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Wie werden wir belastbarer?

Ausgabe 292

Foto: pressfoto | Freepik

(Fiqh of Social Media). Durchhaltevermögen und die Überwindung von Schwierigkeiten zur Erreichung ­höherer Ziele sind beeindruckend. Gut gemacht. Niemand wird widersprechen, dass Widerstandsfähigkeit eine wichtige Charaktereigenschaft ist. Mir geht es um eine kritische Analyse, ob das, was die Selbsthilfebranche so aggressiv anpreist, ihr Versprechen hält und wie wir es aus islamischer Perspektive verstehen können. Mir geht es um viel mehr als nur Entschlossenheit. Es geht darum, die säkulare Perspektive (in meinem Fall eine amerikanische) der islamischen gegenüberzustellen.

Der Reiz von Entschlossenheit der Lebensratgeber ist, dass sie als Allheilmittel gilt. Sie offeriert Optimismus. Wer diese Sache meistern kann, werde das Mittel zum Erfolg erschließen. Stoße ich auf ein Hindernis, kann ich meiner Ursache des Scheiterns die Schuld geben – einem Mangel an Beherztheit. Entschlossenheit umfasst verschiedene Klischees der Motivationsbranche: sich damit zufrieden zu geben, unerfüllt zu sein. Die Jagd genauso wie die Beute zu lieben. Oder dass das Sich-Verlieben und verliebt bleiben Entschlossenheit sei. Es ist der Glaube an den Erfolg, der sich einstellt, wenn man nur lange und hart genug arbeitet. Kurz gesagt, es ist das einzelne Wort für den amerikanischen Traum.

In der Selbsthilfe-Literatur findet sich das Leitmotiv der Kontrolle dessen, was sich im eigenen Rahmen bewegt, und dem Loslassen des Restes. Im Allgemeinen würden wir dem von muslimischer Warte zustimmen. Wir konzentrieren unser Handeln auf unseren Verantwortungsbereich und vertrauen auf Allah bei dem, was wir nicht kontrollieren können.

Menschen beizubringen, dass sie jede Situation überwinden können, wenn sie nur hart genug arbeiteten, ist nicht nur unrealistisch, sondern zeugt auch von mangelndem Mitgefühl. „Die Vorstellung, ein armes Kind könne Hunger, das Fehlen an medizinischer Vorsorge, Obdachlosigkeit und Trauma durch ernsthafte Anstrengung und Durchsetzungsvermögen überwinden, war immer dumm und herzlos. Genau das, was man von Mr. Scrooge oder den Koch Brüdern zu hören erwartet“, schreibt Diane Ravitch. Der Fokus auf die individuellen Eigenschaften Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen verschiebt die Aufmerksamkeit weg von strukturellen oder systemischen Fragen, die Fähigkeit der Person beeinflussen. Persönliche Eigenschaften seien demnach wandelbar, ­während strukturelle Ungleichheiten als „fest“ angesehen werden.

Der individuelle Fokus ist genau das, was etwas wie dieses Konzept zu einem beliebten Kandidaten der Selbsthilfe-­Literatur macht. Schulen und Unternehmen treiben es voran, weil es sich auf den Einzelnen anstatt auf die Realität der Umstände konzentriert. Es gibt eine Menge kognitiver Dissonanzen, wenn ein Unternehmen Mitarbeiter aufruft, sich auf die Entwicklung solcher Eigenschaften zu konzentrieren, ohne dabei destruktive Beschäftigungspraktiken zu berücksichtigen, die den Umsatz steigern und die Mitarbeiter physisch wie emotional beschädigen.

Valerie Strauss schreibt in der „Washington Post“, dass dieser Diskurs von Eltern der Mittel- und Oberklasse ange­trieben werde. Sie wollten, dass ihre verwöhnten Kinder die Tugenden des Kampfes gegen Beschwerlichkeiten zu schätzen wissen. Unglücklicherweise bedeute diese Konzentration auf die charakterliche ­Erziehung, dass arme Schüler litten, denn es werde weniger Geld ausgegeben, um diesen die nötigen Fähigkeiten für Erfolg zu vermitteln. Sisyphus habe jede Menge Entschlossenheit gehabt, schreibt sie. Das habe ihm aber auch nicht weiter geholfen.

