20 Intensivbetten für 16 Millionen

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Mit Hilfe von Drohnen versuchte die britische BBC vor kurzem, Somalias offizielle Corona-Opferzahl von 93 zu widerlegen. Sie berichtet von „Friedhöfen, die sich schnell füllen“ – für die WHO ein „Alptraumszenario“.

Mogadischu (KNA). Massengräber, überforderte Ärzte und Terroristen, die Corona-Tests durchführen: In Somalia wächst die Sorge vor den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Zwar ist die Zahl der Infizierten mit knapp über 3.200 bisher gering. „Doch die Antwort der Regierung ist unzureichend angesichts der Wucht, mit der die Pandemie zuschlägt“, warnt der Politologe Andrews Atta-Asamoah von der afrikanischen Denkfabrik Institut für Sicherheitsstudien (ISS). Somalias Gesundheitssektor sei nach jahrelangem Bürgerkrieg „extrem geschwächt“.

Seinen ersten Corona-Fall meldete die ostafrikanische Nation Mitte März; es handelte sich um einen Studenten, der aus China zurückgekehrt war. Seitdem greift das Virus um sich, ohne die Somalier sonderlich zu beeindrucken. Von Panik keine Spur. „Stigmatisierung und Falschinformationen verkomplizieren die Antwort und verhindern, dass Menschen sich testen lassen und Präventionsmaßnahmen ergreifen“, meint der Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Somalia, Richard Desgagne. Ein positiver Corona-Test stelle in den Augen vieler Somalier eine größere Gefahr dar als das Risiko, das Virus weiterzugeben.

Denn die Liste an lebensbedrohlichen Katastrophen ist lang: Zuletzt erlebte Somalia die schlimmste Heuschreckenplage seit 25 Jahren, Überschwemmungen, Dürren und bewaffneten Konflikt. All das habe 2,6 Millionen Menschen von ihrem Zuhause vertrieben, so Desgagne. Hinzu komme das fragile Gesundheitssystem. „Nur die Hälfte der Stadtbewohner hat Schätzungen nach Zugang zu medizinischer Versorgung, in ländlichen Regionen liegt die Zahl bei etwa 15 Prozent.“

Mit Testzentren und einer nationalen Corona-Hotline versucht die Regierung in Mogadischu, die Ausbreitung zu verhindern. Doch der Kampf gegen eine Pandemie ist schwierig, wenn man gleichzeitig um die eigene Existenz ringt. Viele Regionen Somalias stehen unter der Kontrolle von Piraten, Warlords oder den Islamisten der al-Shabaab.

„Die staatlichen Corona-Maßnahmen beschränken sich größtenteils auf die Hauptstadt Mogadischu und die größeren Städte in den einzelnen Bundesstaaten“, erzählt Atta-Asamoah. Und die Terroristen werden nicht müde, die von der UNO gestützte Regierung an ihre Schwächen zu erinnern. Einmal mehr geschah das vergangenen Sonntag, als sie eine Autobombe an Mogadischus Strandpromenade zündeten und anschließend bei einer stundenlangen Geiselnahme in einem Hotel Dutzende Menschen töteten.

Im Juni gab die al-Shabaab bekannt, ihr eigenes Corona-Behandlungszentrum eröffnet zu haben. Verdachtsfälle würden von den Terroristen abgeholt und im Feldlazarett 400 Kilometer vor der Hauptstadt behandelt. Für das Counter Terrorism Centre, einer Forschungseinrichtung in den USA, ist das keine Überraschung: Wo Regierungen versagen, springen Terrorgruppen ein, um humanitäre Nothilfe zu leisten. Zwar stelle die Corona-Pandemie auch die Terroristen vor Herausforderungen. „Aber die Schlüsselfrage bleibt, ob die Behörden, die sie bekämpfen, mehr zustande bringen.“

In Mogadischu steht, eingebettet zwischen Moscheen, dem Zentralgefängnis und der Küste, das Martini Hospital. Es ist das einzige Krankenhaus in Somalia, in dem Corona-Patienten behandelt werden. Für 16 Millionen Einwohner stehen hier 20 Intensivbetten zur Verfügung. Medikamente und Sauerstoff sind Mangelware. Während die Temperatur draußen 30 Grad übersteigt, schiebt das Personal in seinen blau-weißen Schutzanzügen 16-Stunden-Schichten. Trotz der Widrigkeiten meldeten sich viele Ärzte und Pfleger freiwillig, um Leben zu retten.

Für die somalische Politikerin Fadumo Dayib, die 2016 als erste Frau für das Präsidentenamt kandidierte, steht fest: „Somalia funktioniert noch. Das ist seinen Bürgern zu verdanken, die einspringen und die Rolle ihrer Regierung übernehmen. Wir mögen eine Regierung haben, aber das Land funktioniert einzig dank seiner Bürger.“

Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht Somalia in einem „Alptraumszenario“. Nichtsdestotrotz werde dieses zum Test für die ganze Weltgemeinschaft, meint der Landesvertreter der Organisation, Mamunur Rahman Malik: „Wir können diese Pandemie nur besiegen, wenn uns das an Schauplätzen wie Somalia gelingt.“a