspekt in den Hintergrund zu stellen, stellt somit für den Muslim vielleicht die eigentliche Entwürdigung dar, mehr noch als weißer Rassismus allein.
Das Bewusstsein von der Rechtleitung (Hidaja) als eine Gnade von Gott wird bei einigen bereits durch das Betonen dieses von außen aufgedrückten Labels ersetzt. Muslim zu sein wird in erster Linie als Last angesehen, die einem hauptsächlich rassistische Erfahrungen beschert, man aber gleichzeitig krampfhaft versucht, ihr etwas Gutes abzugewinnen. Das passiert dann durch die ständige Thematisierung der Schuld der rassistischen Mehrheitsgesellschaft im Kontext der eigenen Identität. Diese scheint dann zu guter Letzt aus nichts anderem mehr zu bestehen. Eine sehr destruktive Negativität und zutiefst undankbare Haltung.
Wenn der Rassist also in seiner Ignoranz den soziologischen, rassismustheoretischen „Muslim” (einen anderen kennt sein Weltbild überhaupt nicht) noch so sehr stigmatisieren und erniedrigen will, es bleibt ein Identitätskonzept, das in einer authentischen muslimischen Perspektive, ausgerichtet auf Islam, Iman, Ihsan, auf Tauhid und Tradition, auf Qur’an und Sunna, keinen Platz findet. Und es in seiner Oberflächlichkeit anzunehmen, wäre mir persönlich auch nicht die Beseitigung allen Rassismus dieser Welt wert. (Ohnehin findet das eigentliche Leben doch aus islamischer Sicht woanders statt.)
Islam erzieht uns zu ständiger Selbstreflexion und auch einer gewissen Selbstkritik. Bei der Thematisierung von Islamfeindlichkeit darf das nicht vergessen werden, andernfalls verfällt man der Versuchung einer allzu bequemen Opferrolle. Vor dem Hintergrund des institutionalisierten Rassismus muss aber auch festgehalten werden: Wenn scheinheilige Starthilfe und Aufforderungen zur Selbstkritik aus Machtpositionen geäußert werden, ist das in den allermeisten Fällen leider nur schlecht kaschierter hierarchischer Rassismus.
Ohne Frage stellt uns das Thema Rassismus also vor sehr verwobene Herausforderungen. Oft bedarf es einer Gratwanderung zwischen den Extremen. Aus meiner bescheidenen Position heraus sehe ich hier noch viel Nachholbedarf, vor allem was die Einbeziehung traditioneller Muslime und ihrer Definition von „Muslim” in den Diskurs betrifft. So lange wird es mir und vielen anderen sehr schwerfallen, die Identität einer „PoC” als Zeichen und Kampf gegen Rassismus anzunehmen.
Der Autor ist Deutsch-Jordanier mit palästinensischem Migrationshintergrund. Wohnhaft irgendwo in der Nähe von Berlin. Schreibt vorwiegend über Islam und Muslime in Deutschland aus der Innenperspektive.
Wenn Islam zum Label degradiert wird
Ausgabe 252