Als Muslime sind wir dazu angehalten, sowohl das Individuum als auch das System zu adressieren. Eigenschaften wie Entschlossenheit oder verzögerte ­Befriedigung sind nichts Schlechtes. Sie sind aber fehl am Platze, wenn das weitere Bild nicht mit einbezogen wird. Im Islam beispielsweise ist eine Person dazu angehalten, nicht zu betteln. Gleichzeitig gibt es aber den Anruf an jene, die geben können, die Bedürftigen aufzusuchen. Ein Schuldner ist sehr deutlich angeraten, seine Schulden so schnell wie möglich zu bezahlen. Gleichzeitig wird der Gläubiger dazu ermutigt, es ihm leicht zu machen oder auch die Summe zu erlassen.

Das stellt einen realistischen Rahmen zur Anwendung solcher Konzepte dar. Eine Person unter schwierigen Umständen wird ermutigt, widerstandsfähig zu sein und wieder auf die Beine zu kommen. Zur selben Zeit braucht es helfende Strukturen zu ihrer Unterstützung.

Jenseits dieses Rahmen verbirgt sich eine umfassendere Frage: Die behandelten Eigenschaften orientieren sich am Erfolg. Dieser wird als persönliche Sache angesehen und orientiert sich an Dingen wie akademischen Leistungen, Karriere, Wohlstand oder gesellschaftlichem Rang. Wenn dies das Endziel sein soll, ist die individuelle Perspektive viel leichter.

Die islamische Definition von Erfolg ist viel breiter. Es gibt zum einen das offenkundige Wissen von Errungenschaften im Jenseits. Um die geht es hier aber nicht. Selbst im diesseitigen Sinne mag eine erfolgreiche Person jene sein, die den Besuch einer bekannten Schule oder den Traumjob aufgibt, um Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Die Betonung auf individuellen Erfolg um jeden Preis hat zum Zusammenbruch wesentlicher familiärer und gemeinschaftlicher Netzwerke beigetragen.

Verstärkt wird dies dadurch, wenn eine Person meint, sie brauche niemand anderen und müsse sich nur durchsetzen. Wir feiern starke und unabhängige Menschen. Die Selbsthilfe sagt uns, wir könnten mit der richtigen Einstellung alles erreichen. Aber was geschieht im Falle unseres Scheiterns? Was passiert, wenn wir Einsamkeit und keine Erfüllung finden? Wenn uns die Bindungen der Familien-Solidarität fehlen und wenn Geld uns nicht erfüllt? Dann fällt alles auf uns zurück.

Es ist genau dieses Gefühl der Beschränkung, vor dem Allah uns im Qur’an warnt: „Wer sich aber von Meiner Ermahnung abwendet, der wird ein beengtes Leben führen, und Wir werden ihn am Tag der Auferstehung blind versammeln.“ (TaHa, Sure 20, 124) Scheitern wir, ist die Selbsthilfe-Industrie immer bereit, uns wieder aufzuhelfen. Sie ist bereit, uns einen anderen Podcast, eine neue Pose der Macht oder einen neuen Kurs für Achtsamkeit anzubieten. Diese ­werden unweigerlich scheitern, weil sie sich weiterhin darauf konzentrieren, das Individuum zu heilen, anstatt sich mit der Realität in seinem Umfeld ­auseinanderzusetzen.

