
Abaya: Frankreichs Regierung schafft das Tragen eines langen Überkleides. Es scheint unausgegoren.
Paris (KNA). Die Entscheidung war erwartet worden. Frankreichs neuer Bildungsminister Gabriel Attal will das Tragen der Abaja, des langen muslimischen Überkleids, in den Schulen des Landes untersagen. Das Verbot soll schon zum neuen Schuljahr (4. September) in Kraft sein, kündigte Attal am Sonntag im Fernsehsender TF1 an.
Mit Abaya-Verbot setzt Paris den religionsfeindlichen Kurs fort
Es werde dann landesweite und klare Regeln geben. Beim Betreten des Klassenraums solle künftig nicht mehr erkennbar sein, welcher Religion eine Schülerin oder ein Schüler angehört. Die Schulleiter-Gewerkschaft begrüßte die Ankündigung.
Keine vier Wochen im Amt, hatte der Minister schon bald mitgeteilt, gegen das Tragen der Abaja vorgehen zu wollen. Denn dieses sei ein religiöses Statement. Attal berief sich bei seiner Ankündigung auf den französischen Laizismus, die seit 1905 geltende und immer wieder diskutierte Trennung von Staat und religiösem Bekenntnis.
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Und seine Interpretation lieferte der Minister gleich mit: Laizismus, das sei „die Freiheit, sich seine Meinung bilden und sich durch die Schule emanzipieren zu können“.
Schon seit 2004 sind in Frankreichs Schulen auffällige religiöse Symbole untersagt. Neben dem islamischen Kopftuch gilt das etwa auch für christliche Kreuze und jüdische Kippas. 2010 wurde dann Vollverschleierung in der Öffentlichkeit verboten; die gesetzlich vorgesehene Verurteilung zu Geldstrafen erfolgt aber nur selten.
In Berlin dürfen Lehrerinnen ab jetzt mit Tuch unterrichten
In Berlin verläuft die Entwicklung übrigens entgegengesetzt: Dort dürfen Lehrerinnen seit Schuljahrsbeginn an diesem Montag grundsätzlich mit muslimischem Kopftuch unterrichten. Dafür sorgten einschlägige Gerichtsentscheidungen.
Ob das Tragen der Abaya eindeutig ein religiöses Statement darstellt, ist in Frankreich noch nicht ausdiskutiert. Der bodenlange und luftige dünne Mantel oder Überwurf, der auch Kopf und Haare bedeckt, gehört in muslimisch geprägten Ländern zu den traditionellen Kleidungsstücken für Frauen.
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In Frankreich und auch in Deutschland erfreut er sich wachsender Beliebtheit. Von den rund 67 Millionen Einwohnern Frankreichs sind laut Schätzungen bis zu 6 Millionen Muslime. Konservativere Schätzungen gehen von mindestens 3,5 Millionen aus.
Verband CFCM widerspricht
Der Islam-Dachverband CFCM hält das Gewand für keine religiöse Aussage. Erwartbar nach Frankreichs Parteienspektrum: Konservative und Rechtsaußen befürworten ein Verbot in der Schule; Linkspolitiker sind dagegen, sprechen von einer „Kleiderpolizei“. Schulleiter hatten zuletzt erklärt, sie fühlten sich mit dem Problem allein gelassen.
Die Konturen des Verbots bzw. seine Konsequenzen sind noch schwer zu erkennen. Laut Zahlen des Ministeriums haben Berichte über Verstöße gegen das säkularistische Prinzip binnen eines Jahres um 120 Prozent zugenommen; bei der Hälfte der Fälle gehe es um das Tragen religiöser Kleidung oder Symbole, die in Widerspruch zum Gesetz von 2004 stehen.
„Unsere Schule wurde auf die Probe gestellt“, sagte der Minister vor einigen Tagen vor Rektoren – und versprach ihnen Festigkeit im Vorgehen gegen solche Verstöße.
Attals Kurzzeit-Vorgänger, Pap Ndiaye (2022/23), hatte es genau daran fehlen lassen. Er zog sich auf Einzelfallentscheidungen der Schulleiter zurück. Ndiaye zählte traditionelle Kleidungsstücke wie Abaya oder jüdische Kippa – anders als das muslimische Kopftuch – nicht zu den eigentlich religiösen Kleidungsstücken. Damit fielen sie auch nicht direkt unter das Gesetz von 2004.
Der damalige Minister empfahl Sanktionen lediglich mit Blick auf das Verhalten des Schülers. Disziplinarmaßnahmen könnten dann ergriffen werden, wenn das Kleidungsstück regelmäßig getragen wird und der Schüler sich weigert, es auszuziehen. Es müsse sich um ein Outfit handeln, das er oder sie auch an religiösen Feiertagen trägt.
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Es wird neuer Streit erwartet
Das nun verhängte grundsätzliche Verbot von Abajys dürfte fast unweigerlich neuen Streit nach sich ziehen – haben sich doch die großen Islamverbände und Dachorganisationen in Frankreich bereits festgelegt, dass sie eben keine religiösen Kleidungsstücke seien.
Argumentativ könnten allerdings auch Regierung und Ministerium noch nachlegen: etwa unter Verweis auf das Gewicht islamischer Influencer oder auf orchestrierte Kampagnen gegen den Säkularismus im Netz.
Nicht zu unterschätzen dürfte auch der Einfallsreichtum junger Schülerinnen und Schüler sein, sollte erst tatsächlich ein Katalog verbotener Kleidungsstücke vorgelegt werden. Variationen bei Farben, Länge etc. dürften wenige Grenzen gesetzt sein, um dennoch dasselbe politisch-religiöse Statement zu setzen. Ein enger geführter Gesetzestext könnte damit schnell ad absurdum geführt werden.
Sollte sich die Regierung von Präsident Emmanuel Macron die Zähne an der Kleiderordnung im Bildungssektor ausbeißen, blieb am Ende noch eine Variante: eine Rückkehr zur Schuluniform, wie sie bis heute in vielen Ländern funktioniert.
Linkspopulisten lehnen Verbot ab
Paris (KNA) Die linkspopulistische Bewegung “La France insoumise” (Unbeugsames Frankreich, LFI) will das angekündigte Gesetz zum Verbot in Schulen vor dem obersten Verwaltungsgericht (Staatsrat) anfechten.
LFI-Chef Manuel Bompard bezeichnete die Entscheidung von Bildungsminister Gabriel Attal laut französischen Medien am Dienstag als „gefährlich und grausam“. Zudem verstoße sie gegen die Verfassung.
Ein solches Verbot würde eine Diskriminierung junger Frauen und insbesondere junger Musliminnen nur noch weiter verstärken, so Bompard; das könne das Land nicht brauchen.
Der Linkspolitiker erklärte, die religiösen Autoritäten der Muslime in Frankreich hielten Abajas nicht für religiöse Kleidungsstücke; also gebe es auch keine Gründe für ein Verbot. Vom Bildungsminister erwarte er anderes, „als Ängste und Fantasien zu schüren“.