"Wir müssen der Welt erzählen von Malcolm, dem Muslim!"

Malcolm X/Hadsch Malik el-Shabazz & sein spiritueller Führer

(iz). Zu den Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, deren Wirken heute noch viele Menschen begeistert, gehört zweifelsfrei Malcolm X. Zu seinem Todestag wird überall auf der Welt an ihn erinnert, doch was konnte man wirklich von ihm lernen?
Der charismatische Redner war als Kind nie wirklich irgendwo beheimatet. Der sonderbare Malcolm Little galt unter Schwarzen als eher hellhäutig, was er von seiner Mutter hatte. Auch seine rötlichen Haare machten sein Erscheinungsbild besonders. Nach der Ermordung seines Vaters durch Rassisten, erlitt seine Mutter einen Nervenzusammenbruch und er lebte bei Pflegefamilien und im Heim.
Als jungen Erwachsenen zog es ihn nach Detroit, einer damals noch lebendigen Stadt mit Aussicht auf Karriere. Trotz seinen überdurchschnittlich guten Leistungen in der Schule, blieb ihm ein Studium verwehrt. Er begann mit kriminellen Kleinjobs und gab sich Drogen und Prostituierten hin. 1947 wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Dort sollte seine tatsächliche Karriere beginnen.
Es war eine angespannte Zeit, Afroamerikaner galten immer noch als Bürger zweiter Klasse und wurden dementsprechend hart diskriminiert. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Schwarzen-Bewegungen, wie auch die ‘Nation of Islam’ (NOI). Gegründet von Wallace Fard Muhammad und zu der Zeit geführt von Elihaj Muhmmad , versuchte die Gruppe der schwarzen Bevölkerung der USA eine alternative Religion zum ‘weißen Jesus’ anzubieten und bediente sich dabei am Islam.
Malcolm Little kam im Gefängnis in Kontakt mit Anhängern der Nation of Islam und verschrieb sich voll und ganz der Ideologie. Nach seiner Entlassung lernte er Elijah Muhammed kennen und wurde fortan als Prediger eingesetzt. Sein authentisches Auftreten bescherte ihn über kurze Zeit zahlreiche Zuhörer und er entwickelte sich zum Sprachrohr der Bewegung. In den USA machte ihn das auch außerhalb der Nation of Islam zu einer Ikone für die Schwarzen. Seinen Nachnamen Little, welchen seine Familie einst als Sklaven bekamen, legte er ab und nannte sich fortan X. Symbolisch für das unbekannte Erbe.
Die Ideologie der NOI galt unter anderen Muslimen als rassistisch und aggressiv. Der Unterdrückung der Schwarzen entgegne man die Verteufelung der Weißen. Später sollte Malcolm sein Auftreten in seiner Zeit bei der NOI widerrufen und bereuen. Sein damaliges Wirken bewertete er negativ und verwies in Briefen an seine Frau auf seinen Drang als “die Person danach” gehört zu werden.
Seine Frau Betty sollte immer wieder ein wichtiger Teil seiner Entwicklung werden. Am Höhepunkt seiner Popularität, machte sie ihn aufmerksam auf die Institutionalisierung der NOI. Im Reichtum und der offenkundig unislamischen Einstellung des selbsterklärten Propheten Elijah Muhammed, habe sie den Glauben an Allah nicht wiedererkannt. Auch Malcolm begann allmählich die Sache, der er lange diente, in Frage zu stellen. Es folgte eine private Suche nach Muslimen außerhalb der NOI. Sein Freund Hamas Abdul Khaalis, ebenfalls ein ehemaliger Funktionär der Nation, hatte etwas früher als er mit der Suche begonnen und lernte von Geschäftsleuten in den USA den sunnitischen Islam nach hanafitischer Rechtsschule kennen. Ein Schüler Abdul Khaalis’ berichtete später, dass Malcolm X nach einer Begegnung mit einer Gruppe von hanafitischen Sufis aus Ägypten den Entschluss fasste nach Mekka zu pilgern.
Die Reise 1964, und schon ihre Vorbereitungen, markieren die entscheidende Entwicklung im Leben Malcolms. Seiner Frau schrieb er später aus Mekka: “Vergiss, wen du vorher kanntest, ich bin ein anderer Mensch.” Über Jedda flog er nach Mekka und vollzog die Hadsch, die Pilgerfahrt. Hier entstanden seine wohl berühmtesten Worte, welche gleichzeitig revolutionär waren: „Ich traf, sprach und aß sogar mit Leuten, die man in Amerika für Weiß gehalten hätte. Aber die weiße Einstellung war in ihrem Kopf ausgelöscht worden, durch die Religion des Islam.“
Die Begegnung mit der Vielseitigkeit der Muslime ließ sein altes Weltbild zusammenfallen. Seine Reise führte er fort durch zahlreiche afrikanische Staaten, unter ihnen Ägypten, Sudan, Nigeria, Ghana, Marokko und Senegal. In Libyen war er Gast beim deutschen Muslim Schaikh Bashir Dultz, der vom Sanoussi-Clan oft mit der Betreuung ‘westlicher” Gäste beauftragt war. In Kairo trank er Kaffee mit dem Präsidenten Gamal Abdel Nasser und wurde ironischerweise am Esstisch mit ihm vergiftet. Das sollte der erste Anschlag auf ihn gewesen sein. In Westafrika traf er Gelehrte der Tijaniya-Tariqa und zeigte sich fasziniert von ihrer Größe und Geschichte. Aus den Briefen an seine Frau, lässt sich auch sein Schamgefühl aufgrund seines kaum vorhandenen Wissens im Islam erkennen. “Ich wusste nicht einmal wie man betet, aber sie behandelten mich, als wüsste ich es und sprachen laut auf Arabisch und ich sprach es mit.”
