Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime. Von Laila Massoudi

Ausgabe 206

(iz). Wenn Sie diese Ausgabe der IZ in Händen halten, ist der diesjährige Ramadan, der wegen der Verschiebung zwischen Mond- und Sonnenkalender jedes Jahr 10 Tage nach vorne wandert, in seine zweite Hälfte eingetreten. Die meisten Fastenden werden die Anstren­gungen und Umstellungen der ersten Tage überwunden und ein Gefühl für die Besonderheit dieser Zeit entwickelt haben.

Insbesondere in der zweiten ­Hälfte, die mit dem Fest zum Ende des Fastenmonats (‘Id Al-Fitr) besiegelt wird, häufen sich nicht nur die Einladungen im letzten Augenblick, sondern auch – wesentlich wichtiger – die besonderen Momente des Ramadans – ‘Itikaf in den letzten zehn Tagen des Ramadans sowie die Lailatu’l-Qadr.

Faszinierend am Fasten in einer nichtmuslimischen Umgebung (siehe das Essay von Tasnim El-Naggar) ist der Doppelcharakter der gesegneten Zeit: Einerseits – eine wunderbare Gelegenheit – hat man die Möglichkeit, seiner nichtmuslimische Umgebung durch Einladungen zum gemeinsamen Fastenbrechen näher zu kommen und die spirituellen Grundlagen unseres Dins – jenseits des hysteri­schen Streits – zu erläutern. Andererseits wird in der täglichen Erfahrung des Fastens ein existenzieller Unterschied zur Umwelt deutlich.

Abwendung von der Welt
Die spirituelle Reifung (die ein wichtiges Werkzeug des Fastens ist), deren Endziel Gottesfurcht (Taqwa) ist und nicht eine nebulöse Solidarität mit den Armen (wie uns viele Modernisten glauben machen wollen), hängt unter anderem davon ab, inwiefern man seine bisherigen Routinen und Abhängigkeiten von seiner Umwelt zeitweise aufheben kann.

Ramadan bedeutet daher nicht nur zeitweiligen Verzicht auf Nahrungsaufnahme, es bedeutet auch, dass Augen, Ohren und Zunge sich enthalten. Man ist bewusster auch in seinem Verhalten, achtet genauer darauf, was man tut oder sagt. Ramadan ist ein sich Abwenden von unwichtigen Dingen und die Konzentration auf das Wesentliche. Der Ramadan ist natürlich ein Monat, in dem durch das gemeinsame Fasten, gemeinsames Fastenbrechen und gemein­schaftliche Anbetung, insbesondere in den Tarawih-Gebeten, der gemeinschaft­liche Aspekt eine große Rolle spielt. Die Tradition der gegenseitigen Einladungen zum Iftar geht auf einen Ausspruch des Gesandten Allahs zurück, in dem er sagt: „Wer immer einem Fastenden etwas gibt, mit dem er sein Fasten brechen kann, erhält die gleiche Belohnung, ohne dass dies die Belohnung des Fastenden in irgend einer Weise verringern würde.“ Bei aller Geselligkeit sollte immer die bewusste Ausrichtung auf Allah in diesem Monat im Vordergrund stehen und nicht in den Hintergrund geraten, auch an den gemeinsamen Abenden nicht.

Fasten am Arbeitsplatz
Wenn man am Arbeitsplatz oder unterwegs ist, kann man oft nicht das Fasten im Rahmen der Familie oder in ­einer Moschee brechen.

Eine kurze Pause einzulegen, um das Fasten mit einer Kleinig­keit zu brechen und möglichst auch zu beten, sollte eigentlich kein Problem darstellen. Gegebenenfalls kann man dies mit dem Arbeitgeber abklären. „Ich nehme mir in der Regel Datteln mit und etwas zu trinken. Ich habe an meiner Arbeitsstelle auch problemlos die Möglichkeit, dann das Gebet zu verrichten, und dann geht es mit dem weiter, was ich gerade an Arbeit zu tun habe“, erklärt eine deutsche Muslimin. „Ich habe sogar das Gefühl, dass ich in der Fastenzeit viel mehr leisten kann als sonst, sowohl arbeitsmäßig als auch ­spirituell“, sagt eine andere. Nicht zuletzt ist zu empfehlen, ein gewisses Maß an körperlicher Bewegung nicht zu ­vernachlässigen.

Die Nacht der Macht: besser als tausend Monate
In den letzten zehn Nächten des Ramadan kommt die Nacht der Macht, die Nacht des Schicksals (Lailatu’l-Qadr), von der Allah sagt, sie sei besser als tausend Monate. Es ist die Nacht, in der der Qur’an zum ersten Mal dem Gesandten offenbart wurde und die Engel von den Himmeln herabsteigen. Es ist gute Sitte unter den Muslimen, in dieser Nacht, die Allah in der Sura Ad-Dukhan „die gesegnete Nacht“ nennt, gemein­sam zu beten und Ihn in Bittgebeten zu bitten. Der Gesandte Allahs überlieferte, dass ein Du’a [ein freies Bittgebet], welches in der Lailatu’l-Qadr gesprochen wurde, von Allah angenommen wird.

Neben dem Tarawih-Gebet war es auch Sunna des Gesandten, ‘Itikaf zu machen. In dieser Zeit, normalerweise das letzte Drittel des Ramadans, zog er sich für Dhikr und Qur’an in die Moschee zurück. Von außen wurde ihm Essen für die Nächte gebracht.

Der Ramadan muss ­besiegelt werden
Wie alle Dinge des Islam, so ist auch der Ramadan von einem guten Ende abhängig. Ohne die Bezahlung der Zakat al-Fitr vor dem ‘Id (Feiertags)-Gebet wird das Fasten von Allah nicht angenommen, und das ‘Id-Gebet ist eine starke ­Sunna. Wie beim Anfang, so ist das Ende des Ramadans von der Sichtung des Neumondes anhängig. Sollte der Mond nicht vorher gesichtet werden können, wird der Fastenmonat nach dreißig Tagen ­beendet.

Die Muslime begehen das ‘Id als ein Familienfest, und nehmen sich an diesem Tag möglichst frei. Auch Schulkinder bekommen hierzulande mittlerweile meistens nach Absprache an den ‘Id-Tagen problemlos schulfrei. Zum morgendlichen ‘Id-Gebet sind die Moscheen an beiden großen Festen so voll wie sonst nie, sodass bei vielen der Platz kaum ausreicht. Es ist außerdem empfohlen, ­einen Ghusl (rituelle Ganzkörperwaschung) vorzunehmen und sich zu parfümieren. Dann macht man sich relativ früh zum Festgebet auf, denn die Moschee wird sehr voll sein. Das ‘Id-Gebet findet etwa eine dreiviertel Stunde bis eine Stunde nach dem Sonnenaufgang statt.

Nach dem Gebet trifft man sich dann zu einem festlichen Frühstück, denn das ‘Id Al-Fitr ist der erste Tag nach dem Fastenmonat, an dem man wieder normal essen und trinken kann. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, zum ersten Mal nach vier Wochen wieder tagsüber etwas zu sich zu nehmen. Die Kinder bekommen kleine Geschenke, und auch unter den Älteren hat es sich teilweise verbreitet, sich zu beschenken. Manche Familien machen auch Ausflüge.