2020 und 2021 waren Corona-Begriffe die „Wörter des Jahres“. Doch 2022 drängt sich der Krieg auch in der Sprache nach vorne. Dahinter schlägt sich bereits die drohende Klimakatastrophe in Sprachschöpfungen nieder. Von Norbert Demuth
Wiesbaden (KNA). Der Krieg Russlands gegen die Ukraine prägt nachweislich den Sprachgebrauch in Deutschland. Der Begriff „Zeitenwende“ ist nun zum Wort des Jahres 2022 gekürt worden. „Das keineswegs neue Wort, das speziell für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, in allgemeinerer Bedeutung auch für jeden beliebigen Übergang in eine neue Ära steht, wurde in diesem zweiten Sinne prominent von Bundeskanzler Olaf Scholz verwendet“, teilte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) am 16. Dezember in Wiesbaden mit.
Jeweils kurz vor Jahresende wählt eine Jury von Sprachwissenschaftlern aus mehreren tausend Belegen aus verschiedenen Medien und Einsendungen von Außenstehenden zehn Wörter des Jahres aus und stellt eine Rangliste auf. Die Sprachexperten suchen nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern nach Begriffen, „die die öffentliche Diskussion dominiert und ein Jahr wesentlich geprägt haben“.
Auf den zweiten Platz wählte die Jury den Ausdruck „Krieg um Frieden“, auf Platz 3 kam die „Gaspreisbremse“. Auf die Plätze 4 bis 10 wurden folgende Formulierungen gewählt: „Inflationsschmerz“, „Klimakleber“, „Doppel-Wumms“, „neue Normalität“, „9-Euro-Ticket“, „Glühwein-WM“ und „Waschlappentipps“.
Die Sprachwissenschaftler betonten, dass 2022 Wörter aus dem „Sprachraum Krieg“ wieder hochaktuell seien. „Wir werden mit Wörtern konfrontiert, die wir schon durch die Geschichte verblassen sahen“ – etwa auch „Blitzkrieg“.
Kanzler Olaf Scholz hatte in einer Rede im Bundestag Ende Februar gesagt, der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiere eine „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes“. Die Gesellschaft für deutsche Sprache macht auch eine emotionale Wende bei vielen Menschen aus, die in Angst und Sorge lebten. So registrierten die Sprachauswerter mehrfach Begriffe wie „Atomkrieg in Europa“ und „dritter Weltkrieg“.
Auch der auf Platz 2 gelandete Ausdruck „Krieg um Frieden“ bezieht sich auf den Ukraine-Krieg – und mute widersinnig an, so die Jury. Doch auch in politischen Parteien mit pazifistischer Tradition verbreite sich die Ansicht, dass die Ukraine mit Waffen unterstützt werden müsse, um später einen dauerhaften Frieden in Osteuropa erreichen zu können.
Die „Gaspreisbremse“ auf Platz 3 und der „Inflationsschmerz“ auf Platz 4 können ebenfalls mit den Folgen des Krieges in Zusammenhang gebracht werden. Ebenso der „Doppel-Wumms“ auf Platz 6 – denn neben der Gaspreisbremse plant die Ampelkoalition eine Strompreisbremse. Die Waschlappentipps (Platz 10) beziehen sich auf Empfehlungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne). Er ließ wissen, man müsse nicht dauernd duschen: „Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung.“
Neben der Katastrophe des Krieges sorgt auch die drohende Klimakatastrophe für prägende Sprachbilder: Die Protestaktionen der „Klimakleber“ (Platz 5) sind spektakulär und umstritten. Aktivisten der „Letzten Generation“ klebten – und kleben – sich in Museen an Kunstwerken fest, auf Straßen, Autobahnen und Flughafen-Rollfeldern.
In die Kategorie Klimaschutz fällt auch das „9-Euro-Ticket“ (Platz 8), mit dem im Sommer möglichst vielen Menschen der öffentliche Personennahverkehr attraktiv gemacht werden sollte. Nun soll das „49-Euro-Ticket“ folgen.
Die „neue Normalität“ (Platz 7) bezieht sich hingegen auf die Corona-Pandemie. Dass 2022 erst auf einem hinteren Platz ein Corona-Begriff erscheint, zeigt, dass die Pandemie im Sprachgebrauch nicht mehr sehr prägend ist. 2021 war noch „Wellenbrecher“ das Wort des Jahres – und stand für Maßnahmen, um die damalige vierte Corona-Welle zu brechen. 2020 kam „Corona-Pandemie“ auf Platz 1.
2022 redet hingegen fast ganz Deutschland über die „Glühwein-WM“ (Platz 9) oder auch „Winter-WM“, also die umstrittene Fußballweltmeisterschaft im arabischen Emirat Katar. Und die passt – so die Sprachforscher – aus Sicht vieler Fußballfans mit dem Weihnachtsmarkt einfach nicht zusammen.