Als nach einer Vorlesung an einer Universität in Beirut der Libanese Ahmed Osman auf ihn zuging, entstand eine öffentliche Debatte vor den Zuhörern. Der junge Osman versuchte Malcolm X aus der Reserve zu locken und erzählte ihm von afrikanischen Gelehrten des Islam und ihren Lehren. Zum Ende des Gesprächs konnte er ihm die Zusicherung abgewinnen, eine Sudan-Reise mit ihm zu unternehmen. In dem nordafrikanischen Land stellte er ihm den Gelehrten Ahmed Hassoun vor.
Der sudanesische Sufi-Schaikh Ahmed Hassoun wurde fortan spiritueller Führer des Afroamerikaners. Auf sein Geheiß reiste Malcolm X nach Frankreich und Großbritannien um die dortigen Muslime kennenzulernen. Gleichzeitig veranstaltete er Reden für Schwarze in den beiden Ländern und teilte seine neuen Erkenntnisse mit ihnen. Seine Frau berichtet, Malcolm habe sich überrascht gezeigt, wie selbstverständlich seine Ansichten für die Zuhörer schienen. Der Schaikh verbrachte auch einige Zeit mit Malcolm in den USA um ihn zu lehren.
In der Hoffnung durch die neuen Kontakte auch Elijah Muhammed eine Reise ermöglichen zu können, kehrte Malcolm in die USA zurück. Dieser aber reagierte mit Abscheu. Ahmed Osman schrieb 1965 rückblickend, er hätte nach den ersten Gesprächen mit Malcolm über die Entwicklungen in den USA bereits eine Ermordung Malcolms durch die NOI befürchtet.
Dass ‘die Weißen’ nicht mehr als Teufel zu betrachten sind und der traditionelle, echte Islam weit entfernt von dem Propagierten der Nation ist, war für einige ehemals Wohlgesonnene eine Kriegserklärung. Es folgten diverse Drohungen und kleinere Angriffe auf Malcolm und seine Familie. Hadsch Malik El-Shabazz, wie er von seinem Sheikh benannt wurde, suchte dennoch die Öffentlichkeit. Der gesamtgesellschaftliche Aufruf zur Abkehr von Gewalt, Rassismus und Hass wurde zu seiner neuen Mission. Im neuentdeckten Islam sah er die einzig mögliche Heilung vom Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft und den direkten Weg zur Verbesserung der Lebensumstände der Schwarzen.
Der Tod erlöste ihn von seinem gefährlichen Leben. 1965 wurde er bei einer seiner Reden auf der Bühne mit 21 Schüssen getötet. Seine Tochter erzählt später, er habe lächelnd die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis, gesprochen, als er starb. Die Ermordung soll die Nation of Islam in Auftrag gegeben haben. Seit jeher wird aber auch über eine Beteiligung des FBI spekuliert. “Seine Gegner haben es bis in den Präsidentenpalast von Kairo geschafft, das sind keine Gangster aus New York gewesen”, beteuerte Malcolms Frau Betty. Die Totenwaschung wurde unter anderem von Sheikh Ahmed Hassoun und seinem Freund Ahmed Osman geleitet.
Heute gilt der Revolutionär als Ikone, wenngleich die wichtigsten Phasen seines Lebens für viele eher unbekannt sind. Man zitiert ihn, teilt seine Bilder und erinnert an ihn – oft ohne ihn wirklich zu kennen. Und doch ist und bleibt er eine faszinierende Persönlichkeit – auch für Muslime in Europa. Denn trotz der schweren Situation im Allgemeinen und Speziellen, lehnte er nach seinem Wandel bis zuletzt die Opferrolle ab. Er war ein mutiger Visionär mit Hoffnung und Vertrauen in seine Sache. Sein selbstbewusstes Eintreten für die Bürgerrechte Schwarzer sucht seines gleichen.
50 Jahre nach seinem Tod muss sein Leben neu aufgerollt werden. Die kurze Zeit nach seinem Wandel birgt viele wertvolle Erkenntnisse und scheint vor allem heute geradezu unbeachtet. Malcolm X war trotz seiner Popularität bereit einzusehen, dass er nichts vom Islam wusste. Er war bereit sich gegen jedes erdenkliche System zu stellen, sei es die Gemeinschaft, der er jahrelang verschrieben war – wenn er wusste, es ist richtig. Er war bereit sich auf den Pfad des traditionellen Islam zu begeben, speziell auch der Lehre des Tasawwuf, auch wenn das im aggressiven Zeitgeist ehemaliger Anhänger als schwach gelten könnte. Er distanzierte sich von vielen seiner Worte, auch wenn diese ihn erst berühmt machten.
Er war mehr als irgendein schwarzer Bürgerrechtler, er war ein Revolutionär. Aber eben auch ein Revolutionär gegen sich selbst. . „Wir Muslime haben eine Verantwortung für Malcolm. Die Nationalisten predigen von Malcolm, dem Nationalisten. Die Linken predigen von Malcolm, als Sozialisten. Wir müssen der Welt erzählen von Malcolm, dem Muslim!“ – Betty el-Shabazz