Die Macht der Investoren oder was ist Land Grabbing?

Ausgabe 318

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Einer der bleibenden Effekte der Lebensmittelkrise von 2007-08 auf die weltweiten Lebensmittelsysteme ist die anhaltende Übernahme von Ackerflächen in Entwicklungsländer durch andere Staaten, die damit ihre Lebensmittelversorgung gewährleisten wollen. Von Bahar Kamal

(IPS). „Stellen Sie sich vor, das Land, das Ihre Familie seit Generationen bewirtschaftet hat, wird Ihnen plötzlich weggenommen und von wohlhabenden Unternehmen oder Regierungen aufgekauft, um Nahrungsmittel oder Biokraftstoffe zu produzieren oder einfach als profitable Investition für andere, oft weit entfernte Menschen. Sie sehen hilflos zu, wie riesige Landstriche für Monokulturen gerodet und Flüsse mit Abwässern und Chemikalien verschmutzt werden.“ Unglücklicherweise geschieht das in aller Welt – insbesondere in Afrika, Lateinamerika, Asien, Ozeanien und in Osteuropa.

Das ist vielleicht eine der passendsten Einführungen in die global stattfindende Praxis des „Land Grabbing“. Sie kommt von einer international agierenden Graswurzelbewegung, die 1989 gegründet wurde, um das Verschwinden lokaler Nahrungsmittelkulturen und -traditionen zu verhindern. Sie will „dem Anstieg der Schnelllebigkeit“ Widerstand leisten sowie das schwindende Interesse der Leute an ihrer täglichen Nahrung bekämpfen – „wo es herkommt und wie unsere Einkaufsentscheidungen die Welt um uns herum beeinträchtigt“.

Was ist Land Grabbing?

Land Grabbing ist eine Praxis, die aus dem Kauf oder der Pacht großer Flächen fruchtbaren Bodens durch öffentliche oder private Einrichtungen besteht. Dieses Phänomen hat nach der weltweiten Lebensmittelkrise 2007-2008 erheblich zugenommen, beschreibt die Organisation Slow Food.

Heute betrifft sie Millionen Hektar an Flächen. Das ist ein Gebiet in der ungefähren Größe von Spanien und sie breitet sich ungehindert aus. „Die Übertragung großer landwirtschaftlicher Flächen von den lokalen Gemeinschaften bedroht die Ernährungssouveränität und ihre Existenz. Sie gefährdet auch die Umwelt und die biologische Vielfalt, indem sie Monokulturen begünstigt, die auf Düngemittel und Pestizide angewiesen sind.

Mit anderen Worten, Land Grabbing ist die Praxis der umfangreichen Übernahme von Flächen. Hier werden große Teile fruchtbaren Bodens durch private oder staatliche Unternehmen, Regierungen und Einzelpersonen übernommen.

Wer sind die Landräuber?

Diese privaten Unternehmen, darunter so genannte „Geierfonds“, sind Finanz- und Wirtschaftsholdings, die sich dem Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern, Immobilien und Minen zur Gewinnung aller Arten von Rohstoffen verschrieben haben, die für die Großindustrie, vor allem in den reichen Ländern und insbesondere für die riesigen Technologiekonzerne, unverzichtbar sind. Hierzu gehören auch Wälder, die für die Holzindustrie ausgebeutet werden.

Die Praxis der Landnahme, wie sie im 21. Jahrhundert angewandt wird, bezieht sich auf großflächige Übernahmen oder der Anmietung für Zeiträume zwischen 25 bis zu 99 Jahre. Hier bezahlen die Mieter eine bestimmte Geldmenge pro Hektar. Manchmal führen sie einen bestimmten Anteil der auf den fruchtbaren Flächen erzielten Ernteerträge. In den meisten Fällen findet das unter einem legalen Schirm statt.

Die Folgen

Die Konsequenzen solcher Praktiken sind hart. Im Falle der Übernahme von Bauernland führen sie zur Verarmung der Bodenfruchtbarkeit, dem übermäßigen Gebrauch des häufig mangelnden Wassers, der Verschmutzung sowohl von Böden und Wasserquellen mit Chemikalien, dem Schrumpfen lokaler Bauernfamilien sowie zur Enteignung einer großen Hektarzahl. Unter anderem führt dies zu einer gesteigerten Lebensmittelunsicherheit in Entwicklungsländern und damit zu einer höheren Abhängigkeit der Einfuhr von Nahrungsmitteln.

Das International Food Policy Research Institute (IFPRI) schätzte im Jahr 2009, dass seit 2006 zwischen 15 und 20 Millionen Hektar Ackerland in Entwicklungsländern den Besitzer gewechselt haben. Der geschätzte Wert wurde für die Daten des IFPRI aus dem Jahr 2009 auf 15 bis 20 Millionen Hektar Ackerland in Entwicklungsländern im Wert von etwa 20 Milliarden bis 30 Milliarden US-Dollar berechnet.