Trotzdem sind Entschlossenheit und Widerstandsfähigkeit (Resilienz) lobenswerte Eigenschaften. Wir müssen an ihrer Entwicklung arbeiten, da wir sie zwangsläufig brauchen werden. „Und Wir werden euch ganz gewiss mit ein wenig Furcht und Hunger und Mangel an Besitz, Seelen und Früchten prüfen. Doch verkünde frohe Botschaft den Standhaften, die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: ‘Wir gehören Allah, und zu Ihm kehren wir zurück.’ Sie sind es, denen Segnungen von ihrem Herrn und Erbarmen zuteil werden, und sie sind die Rechtgeleiteten.“ (Al-Baqara, Sure 2, 155-7)

Widerstandsfähigkeit ist ein Reflex. Erfährt eine Person ein Beschwernis, greift sie auf vorhandene Gewohnheiten und Werte zurück. Das erinnert an die Aussage des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, wonach Geduld im ersten Schlag (des Schicksals) liegt. Er lehrte uns die nötige Geisteshaltung, um überhaupt entschlossen zu sein. „Wunderbar ist die Sache des ­Gläubigen. Denn für ihn ist Gutes in jeder Lage und das ist bei niemandem außer ihm der Fall. Ist er glücklich, dankt er Allah und daher ist Gutes für ihn darin. Und wird er geschädigt, ist er geduldig und daher ist Gutes für ihn darin.“ Er lehrte uns die Gewohnheit, die wir brauchen, um sicherzustellen, dass wir den Reflex der Entschlossenheit haben, wenn die Situation es benötigt. „Wer sich freuen will, dass Allah ihm in harten und schwierigen Zeiten antwortet, möge Ihn in Zeiten der Gelassenheit häufig anflehen.“

Die Institution der Moschee als ein Gemeinschaftszentrum stellt eine massive Gelegenheit zum Aufbau einer Infrastruktur für Unterstützung dar. Widerstandsfähigkeit, so der Autor und Forscher Michael Ungar, sei kein Heimwerkerprojekt. Gemeinschaften müssten Wege finden, um die Ressourcen bereitzustellen, die für die Widerstandsfähigkeit einer Person nötig seien. „Welche Art von Ressourcen? Die Art, die einen durch die unvermeidlichen Lebenskrisen bringt. (…) Nachbarn oder eine Gemeinde, die bereit sind, einen Auflauf mitzubringen, Ihre Auffahrt zu räumen oder die Kinder zu versorgen, während Sie alles Nötige tun, um die Schwierigkeiten zu überwinden“, schreibt Ungar.

Der Autor fasst die angemessene Anwendung von Entschlossenheit zusammen: „Verändern Sie Ihre Welt zuerst, indem Sie die Beziehungen finden, die Sie pflegen, die Möglichkeiten, Ihre Talente zu nutzen, und die Orte, an denen Sie Unterstützung durch die Gemeinschaft und die Regierung sowie soziale Gerechtigkeit erfahren. Sobald Sie diese haben, wird Ihre Welt Ihnen mehr zum Erfolg verhelfen, als Sie sich jemals selbst helfen könnten.“

Die eine wichtige Zutat, die hier fehlt, ist das Vertrauen auf Allah (arab. tawakkul). Allah sagt darüber im Qur’an: „Diejenigen, zu denen die Menschen sagten: ‘Die Menschen haben sich bereits gegen euch versammelt; darum fürchtet sie!’ – Doch dies nur ihren Glauben, und sie sagten: ‘Unser Genüge ist Allah, und wie trefflich ist der Sachwalter!’“ (Al-i-Imran, Sure 3, 173)

Das ist der gleiche Dhikr, den Ibrahim, Friede sei mit ihm, sprach, als er in das Feuer geworfen wurde. Und dieses wurde kalt. Es gibt einen Kernelement des Glaubens, ein Gleichgewicht zwischen Angst und Hoffnung herzustellen. Gelehrte raten, wenn jemand verzweifelt ist, sich an die Traditionen zu erinnern, die die Hoffnung auf Allahs Vergebung stärken. Unsere Fähigkeit zum Beharren, zum Widerstandsvermögen und zur Entschlossenheit steht in direkter Verbindung zu unserer Beziehung mit Allah. Und dem wahren Grad unseres Vertrauen auf Ihn.