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Eine digitale Kolonie der Tech-Milliardäre?

Ausgabe 357

tech-Milliardäre
Foto: The White House | Lizenz: gemeinfrei

Ein Bündnis zwischen Macht und Ökonomie, insbesondere der Tech-Milliardäre, stellt das politische System Europas in Frage.

(iz). „America First“ – mit diesem berühmten Slogan hat der amerikanische Präsident Donald Trump eine Zeitenwende vollzogen, deren Folgen noch nicht vollständig absehbar sind. Die ersten Maßnahmen der Regierung erinnern an die Theorien des deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt: Es ist von Großraum die Rede, der Herrschaft der Politik über das Recht sowie von Freund-Feind Verhältnissen, die in seiner Anwendung den ökonomischen Endkampf zwischen Konkurrenten umschreiben.

Die Tech-Milliardäre haben Carl Schmitt entdeckt

Ergänzt wird diese Weltanschauung von der berühmten Definition Schmitts, Nihilismus sei die Trennung von Ordnung und Ortung. Wer denkt hier nicht an Guantanamo als ein Lager für Illegale und vor allem an die unsichtbare Welt der Datenströme, die die Neuordnung des Techno-Globus bestimmen?

Die Schockwellen der Rhetorik von Seiten der US-Administration sind in Europa noch nicht vollständig verarbeitet. Die Bemerkung Peter Sloterdijks, über den neuen Wind aus den USA, klang zunächst eher amüsant: „Immerhin muss man Donald Trump nicht von vornherein als Krieger sehen, er denkt in den Kategorien eines Geschäftsmannes, und dass Krieg kein gutes Geschäft ist, scheint ihm klar zu sein.“

Ein Sturm der Entrüstung setzte ein, als der US-Präsident erklärte, dass der ukrainische Präsident Zelensky ein Diktator sei und den Krieg Russlands provoziert habe und damit die gesamte wertbasierte Außenpolitik Europas in Frage stellte. Mehr noch: In den letzten Bundestagswahlen mischte sich der US-Vizepräsident Vance aktiv ein und bemängelte den angeblichen Untergang der Meinungsfreiheit in Europa.

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Erleben wir die Geburt einer neuen Ordnung?

Spätestens jetzt wurde den staunenden Europäern klar: Hier geht es nicht nur um eine Neujustierung amerikanischer Politik, sondern um eine völlig neue Ordnung der globalen Machtverhältnisse. An dieser Stelle ist es wichtig, die Rolle des zweiten starken Mannes der US-Regierung zu verstehen: Elon Musk. Vermutlich war selbst die AfD-Kanzlerkandidatin überrascht, dass der „Technokaiser“ plötzlich ihre Wahl propagierte.

Es dürfte sogar den Rechtspopulisten klar sein: Musk ist kein Mann, der innerhalb nationaler Grenzen denkt, sondern ein Geschäftsmann, der die Hochzeit zwischen ökonomischer und politischer Macht im 21. Jahrhundert organisiert. Im Licht der Absichten des auf den Mars fliegenden Technokraten sind die lokalen Ziele der sogenannten Alternative für Deutschland schlicht aus der Welt von gestern.

Foto: Sandra Sanders, Shutterstock

„Seine Unterstützung für extrem rechte Bewegungen zeigt, dass er nur an Macht interessiert ist“, behauptet der Historiker Timothy Snyder nicht ohne Grund. Musk agiert in einem globalisierten, technologischen Kontext, in dem Reichtum und Einfluss in den Händen von Einzelnen konzentriert sind und Staaten an Bedeutung verlieren.

Allein die Absicht der Populisten, die europäische Einheit zu hintertreiben, passt gut in die grenzenlose Strategie der neuen Oligarchen. Politik im alten Stil oder der Streit zwischen liberalen und konservativen Positionen interessiert hier nur am Rande.

Eine inhumane Ideologie

Auch der amerikanische Kolumnist Douglas Rushkoff sieht im strategischen Interesse des Milliardärs an der AfD im Kern nur ein Ausdruck einer menschenfeindlichen, techno-obsessiven Ideologie. Ein „Mindset“, das die Natur und den Menschen als quantifizierbare und extrahierbare Verwertungseinheiten betrachte und die Bürger nach ihrem Nutzen im technokapitalistischen Zeitalter klassifiziere und kategorisiere. Natürlich treibt die Mächtigen nicht nur die Technikbegeisterung. „Sie selbst sehen sich dabei auf der höchsten Stufe der Schöpfung, als hoch über allen anderen schwebenden Übermenschen.“

Die Tatsachen auf der anderen Seite des Atlantiks sind nicht schwer zu erkennen. In Amerika entwickelt sich eine „Technorepublik“, in Form einer Zusammenarbeit zwischen digitalen Konzernen und der politischen Macht.

Es ist kein Zufall, dass der Palantir-Gründer Alexander C. Karp in einem CNBC-Interview anerkennende Worte für Musk fand: „Ich schätze Elon. Er ist zweifellos der bedeutendste Unternehmer unserer Zeit.“ Interessant sind für ihn vor allem die Ziele des Department of Government Efficiency, einer Behörde mit engen Verbindungen zu Musk.

Der rasante Kursanstieg der Palantir-Aktie könnte darauf zurückzuführen sein, dass Anleger auf eine Intensivierung der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und staatlichen Stellen spekulieren.

Die für seine Datenanalysesoftware im Dienste der Überwachung bekannte Firma ist weltweit in Regierungs- und Verteidigungsprojekte eingebunden. Klar ist, dass die wichtigsten Tech-Giganten in der Regentschaft Trumps die Chance erkannt haben, ökonomische und politische Macht endgültig zu verbinden.

