Allah wirkt in der Welt

Ausgabe 280

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(iz). Schon immer stellten die Offenbarungen, wie sie in den heiligen Schriften niedergelegt und entsprechend durch ihre Propheten und Gesandten verkündet wurden, eine ernsthafte weltanschauliche Herausforderung für die sogenannten Freidenker dar. Es wäre keineswegs übertrieben festzustellen, dass sich auch am Anfang des dritten Jahrtausends kaum etwas verändert hat. Im Gegenteil, immer mehr Menschen wollen besonders in einer säkular geprägten Umwelt an einen Schöpfer glauben, der im Gegensatz zu den monotheistischen Religionen keine Anweisungen zuweist.
In der Tat stellt diese Grundannahme in der Geschichte Europas keineswegs etwas Befremdliches dar, da bereits im 17. Jahrhundert der Engländer Herbert von Cherbury (1582-1642) an seine Landsleute eindringlich ­appellierte, ihren christlichen Glauben ausschließlich nur noch auf der Grundlage einer Vernunftreligion begründet zu wissen. ­Danach wäre einzig und allein die Vernunft als solche konstitutiv zur Erkenntnis des ­Daseins in Diskrepanz zur göttlichen Offenbarungsschrift zu werten. Diese religiöse ­Bewegung ist unter dem Begriff „Deismus“ im Abendland bekannt geworden.
Eines der besonderen Merkmale des Deismus ist die Annahme, dass Gott als der letzte Urgrund der Welt zwar anerkannt, jedoch Sein persönliches Intervenieren in Form einer Offenbarung (wie in Schriftform oder Inspiration) vehement abgelehnt wird. Demzufolge wäre nach Cherbury die Vernunft als alleiniger Träger der Quelle von religiöser Wahrheit unumstößlich zu rezipieren. Eine scharfsinnige Reflexion mit sich selbst und der Natur sei demnach ein hinreichender Faktor für die Erkenntnis, um auf die Spuren des eigentlichen Zwecks der Schöpfung gelangen zu können. In diesem Zusammenhang erwähnt der Qur’an die Begebenheit, wonach die ethische Unterscheidungsnorm des Guten und des Schlechten im Wesen aller Menschen, unabhängig ihrer Ethnie und Religion, angelegt ist: „Haben Wir ihm nicht zwei Augen gegeben, und eine Zunge und ein Paar Lippen, und ihm die beiden Höhenwege (von Gut und Übel) gezeigt?“ (Al-Balad, Sure 90, Vers 10) Dies wird im folgenden Qur´anvers noch einmal bekräftigt: „Und ihr dann ihre Sittenlosigkeit und ihre Gottesfurcht eingegeben hat.“ (Asch-Schams, Sure 91, Vers 8) Für den Evolutionsbiologen Marc Hauser besteht in diesem Zusammenhang kein Zweifel darüber, dass jeder Mensch mit einem Sinn für Gut und Böse, mit einem sogenannten Moralinstinkt geboren wird. Das beste Beispiel ist, dass selbst „ein Verbrecher in seinem Innern zumeist sehr wohl weiß, was moralisch richtig und was falsch ist“.
Unzählige Verse beschreiben den Qur’an daher als Rechtleitung, um das Wahre vom Falschen explizit unterscheiden zu können: „Es war der Monat Ramadan, in dem der Qur’an von droben erteilt wurde, als Rechtleitung für den Menschen und evidenter Beweis dieser Rechtleitung und als der Maßstab, mit dem das Wahre vom Falschen zu unterscheiden ist.“ (Al-Baqara, Sure 2, Vers 185)
Der Begriff Deismus wurde zwar erst im 17. Jahrhundert besonders unter den Namen Cherbury und Voltaire geläufig, soll aber als Weltanschauung und Herangehensweise nach Auswertung von einschlägigen Quellen bereits schon vorher im muslimischen Kulturkreis praktiziert worden sein, nämlich in der Person von Abu Bakr Muhammad ibn Zakarija Ar-Razi (gest. 925), von dem es heißt: „Er (Ar-Razi) war der mutigste Vertreter des Deismus. Womöglich war er auch der erste Deist in der Geschichte gewesen. Er hatte sehr viel Risiko auf sich genommen, indem er mit vielen Theologen über verschiedene Gedankengänge disputierte. Für ihn war das einzig Heilige, nur an den Schöpfer zu glauben. Propheten und Religionen waren überflüssig. Um Gott und die (richtige Ethik) zu erkennen, würde ausschließlich die Vernunft ausreichen (…).“
Nun steht hiermit die alte Frage im Raum, weshalb dann weiterhin das Bedürfnis nach himmlischen Botschaften noch bestehen soll? Bekanntermaßen wurde dieses Thema im Mittelalter seitens der muslimischen Theologen und Denker intellektuell mit ihren Widersachern öffentlich disputiert. Unbestreitbar gehören nach wie vor die beiden trächtigsten klassischen Werke „Der Erretter aus dem Irrtum“ von Imam Al-Ghazali (gest. 1111) und „Kitab At-Tauhid (dt. Buch über den Monotheismus)“ von Imam Al-Maturidi (gest. 944) zu den bedeutendsten theologischen Schriften, wenn es darum geht, die Notwendigkeit des Prophetentums auf der Grundlage von Logik und Vernunft zu begründen.
