„Zu welchem Preis?“

„Der Einsatz von russischen Kampfflugzeuge wird die Lage eher noch komplizierter machen. Es wird eher länger als kürzer, würde ich mal sagen, denn es gibt nicht das geringste Rezept oder Konzept, dies zu beenden.“
(iz). Oscar Bergamin schreibt als Schweizer Muslim gelegentlich für die IZ. Der langjährige Journalist befasst sich seit 1999 intensiv mit dem Nahen und Mittleren Osten, insbesondere mit Syrien, Irak und Jordanien und Libanon. Seit Ausbruch der Revolution im Jahr 2011 war er mehrmals in hartumkämpften Gebieten im Norden Syriens. September 2013 warnte er an dem Symposium „A Reassessment of the Arab Springs“ am „Centre for the Advanced Study of the Arab World and the School of Arts, Languages and Cultures (Middle Eastern Studies)“ an der Universität von Manchester in Großbritannien vor der Terrororganisation ISIS – zu einem Zeitpunkt als noch keiner von dieser Gruppe gehört hatte. Bergamin ist zur Zeit für Studienzwecke in Den Haag.
Islamische Zeitung: Momentan sind die Schlagzeilen voll mit Meldungen über die ersten Luftangriffe russischer Jets in Syrien. Wie stark hat sich Moskau eigentlich in den letzten vier Jahren in dem Land engagiert?
Oscar Bergamin: Russland hat sich nicht besonders engagiert, außer mit Waffenlieferungen und militärischer Beratung. Die Russen haben theoretisch nichts anderes gemacht als was die Amerikaner tun; den Krieg in einer Balance halten und dafür zu sorgen das die Situation nicht in die eine oder andere Richtung kippt. Es gab aber schon seit Juli Vorzeichen, dass Russland aber auch der Iran Änderungen ihrer Politik in Syrien in Gang gesetzt haben.
Islamische Zeitung: Inwiefern?
Oscar Bergamin: Im Juli besuchte der Kommandant der iranischen Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, Moskau. Dieser Mann ist dafür bekannt „Dinge zu beenden“, und nicht dafür neues anzuzetteln. Obwohl die Amerikaner ihn lieber tot als lebend sehen, nennen sie ihn „The Closer“, einen Ehrenbegriff aus dem Basketball für den Mann der das Spiel zum Abschluss bringt. Das ausgerechnet dieser für alle Auslandoperationen zuständige iranische General, der von der UNO mit einem internationalen Reiseverbot belegt ist, nach Moskau reiste, ist ein klarer Hinweis darauf, dass sich Iran und Russland auf eine gemeinsame Strategie geeinigt haben.
Auch mehrere israelische Generäle weilten in Moskau und es gab Top-Gespräche mit dem damaligen stellvertretenden Saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman Al Saud, mit Ägyptens Präsident Abdel-Fattah el-Sissi und König Abdullah von Jordanien.
Kurz darauf begann die Aufstockung der russischen Militäranlagen in Syrien. Im August folgte dann die Übernahme des Internationalen Flughafens von Damaskus durch die Russen. In Washington freut man sich nicht darüber und es scheinen auch alle einen „Überraschten Eindruck“ vorzuspielen, dabei wissen alle haargenau Bescheid. Die Amerikaner behaupteten gestern, sie wüssten nicht was die Russen in Syrien genau bombardieren würden. Das ist natürlich kompletter Nonsens. Ich gehe mal davon aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin seinen amerikanischen Amtskollegen Barack Obama am Rande des UN-Gipfels in New York davon in Kenntnis gesetzt hat, dass sie jetzt gemeinsam im gleichen Luftraum unterwegs sind.
Islamische Zeitung: Welche Absichten verfolgt die ehemalige Supermacht in dem Land?
Oscar Bergamin: Nun, am Boden selber werden sie nicht viel ausrichten können – militärisch gesehen. Um auf dem chaotischen Schlachtfeld wirkungsvoll Fuß zu fassen, müsste das Land mehr als die derzeitige Brigade mit 1.500 Soldaten engagieren, das liegt aber laut Experten unter den Kapazitäten der Russen. Zudem ist das nicht die Krim, die man schnell einnehmen könnte, da denken russische Militärplaner wohl eher an Tschetschenien mit einem Einsatz von 100.000 Soldaten du diese Erinnerung liegt den Russen schwer auf dem Magen.