Mit 11 Prozent der Flächen gehört Brasilien zum größten betroffenen Entwicklungsland. Gefolgt wird der lateinamerikanische Staat von Sudan mit 10 Prozent.

Wer sind die größten Abgreifer?

GRAIN, eine internationale NGO, die Kleinbauern und soziale Bewegungen in ihren Anstrengungen unterstützt, ist der Ansicht, dass die Vereinigten Staaten, die Vereinten Arabischen Emirate und China rund 12 Prozent der globalen Landgrabber sind. Nach ihnen kommen Indien (8 Prozent), Großbritannien (6 Prozent), Südkorea (5 Prozent), sowie Südafrika, Saudi-Arabien, Singapur und Malaysia mit jeweils 4 Prozent.

Die von Wikipedia zitierten Schätzungen zum Umfang des Landerwerbs, die im September 2010 von der Weltbank veröffentlicht wurden, zeigen, dass allein zwischen Oktober 2008 und August 2009 mehr als 460.000 Quadratkilometer oder 46.000.000 Hektar an großflächigen Landkäufen oder Verhandlungen angekündigt wurden, wobei sich zwei Drittel der geforderten Flächen auf Subsahara-Afrika konzentrierten.

Dabei werden auch Quellen angeführt, die darauf hinweisen, dass sich die Investoren generell in drei Typen kategorisieren lassen: Agrarunternehmen, Regierungen und Spekulanten. Regierungen und Firmen aus den Golfstaaten sind hier stark vertreten – zusammen mit ostasiatischen Investoren. Und dass viele europäische und amerikanische Investmentgesellschaften und landwirtschaftliche Erzeuger ebenfalls Investitionen getätigt haben. Diese Akteure wurden durch eine Reihe von Faktoren motiviert, darunter billiges Land, das Potenzial zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion und steigende Preise für Lebensmittel und Biokraftstoffe.

Die durch Lebensmittel angetriebenen Investitionen machen ca. 37 Prozent der weltweiten Flächenübernahmen aus. Hierbei sind zwei Hauptakteure die wichtigsten Kräfte: Agrokonzerne, die ihre Anteile ausweiten und auf Änderungen am Markt reagieren wollen, sowie staatlich gestützte Investitionen. Insbesondere kommen sie aus den Golfstaaten, die sich um die Sicherheit ihrer Versorgung mit Lebensmitteln sorgen.

Die Wahrheit des Land Grabbing

Wenn all das noch nicht ausreichen sollte, findet sich eine weitere Einführung in die menschlichen Folgen der Landnahme. Die amerikanische Zweigstelle der Hilfsorganisation Oxfam beschrieb sie wie folgt: „Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages auf und Ihnen wird gesagt, dass sie gleich aus ihrem Haus geworfen werden. Dass ihnen mitgeteilt wird, dass Sie nicht länger ein Bleiberecht auf dem Land haben, das Sie seit Jahren bewohnten. Und dann, wenn Sie sich weigern, werden Sie gewaltsam geräumt. Für viele Gemeinschaften in Entwicklungsländern ist das eine bekannte Geschichte.“

Laut der Hilfsorganisation Oxfam sei im letzten Jahrzehnt eine Fläche von mehr als 81 Millionen Hektar an ausländische Investoren verkauft worden. Die Transaktionen geschehen ohne die freie, vorherige und informierte Zustimmung der Gemeinschaften. Das führt häufig dazu, dass Bauern aus ihren Häusern vertrieben werden und dass Familien hungrig zurückbleiben.

Ansturm auf die Flächen führt zu Hunger

Oxfam erklärt auch, dass der Anstieg der Lebensmittelpreise 2008 einen Ansturm auf Landgeschäfte ausgelöst hat. „Während diese groß angelegten Landgeschäfte angeblich zum Anbau von Nahrungsmitteln abgeschlossen werden, ernähren die auf dem Land angebauten Pflanzen selten die lokale Bevölkerung. Stattdessen wird das Land für den Anbau profitabler Pflanzen wie Zuckerrohr, Palmöl und Soja genutzt – oft für den Export.“

Mehr als 60 Prozent der Erträge der Flächen, die von ausländischen Investoren in Entwicklungsländern geleast oder gekauft werden, sind für den Export gedacht, anstatt lokale Gemeinschaften zu ernähren. „Schlimmer noch, zwei Drittel dieser Geschäfte ereignen sich in Ländern mit ernsthaften Hungerproblemen.“

Im Anschluss an all diese Ausführungen stellen sich einige Fragen. Wann beabsichtigen die Machthaber der Entwicklungsländer beispielsweise, Gesetze zur Verhinderung von Land Grabbing zu formulieren? Was haben internationale Gesetze zu sagen? Und warum berichten die Mainstream-Medien auf der ganzen Welt nicht über ein so dramatisches Thema? Warum dieser schwere Vorhang des Schweigens?