Aus den autoritativen muslimischen Quellen wird überdies bezeugt, dass die Anerkennung eines Menschen als Propheten die höchstmögliche Wertschätzung ist. Al-Maturidi beschreibt in seinem zitierten Werk über zahlreiche Begründungen, warum die Welt ohne die Anleitung und Vermittlung der Prophetenschaft sich letztendlich nur im Spekulativen und im Ungewissen befinden werde. Gleich im ersten Punkt merkt er an, dass die Menschen ausschließlich auf der Grundlage ihrer spezifisch geleiteten Vernunft niemals eine Übereinkunft über die Wahrheit des Daseins erlangen werden. Schließlich gibt es unzählige Aussagen der Philosophen und anderen Menschen über die kulturübergreifenden philosophischen Urfragen: Woher kommt denn das alles? Was soll ich denn hier? Wohin geht die Reise? Wer als Instanz und Richter sollte bestenfalls darüber urteilen können, welche Aussagen sich nach einschlägiger Überprüfung als wahr erwiesen und befolgt werden können?
Entgegen dem Deismus und anderen Weltanschauungen gehen die monotheistischen Religionen davon aus, dass sich die angesprochenen Sinnfragen – Woher? Weshalb? Wohin? – grundsätzlich nur dann glaubwürdig beantworten lassen, wenn das Dasein eines absoluten Schöpfers angenommen wird. Die Propheten sind in diesem Sinne auserwählte Führer, ausgestattet mit einer Anleitung zum rechten Wege. Shaikh Osman Nuri Topbas fasst prägnant die wesentlichen Aufgaben der Propheten in drei Punkten zusammen: „1. Verkündung der göttlichen Offenbarungen an ihr Volk. 2. Anleitung der Menschen bei der Läuterung ihres Egos. 3. Studium der göttlich offenbarten Bücher und Erlernen der Weisheiten, die die Menschen in die Lage versetzen, dem rechten Weg zu folgen“.
Allah erwähnt im Qur’an vorweg die geläuterten Seelen im Paradies mit ihrer Aussage: „Lob sei Allah, Der uns hierher geleitet hat! Wir wären nicht rechtgeleitet gewesen, hätte uns ­Allah nicht geleitet! Wahrlich, die Gesandten unseres Herrn kamen mit der Wahrheit.“ (Al-A’raf, Sure 7, Vers 43). Um den Menschen auf Erden die Rechtleitung zukommen zu lassen, wählt der Erhabene ganz besondere Komminikationskanäle aus: „Allah erwählt Boten aus den Engeln und aus den Menschen.“ (Al-Hadsch, Sure 22, Vers 75), da sonst die Intention des Daseins und der Schöpfung nicht angemessen erfasst werden kann: „Sie schätzen Allah nicht in Seiner wahren Bedeutung ein.“ (Al-Hadsch, Sure 22, Vers 74) Überdies teilt der Schöpfer die einzelnen Kriterien auf, über welche entscheidenden Kanälen kommuniziert werden kann: „Und es steht keinem Menschen zu, dass Allah mit ihm spricht, es sei denn durch Eingebung (wahi) oder von hinter einem Schleier oder durch Entsendung eines Gesandten, um auf Sein Geheiß zu offenbaren, was Er will.“ (Asch-Schura, Sure 42, Vers 51)
Seit Anbeginn der Existenz der Erdenbewohner wurde zu allen Völkern Rechtleitung entsandt, sodass die Erkenntnisse zur Welt und zum Schöpfer nie außer Acht gelassen wurden. Obwohl im Qur’an namentlich zahlreiche Propheten erwähnt werden, gibt es noch unzählige, über deren Namen und Wirkungsbereich wir keine Informationen verfügen: „Es sind Gesandte, von denen Wir dir (Muhammad) bereits berichtet haben und Gesandte, von denen Wir dir nicht berichtet haben (…).“ (An-Nisa, Sure 4, Vers 164)
Ohne die Schrift und die Propheten würde es den Menschen aus eigener Logik nicht gelingen können, den eigentlichen Sinn unseres Daseins mittels einer authentischen Kommunikation zum Herrn der Welten herzustellen. Somit wurde dem Menschen auferlegt, in Verantwortung seiner Pflichten und seiner Grenzen zu einem wohlwollenden Leben zu finden. Kein geringerer als der Prophet Muhammad selbst, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, dient als vollkommenes Vorbild für alle Menschen: „Ihr habt im Gesandten Allahs ein vorzügliches Beispiel für den, der auf Allah hofft und den Jüngsten Tag und Allahs gedenkt in vielfachem Gedenken.“ (Al-Azhab, Sure 33, Vers 21)
Ohne die einleuchtende Vermittlung der Prophetie würden die Einsichten der Menschen über Allah und die von Ihm gewünschte Ethik im Grunde genommen unvollkommen sein, da somit seitens der Offenbarung nicht einsehbares Wissen vermittelt wird: „Dies ist ein Buch, das Wir zu dir hinabgesandt haben, damit du die Menschen mit deines Herrn Erlaubnis aus den Finsternissen zum Lichte führst, auf den Weg des Mächtigen, des Preiswürdigen (…).“ (Abraham, Sure 14, Vers 1)