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Suche nach dem Heroischen: Abdullah Dutton über den Charakter

Ausgabe 337

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Foto: Abdullah Dutton

Das Heroische: Abdullah Dutton will junge Muslime zu ihren höchsten Möglichkeiten führen

(iz). Abdullah Dutton ist der Sohn eines englischen Vaters (und bekannten Islamwissenschaftlers) sowie einer pakistanisch-afghanischen Mutter. Er wuchs in England auf. Nach seinem Schulabschluss ging er für ein Auslandssemester nach Südafrika, wo er seit 16 Jahren lebt.

Dutton betreibt seit einigen Jahren den Podcast „The New Nomos“, in dem er zeitgenössische Muslime interviewt, er schreibt und bietet seit Kurzem den Onlinekurs „Spirit of Excellence“ an. In seiner Arbeit beschäftigt er sich seit einiger Zeit mit der Suche nach dem Heroischen in verschiedenen Lebensbereichen.

Foto: Freepiks

Das Heroische: Abdullah Dutton sucht die höchsten Möglichkeiten

Islamische Zeitung: Lieber Abdullah Dutton, Sie sind auf verschiedenen Gebieten aktiv. Können Sie sich kurz vorstellen?

Abdullah Dutton: Ich wurde in Großbritannien geboren. Mein Vater ist Engländer. Wir können unsere Abstammung bis in die Zeit vor der Eroberung durch die Normannen 1066 zurückverfolgen. Auf mütterlicher Seite bin ich halb-pakistanisch und halb-afghanisch. Ihr Vater war Afghane und ihre Mutter kam aus Pakistan. Ich bin eine Mischung.

In England bin ich aufgewachsen und habe dort die Schule besucht. Ich ging für ein Überbrückungsjahr nach Südafrika, wo ich seit 16 Jahren lebe. Das war ein ziemliches Abenteuer.

Ich habe meinen Podcast und biete seit Kurzem einen Onlinekurs an. Bei beiden dreht es sich um die Suche nach einem neuen Ethos und der Frage, wie sich Menschen in Gemeinschaft gegenseitig aufbauen und stärken können. Sein Titel „The Spirit of Excellence“ (Der Geist der Vortrefflichkeit) ist teils selbsterklärend.

Islamische Zeitung: Es gibt weltweit eine Unmenge von Selbsthilfekursen und Life-Coaching. Was hebt Ihr Angebot vom Rest ab?

Abdullah Dutton: Ja, es gibt bei mir ein Element von Selbsthilfe, zusätzlich aber auch Aspekte von Geschichte, Philosophie, Psychologie, Ökonomie und Finanzwesen. Was den Unterschied macht, ist der Aufruf zur Exzellenz, zur Befreiung der höchsten Eigenschaften und dem heroischen Akt, sich seinen Ängsten zu stellen.

Der Kurs besteht aus mehreren Modulen: Der erste Teil ist eine Reise zum Selbst und den Stationen dieses Weges. Im zweiten behandle ich die Gründe dafür, warum unsere Welt von heute so ist, wie sie sich uns darstellt. Dabei geht es nicht nur um unsere Gegenwart, sondern auch die Geschichte der letzten 300 Jahre. Mir ist es wichtig, dass dieser Prozess verstanden wird.

Foto: Al Firdaus Ensemble, Facebook

Musik ist wichtig für das Selbst

Islamische Zeitung: Und die anderen Module?

Abdullah Dutton: Im dritten Teil beschäftigen wir uns mit Musik. Im Speziellen meine ich damit die klassische Musik im Westen und konzentriere mich dabei auf die großen deutschen Komponisten: Bach, Beethoven und Bruckner. Dabei geht es nicht nur um ihr musikalisches Werk, sondern auch ihr Leben. Und wir fragen: Zu was rufen sie mit ihrer Musik auf?

Außerdem behandeln wir den Fakt, dass sie als solche eine Sprache darstellt, die sich von unsere alltäglichen abhebt. Ihr kommunikativer Aspekt liegt in der Frequenz, wenn wir sie erfahren. Wir nehmen sie einfach in uns auf – als spontane Transmission.

Wenn Sie ein Stück beispielsweise von Beethoven hören, teilt er Ihnen etwas mit. Etwas davon durchdringt uns. Das hat mich veranlasst, mich enger mit der klassischen Musik im Westen zu beschäftigen. Ich will wissen, zu was sie uns aufrufen. Sie möchten etwas in uns entfesseln, etwas Heroisches.

Wie vorhin gesagt, befinden wir uns auf der Reise zu unserem Selbst. Dafür müssen wir die Zeit verstehen, in der wir leben. Mit dem dritten Modul bewegen wir uns durch die musikalische Welt, die uns zu verstehen hilft, wie wir die Schrecken dieser Welt überwinden können.

All das mündet in mein viertes und letztes Modul. Wie sieht der Weg nach vorne aus? Was sollen wir tun? Ich habe es mit zehn verschiedenen Eigenschaften beschrieben, mit denen wir unser höchstes Potenzial nähren und entschlüsseln können.

