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Die portugiesische Reise:
Muslime sind sichtbarer Teil der Öffentlichkeit im Westen Europas

Ausgabe 325

Foto: Tharik Hussain

(iz). Mitte der 1990er Jahre widmete der Nobelpreisträger José Saramago ein berühmtes Reisebuch seiner Heimat. Der Schriftsteller hatte monatelang das Land durchreist und berichtet mit ironischen Anekdoten, in diversen Geschichten über den kulturellen Reichtum Portugals. Der erklärte Atheist und Kommunist besuchte auf seiner Reise unzählige Kirchen, deren Architektur ihn immer wieder aufs Neue fasziniert. So entsteht die Schilderung einer Entdeckungsreise, die an das Wunder menschlicher Leistungen und Schaffenskraft erinnert. Obwohl der prominente Autor kein Ressentiment gegenüber anderen Kulturen erkennen lässt, fällt dennoch auf, dass Samarago die islamische Geschichte, das Land wurde ab dem 8. Jahrhundert für lange Zeit von Muslimen beherrscht, nur am Rande erwähnt.

Er besuchte zwar insbesondere an der Algarve, deren Namen sich vom islamischen Wort „Westen“ ableitet, verschiedene von den Mauren gegründete Städte, ohne aber auf die einschlägigen Stadtgeschichten dieser Orte näher einzugehen. Er bewundert die alte Burg in Silves, spaziert durch die arabisch geprägte Altstadt von Loulé oder besucht die Kirche von Mertola, ohne sich aber dort auf die erkennbaren, architektonischen Strukturen der alten Moschee einzulassen. Ähnlich wie dem Dichter ergeht es heute vielen Reisenden, die das Land entdecken. Das islamische Erbe ist verschüttet, nur selten werden diese Hintergründe an den Sehenswürdigkeiten explizit erwähnt und an die Spuren der muslimischen Zivilisation erinnern meist nur Ruinen. Es fehlt an Literatur über die komplizierte Geschichte Andalusiens. Unter diesen Umständen blieb die Kenntnisnahme des islamischen Erbes und der zivilisatorischen Leistungen dieser Epoche lange Zeiten nur Experten vorbehalten.

Seit einigen Jahren versucht die Regierung Portugals verstärkt, diesen unbekannten Teil der eigenen Geschichte zu betonen. An der Algarve sind kleine Museen entstanden, die archäologische Fundstücke aus der maurischen Zeit präsentieren. Manchmal werden in den Räumen viele portugiesische Worte, die aus dem Arabischen stammen, erklärt. Im ganzen Land wird versucht, zumindest an den historischen Sehenswürdigkeiten, dieser Phase der eigenen Historie mehr Inhalt zu geben. Es sind vor allem lokale Gemeinden, die hier aktiv werden.

Vor einigen Wochen hat die Stadtverwaltung in Loulé, einer Stadt im Hinterland von Faro, ihr altes Badehaus liebevoll ruiniert. In den Schaukästen werden qur’anische Verse über die Gebetswaschung zitiert und Tonschalen, die Muslime zur alltäglichen Säuberung benutzten, präsentiert. Viele BesucherInnen wird hier deutlich, dass die islamische Lebenspraxis mit ihren Glaubensriten, mit einer Hochzivilisation einhergeht. Im Hamam, erfährt man zum Beispiel, wurden in dieser Zeit diverse Formen einer Aroma-Therapie praktiziert. Die Orte, die man in der Stadt besucht, ergeben ein bruchstückhaftes Bild. Vergeblich sucht man im örtlichen Museum nach Plänen oder historischen Zeichnungen, die die islamische Infrastruktur dieser Zeit im Ganzen erklären. Zweifellos gibt es hier Nachholbedarf. Die Kulturverwaltung versucht ihre eigene Geschichtsschreibung, um das vergessene Kapitel zu ergänzen, denn, so wird man auf Nachfrage informiert, es ist geplant Bücher, in verschiedenen Sprachen, über das Erbe zu veröffentlichen. Bisher gibt es in Loulé kaum Informationsmaterial, das die arabisch geprägte Altstadt, die Burg, das Minarett, das heute die Kirche ziert, und die Badeanlage einordnet. Gleichzeitig sind viele Reisende, die diese Gegend nicht nur wegen ihrer Strände schätzt, daran interessiert, mehr über diese Zeit zu erfahren.

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Viele Touristen, die Loulé heute besuchen, sind von der Markthalle beeindruckt, die im neo-maurischen Stil zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1908) erbaut wurde. Das Gebäude, heute mit dem Rathaus verbunden, ist nicht nur der Blickfang der Stadt, sondern der Versuch, erfolgreiche ökonomische Praktiken der Vergangenheit wieder zu beleben. An jedem Samstag wird das Markttreiben in der Halle durch Stände in den angrenzenden Straßen ergänzt. Hier gibt es regionale Anbieter, mit nachhaltigen Produkten, Lebensmittel aus biologischem Anbau und vieles mehr. Die Anlage erinnert an den zivilisatorischen Ursprung jeder Stadt. Der Zusammenhang von Moschee, Synagoge oder Kirche und dem – meist in unmittelbarer Umgebung befindlichen – lokalen Markt ist an vielen Orten in Europa zu bestaunen und wesentlicher Aspekt der Stadtentwicklung.

