Münster (dpa) – Der Papst hat nach Meinung eines Wissenschaftlers aus Münster mit seinem ersten apostolischen Lehrschreiben einen deutlichen Stimmungsumschwung für den Dialog zwischen den Religionen eingeleitet. Franziskus knüpfe entschlossen an den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und an dessen positive Aussagen zum ökumenischen und interreligiösen Dialog an, sagte Perry Schmidt-Leukel, Professor für interkulturelle Theologie an der Universität Münster, in einem dpa-Interview.
Frage: Was hat Sie am meisten im ersten apostolischen Schreiben des Papstes überrascht?
Antwort: Die Deutlichkeit, mit der hier ein Stimmungsumschwung zutage tritt. Der Papst knüpft wieder entschlossen an den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und an dessen positive Aussagen zum ökumenischen und interreligiösen Dialog an. Er steuert damit eindeutig dem entgegengesetzten Trend der 1990er-Jahre entgegen, der seinen Höhepunkt in der von Josef Ratzinger unterschriebenen Erklärung «Dominus Iesus» aus dem Jahre 2000 gefunden hatte.
Frage: Woran zeigt sich das konkret?
Antwort: Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil lehrt die Katholische Kirche, dass auch Nicht-Christen das Heil erlangen können. Das wird auch nun wieder neu bekräftigt. Was aber in der Zeit nach dem Konzil umstritten war, ist die Frage, ob die nicht-christlichen Religionen einen positiven Beitrag zu dieser Heilsmöglichkeit leisten können. Zunächst zielte die Entwicklung nach dem Konzil dahin, diese Frage zu bejahen. Es wurde betont, dass sie Elemente des Guten, Wahren und Heiligen enthalten, die von Gott stammen und den Glauben von Nicht-Christen auf Gott hin ausrichten.
Später wurde diese positive Bedeutung der konkreten Rolle anderer Religionen eher heruntergespielt. In «Dominus Iesus» wurde vor allem betont, dass das Gute in anderen Religionen dem Guten in der Kirche nicht gleichkommt, sondern stark defizitär ist. Es wurde sogar bestritten, dass dieses Gute von Gott inspiriert ist. Franziskus aber betont nun wieder stärker den positiven Wert der Religionen. Es finde sich in diesen ein von Gott stammender Reichtum, von dem auch Christen lernen können.
Frage: Welche Rolle spielt dabei die Ökumene, die Beziehung zu den Juden, zum Islam und zum Atheismus?
Antwort: Was das Verhältnis zu den anderen christlichen Kirchen, zum Judentum und den nicht-christlichen Religionen betrifft, so fordert Franziskus durchgängig einen offenen Dialog, der unter dem Vorzeichen des wechselseitigen Lernens und der gegenseitigen Bereicherung steht. Er spricht sogar davon, dass in diesem Dialog «beide Seiten Reinigung und Bereicherung empfangen». «Reinigung» besagt hier, dass sich die Kirche sogar einer im Geist des Dialogs geäußerten, berechtigten Kritik zu stellen hat.
Im Zusammenhang mit dem jüdisch-christlichen Dialog spricht Franziskus etwa davon, dass beide Seiten von ihrem Verständnis der biblischen Schriften lernen können – also auch Christen von der jüdischen Deutung der Bibel. Was Atheisten betrifft, so wird die gemeinsame aufrechte Suche nach Wahrheit betont, sowie das gemeinsame Engagement «zur Verteidigung der Menschenwürde, im Aufbau eines friedlichen Zusammenlebens der Völker und in der Bewahrung der Schöpfung».
Frage: Franziskus verweist auf den gleichen Gott von Christen und Muslimen, der seinen Ursprung im Glauben Abrahams habe. Der Papst betont, dass der Islam eine Religion des Gebetes sei und christliche Elemente habe. Was bezweckt er damit?
Antwort: Dass Christen und Muslime an denselben Gott glauben, hatte bereits das zweite Vatikanische Konzil nahegelegt. Papst Johannes Paul II. hat dies ebenfalls wiederholt bekräftigt. Doch dann gab es immer wieder zahlreiche Stimmen in der katholischen wie auch in anderen Kirchen, die dies bezweifelt oder gar bestritten haben. Franziskus sieht das eindeutig anders. Es ist nicht nur der Glaube an denselben Gott: Er lobt die Muslime als Menschen des Gebets, die dadurch zum Ausdruck bringen, dass ihr Leben «von Gott kommt und für Gott ist». Sie erkennen, dass es darum geht, dem Ruf Gottes «mit ethischem Einsatz und mit Barmherzigkeit gegenüber den Ärmsten zu antworten». Damit trifft Franziskus in der Tat ein zentrales Anliegen des Islams und es wird deutlich, wie sehr er auf die Muslime als Verbündete in seinem eigenen Engagement für die Armen zählt.