Die ersten fünf sind: Spontanität, Männlichkeit, Begeisterung, Leidenschaft und Vertrauen. Die anderen leiten sich aus traditionellen ritterlichen Tugenden ab: Freigebigkeit, Kompetenz, Höflichkeit, Offenheit und Loyalität.

Durch die individuelle und gemeinschaftliche Förderung dieser guten Eigenschaften gelingt uns die Öffnung unserer Möglichkeiten. Eine spannende Zukunft.

Islamische Zeitung: Wenn ich Exzellenz höre, muss ich direkt an den arabischen Begriff „Ihsan“ denken. Geht es Ihnen dabei um Bezüge zu islamischen Begriffen?

Abdullah Dutton: Im Kern rufe ich zu gutem Charakter auf, den bestmöglichen. Dabei habe ich keine spezifisch islamische Terminologie gewählt. Wenn es um den Geist der Vollkommenheit geht, dann haben wir das beste Beispiel im Gesandten Allahs; die höchste Manifestation des Menschen überhaupt.

Und wenn wir die aufgezählten Begriffe mit Eigenschaften in der muslimischen Welt vergleichen, finden wir sie gespiegelt. Nehmen wir Großzügigkeit. Wer sind die großzügigsten Menschen überhaupt? Die Muslime. Man kann an jede Tür klopfen und bekommt was zu essen. Oder schauen wir auf die muslimischen Zivilisationen der Vergangenheit, dann haben sie hervorragende Architektur, Wissenschaft oder Heilkünste hervorgebracht. Ein anderes Beispiel ist die Loyalität.

Wir müssen uns, unseren Brüdern und der muslimischen Gemeinschaft als ganzes treu gegenüber sein.

Im Verlauf des Kurses geht es nicht um Din oder Islam. Ganz zum Schluss gibt es ein Bonusvideo: Der muslimische Prinz. Schließt ihn jemand ab, kann er darauf stoßen und den Nutzen davon ziehen.

Islamische Zeitung: Im Podcast „The New Nomos“ nähern Sie sich dem Heroischen aus sehr verschiedenen Blickwinkeln. Ich gehe davon aus, dass damit nicht die herkömmlichen Stereotypen gemeint sind. Was verstehen Sie darunter?

Abdullah Dutton: Das ist eine sehr gute Frage, denn diese Begriffe sind mehrdeutig. Wir alle haben unsere verschiedenen Helden. Und meine mögen nicht die von anderen sein. Also ist das Thema auch ein bisschen subjektiv. Was meine ich mit heroisch?

Sich den eigenen Ängsten zu stellen und ihnen ins Auge zu blicken. Sich selbst treu zu sein und auch so in der Welt zu handeln. Das ist meiner Meinung nach die Tat, die am meisten heroisch ist.

Es gibt ein schönes Zitat des deutschen Schriftstellers Ernst Jüngers, der am Ersten Weltkrieg teilnahm und als jüngster Empfänger den höchsten preußischen Orden erhielt. Er nahm auch aktiv am Zweiten Weltkrieg teil. Er hat alle Schrecken der beiden erlebt. In den 1970er Jahren meinte er, dass das heutige Troja in den Herzen der Menschen liegt.

Das heißt, es ist sein Schlachtfeld. Und der größte Akt ist demnach, sich den eigenen Dämonen, Unsicherheiten und Ängsten zu stellen. So lernen wir, wer wir sind und können den göttlichen Funken in unserem innersten Kern erkennen.

Je mehr Menschen es gibt, die sich in diesem Geistigen bewegen und die für eine Sache zusammenkommen, die über sie hinausgeht, kann daraus etwas Faszinierendes entstehen. Im muslimischen Kontext gibt es dafür historische Vorbilder.

Ein Beispiel dafür war Abdurrahman (Ad-Dakhil). Er wurde als Überlebender seiner Familie aus Syrien vertrieben und machte sich durch den Nahen Osten und ganz Nordafrika auf den Weg nach Spanien. Mit absolut nichts. Auf dem Weg baute er eine Armee auf, setzte über die Meeresenge von Gibraltar und baute seine Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel auf.

Nicht jeder wird die große heroische Gestalt sein. Aber keine von ihnen kann existieren ohne andere Männer und Frauen um sie herum. Nur wenn wir die erwähnten Eigenschaften in uns erschließen, werden sie sich in unserem Umfeld zeigen. Dabei geht es auch nicht um Zerrbilder aus Hollywood, sondern um echte Menschen.

Recht

Foto: Alessandro Biascioli, Adobe Stock

Es gibt auch Heldinnen

Islamische Zeitung: Sie haben eben Männer und Frauen erwähnt. Das heißt, für Sie ist das Heroische keine ausschließlich männliche Sache?

Abdullah Dutton: Absolut nicht. Nehmen wir beispielsweise den historischen Kontext des ersten Mogulherrschers. Als Babur in Delhi einzog, nachdem er den vorherigen Herrscher, Ibrahim Lodhi, bei Panipat besiegt hatte, nahm er ihm jeden Besitz – seinen Reichtum sowie alle Diener.