Die Stadtverwaltung von Loulé hat die Markthalle drei Jahre lang aufwändig renoviert und 2007 in neuem Glanz eröffnet. In ihrer Präsentation heißt es über die Bedeutung dieser Anlage: „Der Markt ist der zentrale Treffpunkt für Verkäufer und Käufer jeder städtischen Gemeinschaft und transformiert sich traditionell in ein soziales Zentrum, das die Stadt wahrhaft repräsentiert.“

Der Künstler Salvador Santos beschreibt die zeitlose Wirkung dieses Phänomens, das sich nicht nur um kommerzielle Interessen dreht. Es entsteht eine Kommunikationsplattform, argumentiert er, wo sich Menschen, unabhängig ob sie vom Ort sind oder aus der Fremde und jenseits ihres konfessionellen Hintergrundes, unterstützen, kennenlernen und austauschen. Die teilnehmenden HändlerInnen wiederum sind für ihn die „Botschafter“ der Region. Der Gang durch die Markthalle, die immer mit Leben gefüllt ist, ist für viele Besucher ein einmaliges Einkaufserlebnis. Nur wenige sind sich dabei bewusst, dass es sich hier um ein gemeinsames Erbe aller Religionen und Zivilisationen handelt. Die Zeit bleibt auch an der Algarve nicht stehen. Vor den Toren der Stadt gibt es, wie überall in Europa, zahlreiche Supermärkte und Outlet-Center. Ihre Angebote sind billiger, sie besitzen große Marktmacht, sie bilden Monopole, aber die soziale Rolle des originären Marktes erfüllen sie nicht. Und, so hört man von Kritikern, in den Einkaufszentren vor den Toren der Städte werden nur wenige, überregionale Handelsketten zu den Profiteuren der lokalen Kaufkraft, während die Anlage in den Altstädten Hunderten Anbietern den freien Zugang zum Handel gewährt. Man wird sehen, wie sich die lokale Marktkultur unter den ökonomischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts weiterentwickelt.

Die Stadt Mertola, in der Provinz Alentejo gelegen, wendet sich seit Jahren ihrem islamischen Erbe zu. Die als Mauren bezeichneten Araber und Berber eroberten die Region zwischen 712 und 714. Die örtliche Kirche basiert architektonisch auf einer alten Moschee, das fünfschiffige Gebäude errichteten die neuen Machthaber kurz nach ihrem Eintreffen. Die genaue Lage des Marktplatzes, den Muslime traditionell mit der Gebetsstätte etablierten, ist hier nicht bekannt. 1238 beendete König Sancho II. die 500 Jahre andauernde Herrschaft der Mauren. Die sehenswerte Stadt ist voller Kulturgüter und Spuren aus den verschiedenen Epochen. Aber, der Ort versteht sich nicht nur aus der Vergangenheit.

Seit Jahren organisiert die Stadtverwaltung ein überaus erfolgreiches islamisches Festival. Fester Bestandteil des Programms ist ein großer Markt, zu dem viele HändlerInnen aus dem benachbarten Spanien anreisen. Sie werden von der Stadt unterstützt, indem sie den Ausstellern organisatorische Hilfe und kostenlose Unterkunft anbietet. Muslime sind bei diesem Ereignis engagiert und beteiligt, nicht zuletzt, um die sozialen und ökonomischen Dimensionen des Islam vorzustellen. Ähnlich wie in Loulé bewährt sich das Marktgeschehen, das ein ungezwungener Treffpunkt für Einheimische und Touristen ist. Das Festival gehört längst zu den Symbolen für den Islam in Portugal und ist wichtiger Bestandteil des kulturellen Programms des ganzen Landes. Wahrscheinlich sind derartige Aktivitäten der Grund, warum islamophobe Stimmen in der Gesellschaft wenig Gehör oder Zuspruch finden. Die Veranstaltung wird nicht nur im nationalen Fernsehen erwähnt, sie bietet ebenso die Gelegenheit, Vorträge über den Islam anzuhören. Die Referenten, darunter viele spanische und portugiesische MuslimInnen, erinnern daran, dass sie Teil der europäischen Geschichte waren und sind. Der These, der Islam sei eine fremde Religion, wird so faktisch widersprochen.

Setzt sich das wohlwollende Klima fort, ist es eine Frage der Zeit, bis wieder Moscheen das ganze Land bereichern. Bisher ist es vor allem die Zentralmoschee in Lissabon, die daran erinnert, dass bis heute praktizierende Muslime in Portugal leben. Verschiedene islamische Länder unterstützen den 1985 fertig gestellten Bau in der Hauptstadt. An vielen anderen Orten treffen sich die Gläubigen in weniger passenden Räumlichkeiten zum Gebet. Damit wird es eine Herausforderung bleiben, der eigenen Präsenz eine neue architektonische Ausdrucksform und Formensprache im Land zu verleihen. Die Zukunft der Muslime wird davon abhängen, wieder sichtbarer und aktiver Teil der städtischen Gesellschaft zu werden. Die Leistung der politisch Verantwortlichen, wie zum Beispiel in Mertola, ist es, schon früh das soziale und konstruktive Potential der Muslime für ihre Region erkannt zu haben.

Fest steht, Portugal berühmt wegen seiner Natur, seinen Wasserlandschaften, seinen Sehenswürdigkeiten, seiner Geschichte, ist heute wieder ein Schmelztiegel der Zivilisationen und Kulturen.