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Deutsche Muslime. Deutscher Islam?

Ausgabe 280

Foto: Katy Otto, Deutsche Islamkonferenz

„Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage ‘Was ist deutsch?’ niemals ausstirbt.“ Friedrich Nietzsche
(iz). Es geht ein Gespenst um in Deutschlands Islamdebatten: die Frage, ob es so etwas wie ­einen „deutschen Islam“ gäbe. Nach Jahrzehnten der verlängerten Provisorien, der Einrichtung im Vereinsrecht, der wiederkehrenden Reethnisierung und unter der Ägide eines politischen Dominanzdiskurses diskutieren Muslime (siehe „Widersprüche treten zu Tage“ von Massouda Khan) nun zum ersten Mal die Gültigkeit des Begriffs. Das ist insofern ein Novum, da jene Debatte erstmals öffentlich und mit mehreren Standpunkten ausgetragen wird.
Ungeachtet der Gültigkeit eines solch problematischen Konzeptes ist die Kontroverse erst einmal zu begrüßen. Beinahe als Premiere wird für andere Muslime nachvollziehbar – teils recht polemisch – darüber gestritten, was zukünftig gelten soll und wie ein kommendes muslimisches Selbstverständnis aussehen könne. Insofern ist dem Debattenteilnehmer Ahmet Inam zuzustimmen, dass es hier um nichts weniger geht als die Frage nach einer einheimischen muslimischen Kultur.
Das Ende des Gesprächs ist noch längst nicht in Aussicht. Denn seine Heftigkeit erklärt sich wohl auch dadurch, dass hier aufgestaute Widersprüche und Dissonanzen der verschiedenen Herkünfte, Hoffnungen und Erfahrungen erstmals ans Tageslicht kommen. Hinzukommt, dass es hier nicht nur um bloße innermuslimische Befindlichkeiten geht. Hier werden auch Konzepte von außen, namentlich der deutschen Ministerialbürokratie, an Muslime herangetragen. Was wiederum dem Begriff eine weitere, problematische Facette verleiht. Von daher wäre es besser, sich von der begrifflichen Ebene zu verabschieden und sich den Inhalten zuzuwenden. Denn im gewissen Sinne geht es nicht um einen etwaigen „deutschen Islam“, sondern um eine zukünftige Wirklichkeit, die mit dem Schlagwort gar nicht gefasst werden kann.
Wenden wir uns zuerst dem Element „deutsch“ in der Begriffskonstellation zu sowie dem, was alles damit verbunden ist. Es ist zweifelsohne heute eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Muslime, zu entscheiden, wer sie sind und was sie tun wollen. Und dann diese Überlegungen auch mit Leben zu füllen. Das kann uns niemand abnehmen. Bei der vorliegenden Frage gibt es sicherlich mehr als nur zwei Positionen. Bei vielen finden sich richtige Ansätze, aber auch Irrtümer. Im Rahmen der historisch evidenten Lebenspraxis von Muslimen sowie ihres juristischen Denkens ist eine lokale Verortung und „Heimischwerdung“ weder neu, noch unerwünscht. Wenn mit „deutsch“ die Anerkennung hiesiger Erfahrungshorizonte und Traditionen verstanden wird, die nicht im Widerspruch zu Grundsätzen der spirituellen Lebenspraxis stehen, ist der Begriff nicht problematisch.
Wir können uns aber nicht sicher sein, ob es wirklich das ist, wovon seitens der Politik und Öffentlichkeit gesprochen wird. Einerseits gibt es seit Jahren ein fortlaufendes Projekt, das recht harmlos mit Begriffen wie „Reform“ oder „liberal“ beschrieben wird. In quantitativer Hinsicht ist es nicht relevant, verfügt aber dank seines medialen, institutionellen und materiellen Zuspruchs über enormes symbolisches Kapital. Dieser Ansatz gibt sich als Gegenentwurf zum „politischen Islam“, bleibt aber selbst doch dem Politischen verhaftet. Denn seine Betrachtungsweise der religiösen Praxis von ­Muslimen und ihrer gemeinschaftlichen Verortung wird durch einen politischen Bezugsrahmen bestimmt.
Andererseits kam anhand der Äußerungen von Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und verantwortlich für die Islamkonferenz, eine Abwehrhaltung in Teilen des innermuslimischen Diskurses an die Oberfläche. Hier geht es weniger um Argumente aus dem Bereich politisch vs. apolitisch oder konservativ vs. liberal. Hier sind Ängste und Identitäten betroffen. Nämlich die Befürchtung einer Minderheit, die derzeit unter offenkundigem Druck steht, noch weiter in die Defensive zu geraten. Die Idee dieses Konstruktes gehört nicht erst seit gestern zu den Kernelementen der politisch ausagierten Islamdebatte. Auch geht es um Identitätsfragen. Leider wurde nicht nur auf Seiten der kulturalisierten Islamkritik ein Gegensatz zwischen „deutsch“ und „muslimisch“ konstruiert. Diese Vorstellung eines wesensmäßigen Unterschieds beider Aspekte – oder gar die Möglichkeit einer harmonischen Gleichzeitigkeit – findet nach Jahren der Erfahrung mit Islamfeindlichkeit auch auf muslimischer Seite Anhänger.