Dann ließ Babur alle Frauen seines Harems zu sich rufen. Hier ist es wichtig zu verstehen, dass damit keine schwülstige orientalische Fantasie gemeint ist. Sein Harem bestand aus den Ehefrauen, Tanten, Müttern, Großmüttern und Dienerinnen des Hofes sowie seiner Generäle. Sie reisten mit seiner Armee.

Das waren die führenden Damen seiner Herrschaft. Nachdem er in Delhi einzog, waren sie die ersten Personen, die finanziellen und materiellen Besitz empfingen. Jeder von ihnen gab er eine der Dienerinnen von Ibrahim Lodhi sowie einen Goldteller voller Juwelen.

Warum hat er das getan? Weil er nichts ohne sie erreicht hätte. Sie begleiteten ihn auf seinem harten Weg durch Berge, Schnee, Hitze und alles auf dem Rücken ihrer Pferde. Das waren Nomaden, deren Kampagnen Jahre anhielten. Ohne die Frauen hätte er das gar nicht geschafft.

In der Wirklichkeit können Männer ihre höchste Möglichkeit nicht ohne Frauen erreichen; und Frauen die ihren nicht ohne Männer. Hier braucht es Zusammenarbeit. In der Öffnung der besten Möglichkeiten haben Frauen ebenso Anteil am heroischen Selbst.

Dafür brauchen beide ein höheres Ziel. Das heißt, sie können nicht nur durch ihre gemeinsame Situation oder die Kinder gebunden sein. Wir alle kennen den bekannten Vers, in dem Allah uns davor warnt, uns nur auf die Familie, Besitz und die Nachkommen zu beschränken.

Foto: Alan Santos/PR

Machtmenschen oder die falschen Helden

Islamische Zeitung: Kann es sein, dass die Abwesenheit echter heroischer Menschen dazu führt, dass die Menschen Rattenfängern hinterherlaufen? Wir sehen an „starken Männern“ wie Trump, Bolsonaro oder Orban, dass die zwar beinahe verehrt werden, aber keine der gewünschten Eigenschaften an den Tag legen…

Abdullah Dutton: Es reicht nur auf das Kino, das Fernsehen, die Filme und die Serien zu schauen. Ein gutes Beispiel dafür ist „Game of Thrones“. Alle starken Charaktere werden im Lauf der Serie getötet beziehungsweise sterben. Die heroische Figur ist längst kein Ideal mehr.

Heutzutage spielen Kinder am Computer und wollen E-Sport-Helden sein. Das Lustige darin ist, wenn man sich diese anschaut und die Interviews verfolgt, sind sie für viele junge Leute Helden. Sie haben einen starken Einfluss und sind absolut erstaunlich in dem, was sie in einem Computerspiel tun können. Aber als soziale Personen könnten sie kein normales Gespräch führen. Sie, Influencer oder Youtuber sind die Heroen dieser Zeit.

Von der Zeit Homers bis in die Moderne gab es etwas, auf das die Menschen zustreben konnten. Ich habe das Wort bewusst gewählt, denn es geht um eine Sache, die wir anstreben. Etwas, das uns veranlasst, auf eine Reise zu gehen. Wir haben all diese Geschichten und Mythen. Eine ihrer Funktionen besteht darin, dass sie uns dazu veranlassen, lebensverändernde Schritte zu tun.

Niemand wird zum perfekten Vorbild oder vollkommen edel, aber wir können uns auf etwas hinbewegen, etwas, dem wir uns annähern können. Das ist der ganze Punkt, zu dem ich einlade. Wir können aus dieser Reise nichts als Vorteile ziehen.

Zum Abschluss möchte ich noch ein Beispiel aus der Natur anführen. Es erklärt, was einige wenige für ein Umfeld tun können. Vor ein paar Jahren wurden erneut Wölfe im Yellowstone-Nationalpark (USA) angesiedelt. Alles hat sich durch sie verändert. Die Wildpopulationen wurden reguliert. Die Biber kamen zurück, die Bären, die Adler und andere Tiere. Durch diesen einen Schritt veränderte und verbesserte sich das ganze Ökosystem in dem Nationalpark.

Sogar die Pflanzenwelt und die Landschaft. Da es weniger Wild gab, konnten mehr Bäume wachsen. Diese veränderten den Lauf der Flüsse, deren Ufer nicht mehr erodierten. Allein dadurch, dass die Wölfe innerhalb kürzester Zeit wieder im Park angesiedelt werden, verändert diese kleine Gruppe von Wölfen die gesamte Umwelt.

Es geht nicht um den Tyrannen oder Alleinherrscher. Sondern darum, dass entwickelte Menschen – wie die Wölfe – als eine Art „Hefe im Teig“ wirken können.

Islamische Zeitung: Lieber Abdullah Dutton, wir bedanken uns für das Gespräch.