Sie werden daher auch nicht ein Ende des Krieges besiegeln können. Es geht hier mehr um eine Machtdemonstration und darum wer, wann und wie viel sagen kann wenn es um Verhandlungen in der Zukunft geht
Islamische Zeitung: Wie relevant ist Moskaus Politik für das zukünftige Überleben des al-Assad-Regimes? Es wird kolportiert, dass Russland selbst die bisherigen Verhältnisse nicht mehr für haltbar hält?
Oscar Bergamin: Bashar al-Assad selber ist schon lange nicht mehr relevant für die Russen; er ist ein sogenannter „dead man walking“, ein Mann dessen Schicksal schon besiegelt ist. Die Russen werden mit Hilfe der Iraner aber verhindern, dass er von irgendeiner Rebellengruppe aus Damaskus geschleppt und in der Öffentlichkeit hingerichtet wird.
Russland hat gestern alle syrischen Militärs – vom Soldaten bis zum höchsten Offizier – von der Luftwaffenbasis in Latakia verwiesen. Den verbleibenden syrischen Piloten hat man ihren Mobiltelefonen abgenommen. Ein großes Vertrauen in die Regimetreuen scheinen die Russen also nicht zu haben. Zudem haben die Russen, wie schon gesagt, den Internationalen Flughafen von Damaskus unter ihrer Kontrolle gebracht. Der Iran gibt sich dazu sehr selbstsicher. Iranische Geschäftsleute kaufen in der historischen Altstadt von Damaskus das eine Objekt nach dem Anderen.
Islamische Zeitung: Wie bewerten Sie in Relation dazu die Haltung anderer Länder? Es wurden ja deutlich Signale auch in Richtung von Verhandlungen mit Damaskus gesendet?
Oscar Bergamin: Was in Berlin, Paris oder London gesagt wird ist hier völlig irrelevant. Es sind hier eher Saudi Arabien, Katar und die Türkei die eine Gegeneskalation befürworten. Jede Eskalation verursacht aber eine weitere Eskalation bis das Land völlig ausgeblutet und zerstört am Boden liegt.
Islamische Zeitung: Politisch und strategisch, wie einflussreich ist der IS als politische Größe im Syrienkrieg?
Oscar Bergamin: Der IS ist ein Haufen Krimineller, dieser kann unmöglich als politische Größe betrachtet werden. Der IS wird wieder verschwinden, so wie er gekommen ist. Aber ohne Zutun der amerikanischen Bomben. Es werden letztendlich die Syrer selber sein, die dem IS den Garaus machen. Egal, ob da jetzt noch 30.000 ausländische Kämpfer dazukommen, wie die Amerikaner behaupten. Der IS zeigt schon Ermüdungserscheinungen. Kämpfer desertieren in Scharen, weil die finanziellen Quellen zurückgehen und syrische Clans und Stämme im Norden werden den Befehl verweigern.
Islamische Zeitung: Seit Ausbruch des blutigen Krieges gibt es wenig bis keine außicht auf eine friedliche Lösung. Was hat alle Seiten in diesem Bürgerkrieg daran gehindert, die Kämpfe einzustellen?
Oscar Bergamin: Es sind keine syrische Interessen im Spiel und auch kein Öl oder Gas. Es geht hier um übergeordnete Interessen. Das hier ist ein übles Beispiel von Macht auf geopolitischer Ebene wofür die syrische Bevölkerung die Rechnung bezahlt.
Islamische Zeitung: Woher kam dieser unbedingte Vernichtungswille, der das Land wohl unweigerlich zerrissen hat?
Oscar Bergamin: Keine Ahnung, ich glaube die Welt hat selten zuvor so etwas gesehen. Ich habe darauf keine Antwort.
Islamische Zeitung: Sehen Sie kurzfristig Hoffnung auf Frieden? Wenn ja, was müsste dazu getan werden?
Oscar Bergamin: Jeder Krieg hat irgendwann ein Ende, aber zu welchem Preis? Im Moment ist es wirklich sehr schwer abzuschätzen wie lange das noch geht. Der Einsatz von russischen Kampfflugzeuge wird die Lage eher noch komplizierter machen. Es wird eher länger als kürzer würde ich mal sagen denn es gibt nicht das geringste Rezept oder Konzept dies zu beenden.