Quasi zwischen den Stühlen befinden sich diejenigen Muslime und Ansätze, denen an einer „Heimischwerdung“ sowie der Möglichkeit einer Existenz als deutsche Muslime gelegen ist. Sie akzeptieren weder die Vorstellung, deutscher Muslim zu sein sei denkunmöglich, noch sind sie an Dominanzvorgaben seitens der Politik – egal welcher Seite – interessiert. Hier fehlt es innermuslimisch sowie gegenüber der Politik an vermittelnden Elementen. Das wären solche, die hin zu einer positiven Definition des muslimischen Selbstverständnisses in Deutschland arbeiten, von der alle Seiten profitieren können. Beispielsweise wären das intelligente Köpfe unter jenen, die sich dezidiert als deutsche Muslime – ob Revertiten oder nicht – begreifen. Sie könnten hier Brücken bauen.
Auch der zweite Teil der Gleichung, „Islam“, bedarf in diesem Zusammenhang einer genaueren Untersuchung. Bei diesem Thema, genau wie bei vielen anderen ­„Islamdebatten“, operieren die Teilnehmer oft mit einer profunden Gewissheit und Überzeugung, die Fragen unmöglich macht und das Denken ­einschränkt. ­Dafür ist es nötig, für eine verbindliche Bestimmung von Allahs Din sowie des Muslimseins auf die Grund­lagen ­zurückzublicken.
Hierzu eignet sich hervorragend die zweite Überlieferung in der anerkannten Sammlung 40 prophetischer Aussagen von Imam An-Nawawi. Dieser vom zweiten Kalifen ‘Umar, möge Allah mit ihm zufrieden sein, überlieferte Bericht ist so relevant, dass er auch das Hadith von Dschibril (dem Erzengel) oder die Mutter der Hadithe genannt wird. Darin erläutert der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, die drei Elemente des Dins – Islam (grundlegende, verpflichtende Lebenspraxis), Iman (Glaubensgrundlagen) und Ihsan (spirituelle Vervollkommnung). Wie eine andere Überlieferung erklärt, ist die Erfüllung der fünf Säulen des Islam ausreichend, um seine Pflichten als Muslim getan zu haben. Ebenso enthält das ­Hadith von Dschibril, Friede sei auf ihm, implizit eine Definition des Muslimseins. Das heißt, diejenige Person hat sich Allah unterworfen, welche diese grundlegenden Bedingungen erfüllt.
Diese objektive und an Bedingungen geknüpfte (wer das Glaubensbekenntnis bestätigt, wer fünf Mal am Tag betet etc.) Bestimmung des Dins und der Muslime  bietet keinen Raum für nationale oder identitäre Markierungen. Weder Islam, noch Iman oder Ihsan können per Defi­nition als überzeitliche und ortsunabhängige Wirklichkeiten eine wie auch immer geartete Färbung geben. Oder, um es ­zuzuspitzen, in diesem Bezugsrahmen kann es „deutsche“ Muslime mit einer Identität geben, in der Islam, Iman und Ihsan geborgen sind. Aber es kann keinen „deutschen Islam“ geben. Kurzum, die ’Ibadat (die rituellen Handlungen der Anbetung) sowie die Mu’amalat (die Sphäre der sozialen Transaktionen) lassen sich nicht dem Definitionswunsch irgendeiner Seite unterwerfen.
Anstatt sich in fruchtlosen Begriffsbestimmungen aufzureiben, sollte unser Denken und Bemühen auf die Schaffung einer Wirklichkeit gerichtet sein, deren Existenz die Frage nach den Termini und Konzepten unnötig macht, da sie augenscheinlich ist. Es geht hier also auch um die Schaffung einer kommenden muslimischen Kultur unter Einbeziehungen hiesiger Kontexte, der Geschichte und der geistigen Erfahrungshorizonte. Während es die politische Sphäre in der nichtmuslimischen Gesellschaft ist, die äußerlich Einfluss auf die Terminologie nimmt, sind es innermuslimische identitäre Vorstellungen im Inneren, die problematisch werden. Wenn der Kerninhalt der spirituellen Praxis sowie die an Allah ausgerichtete Bestimmung des Muslimseins durch identitäre und/oder ethnische ­Kategorien ersetzt werden, gerät unsere Balance ebenfalls ins Ungleichgewicht.
Und es gibt weitere denkerische, spirituelle und logische Widersprüche in der Verknüpfung von Allahs Din mit nationalen und/oder ethnischen Markierungen. Im allgemeinen wie im spezifischen muslimischen Diskurs hat sich die Sprech- und Denkgewohnheit verbreitet, „Islam“ als Subjekt zu beschreiben beziehungsweise zu verstehen. Daraus entstehen dann Formulierungen in der Art wie „der Islam sagt…“, „der Islam will…“ oder „der Islam muss…“. Also eine Entität mit Fähigkeit zur eigenen Willensbildung. Und dieser wurde nun in Folge die Möglichkeit zugeschrieben, eine wie auch immer geartete – ob ethnisch oder nach politischen Kriterien fundierte – Färbung anzunehmen. In Wirklichkeit, wenn wir den Vergleich zur Grammatik ziehen, passt „Islam“ viel besser in die Verbformen. Das heißt, er ist – als Folge des menschlichen Schöpfungsvertrages – das Tun der Muslime, das unternommen wird, um Allah, den Herrn der Welten, zufriedenzustellen. Eine solche Handlung kann nach den tradierten Rechtsbegriffen verstanden und beurteilt werden. Aber ein nationales Kriterium ist hier fehl am Platz. Um es verkürzt zu sagen, ich kann nicht „deutsch“ oder „türkisch“ beten, sondern nur richtig oder falsch.
Es wurde ein wichtiges Gespräch um die Zukunft der muslimischen Existenz angefangen. Damit dies gelingen und Früchte tragen kann, müssen wir herausfinden, wer wir sind, wo wir sind und wo wir hin wollen.