Rafik Schami ist pessimistisch. Die Gewalt in Syrien wird nicht so bald enden, meint er. Hoffnung macht dem Schriftsteller, dass Deutschland sich auf die Seite des syrischen Volkes gestellt habe.
Marnheim/Mainz (dpa) – Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami sieht keine Chancen mehr auf ein baldiges Ende der Gewalt in Syrien. Der Bürgerkrieg sei längst im Gange, erklärte der 65-Jährige im Interview der Nachrichtenagentur dpa in Mainz. Er begrüßte, dass sich die Haltung der Bundesregierung zu syrischen Spionen gewandelt habe und sie nun auf der Seite des syrischen Volkes stehe. «Aber es gab Zeiten, wo die Kontakte der deutschen Geheimdienste zwischen Syrien und Deutschland für die Bundesregierung höher als Demokratie und Freiheit bewertet wurden.» Die Verhaftung längst bekannter Spitzel sei ein Signal, dass sich in Berlin etwas verändert habe.
Auch in Deutschland soll Staatspräsident Baschar al-Assad mit Hilfe von Spionen Regimegegner ausgespäht haben. Sind Ihnen solche Fälle bekannt?
Schami: «Ja, das war aber nicht nur mir, sondern jedem Syrer bekannt, dass alle Mitglieder der Baath-Partei, alle Mitglieder des syrischen Studentenverbands und viele andere Syrer hier Spitzel der Botschaft waren, die mehr Berichte für den Geheimdienst als Seminararbeiten schrieben. Es wäre ein Ammenmärchen, würde der Verfassungsschutz oder der BND behaupten, er habe davon nix gewusst. Ich wünschte mir, dass die Namen dieser Monster bekanntgegeben werden, weil sie so viel Schaden angerichtet haben wie die Folterer in Damaskus. Mich interessieren auch Namen von Deutschen, die mit dem syrischen Geheimdienst arbeiteten. Aber ich mache mir keine Illusion, diese werden nicht bekanntgegeben, weil sie in der Regel Doppelagenten sind.»
Sind Sie persönlich ins Visier der Spione geraten?
Schami: «Ja, ich wurde bereits 1974 von einem schleimigen syrischen Medizinstudenten angezeigt, weil ich dem deutschen Publikum in Heidelberg Filme des kritischen Regisseurs Omar Amiralay gezeigt habe. 1976 zeigte mich wieder ein Spitzel wegen meines Auftritts gegen den Einmarsch der syrischen Truppen in den Libanon an. 1978 wegen meines Auftritts mit israelischen linken Intellektuellen in Frankfurt gegen den Einmarsch der Israelis im Libanon. Die Liste ist lang, aber diese ersten Bespitzelungen waren für mich verheerend. Meine Eltern wurden verhört, und ich durfte nie wieder mein Land betreten, nicht einmal, um meine Mutter zu beerdigen. Danach war es mir gleichgültig. Einem Ertrinkenden schadet ein Nieselregen nicht mehr.»
Geht Deutschland Ihrer Meinung nach vehement genug gegen diese Spionage vor?
Schami: «Korrekt muss es heißen „ging“, dann lautet die Antwort: Nein. Aber seit einer Weile ist die Haltung der Deutschen eindeutig auf der Seite des syrischen Volkes. Aber es gab Zeiten, wo die Kontakte der deutschen Geheimdienste zwischen Syrien und Deutschland für die Bundesregierung höher als Demokratie und Freiheit bewertet wurden. Ich glaube, diese Verhaftung von längst bekannten Spitzeln ist auch ein Signal, dass sich in Berlin etwas verändert hat.»
Nach dem Nein von Russland und China im UN-Sicherheitsrat: Was sollte die Staatengemeinschaft nun tun, um dennoch gegen die Gewalt in Syrien vorzugehen?
Schami: «Erstens: den Druck auf Russland verstärken. Es ist das schwächere Glied in dieser unheiligen Allianz. Das könnte etwa ein Boykott aller russischen Waren in den arabischen Ländern sein. Zum anderen könnten Mahnwachen an allen russischen Botschaften in den arabischen Ländern an die hohe Zahl der Getöteten und noch höhere Zahl der Gefangenen erinnern. Wir haben vor ein paar Tagen einen Aufruf der syrischen Schriftsteller an die russischen Schriftsteller geschickt, damit sie für Demokratie und Freiheit und gegen die Unmenschlichkeit ihrer Regierung Position beziehen. Auch die Westeuropäer und Amerikaner müssen Druck auf Russland ausüben, Putin zeigen, dass die Unterstützung eines Verbrechers nicht akzeptabel ist. Verändert Russland seine Haltung, folgt China opportunistisch wie immer dem Beispiel, um nicht Schaden zu nehmen.»
Stehen Sie in Kontakt mit Freunden in Syrien und welche Nachrichten erreichen Sie?
Schami: «Meine Freunde in Syrien mussten bereits im März alle untertauchen. Wir kommunizieren aber sehr rege über oppositionelle Verbindungen per Telefon, Handy und Internet.»
Sehen Sie überhaupt noch Chancen für ein baldiges Ende der Gewalt? Welcher Weg könnte dazu führen?
Schami: «Nein, leider nicht. Der Bürgerkrieg, vor dem Frau (US-Außenministerin Hillary) Clinton fast autistisch immer noch warnt, ist längst im Gange. Die Assad-Verbrecher greifen Homs so massiv an, also wollten sie dem Vater nachahmen, der 1982 Hama zerstörte und über 30 000 Menschen umbringen ließ. Ein Wunder wäre es, wenn ein Teil der Machthaber den anderen ausschaltet und der Opposition die Hand reicht. Aber bekanntlich geschehen Wunder, auch in der katholischen Kirche, immer weniger.»