Foto: Voyagerix, Adobe Stock

Musks Algorithmen produzieren Hass

Zu den persönlichen Interessen Musks gehört seine Plattform X, die auf ihre Weise eine Community schafft und die Idee von Meinungsfreiheit kommerzialisiert. Schon lange ist ein zentraler Kritikpunkt an Twitter/X ist, dass die Algorithmen der Ingenieure Inhalte bevorzugen, seien sie wahr oder nicht, die starke Reaktionen hervorrufen – oft in Form von Wut, Empörung und anderen extremen Emotionen. Das Modell ist erschreckend simpel: Konflikte, polarisierende Themen und extremistische Meinungen erzeugen mehr Interaktionen (Likes, Retweets, Kommentare), was wiederum dazu führt, dass sie in den Feeds der Nutzer höher gerankt werden.

Diese Verstärkung von konfliktbeladenen Inhalten fördert die Spaltung und trägt dazu bei, dass Konsumenten stärker in ihren eigenen, oft extremen Meinungen bestärkt werden. Machen wir uns nichts vor: Die Emotionalisierung gesellschaftlicher Konflikte hat wenig mit der Verteidigung der Meinungsfreiheit zu tun, sondern ist ein ideales Geschäftsmodell. Die künstliche Intelligenz der Plattform liefert die passenden Bilder, beliebige Fakten und damit einen digitalen Baukasten für „eine Welt, wie sie Dir gefällt“. Es wird Zeit, dass die politische Klasse unabhängig von ihren jeweiligen Überzeugungen diese Folgen des Streites auf unterstem Niveau erkennt.

Zu den historischen Gewissheiten der Europäer gehört, dass die Praxis des grenzenlosen Schürens von unversöhnlichen Freund-Feind Verhältnissen riskant ist. In seinem Buch „Gutes Tun“ versucht der Philosoph Markus Gabriel dem Radau-Ansatz von X seine aufgeklärte Dialektik entgegenzusetzen. „Eine Dialektik ist aufgeklärt, wenn sie das praktische Ziel verfolgt, eine moralische Option zu identifizieren, die einen gegebenen Kampf überwindet. Sie strebt damit Frieden an.“

Das Ziel des ethischen Nachdenkens besteht darin, Krieg und Kampf zu überwinden, indem wir „einen Mittelweg finden, der nicht zwischen den Polen aufgerieben wird“. Es ist kein Zufall und Symbol der trostlosen Lage, dass es hierzulande an sozialen Medien fehlt, die den gesellschaftlichen Frieden über die ökonomischen Interessen der Betreiber stellen. 

Das Problem geht weit tiefer, als es die Debatte um die Meinungsfreiheit vorgaukelt. Europa ist allgemein nicht in der Lage, sein Schicksal als „digitale Kolonie“ Amerikas zu überwinden. Und dieser systemische Mangel stellt im Kern die eigentliche Herausforderung für das freie und geeinte Europa dar.

Während Markus Gabriel hofft, dass ein „ethischer Kapitalismus“, der den moralischen Fortschritt anstrebt, der entfesselten Ökonomie eine konstruktive Richtung geben könnte, sieht der griechische Ökonom Yaris Varoufakis den Kapitalismus der alten Zeit längst in der Auflösung begriffen.

Im Gegensatz zum Reformansatz Gabriels sieht er in der fehlenden Ethik der Geldproduktion die wichtigste Ursache, die erst den Siegeszug der Tech-Milliardäre erlaubte. Mir dieser Analyse steht er nicht allein. „Ermöglicht wurden die Monopolisierungsstrategien der Technikkonzerne dadurch, dass sie dank niedriger Zinsen und einer riesigen Investment-Industrie über schier endloses Kapital verfügten“, erinnert ebenso Ingo Dachwitz in seinem Buch „Digitaler Kolonialismus“ an das Grundphänomen. Ist es naiv, wenn Gabriel schreibt, dass Moral und Kapitalismus miteinander vereinbar sind, und zwar „nicht etwa nur dadurch, dass die Ethik die Wirtschaft irgendwie einhegt, sondern in dem sie diese anspornt, Mehrwert durch das Tun des Guten zu erzeugen“?

Aggression Ukraine Geopolitik

Foto: kirill_makarov, Adobe Stock

Sie wollen neue Feudalherren sein

Man darf zweifeln, ob die Technik-Milliardäre moralische Argumentation sonderlich beeindruckt. Dramatischer formuliert: Erleben wir nicht längst den faktischen Untergang der sozialen Marktwirtschaft und des alten Marktmodells, das Gabriel reformieren will? Dieser Meinung ist zumindest Varoufakis: „Der Kapitalismus stirbt tatsächlich durch seine eigene Hand, ein verdientes Opfer seiner größten Schöpfung; nicht des Proletariats, sondern der Cloudalisten. Und nach und nach werden die beiden großen Säulen des Kapitalismus, Profit und Märkte ersetzt.“

Technofeudalismus nennt der ehemalige Finanzminister Griechenlands das neue System. Es bezeichnet eine potenzielle Entwicklung, in der große Technologieunternehmen nicht nur den Markt dominieren, sondern auch die Gesellschaft und das Leben der Menschen in einer Weise kontrollieren, die an feudale Strukturen erinnert.

Im technofeudalen System sind Plattformen (wie Amazon, Apple, Google) zentrale Akteure. Sie betreiben Marktplätze, auf denen Transaktionen stattfinden, und profitieren enorm von der Datenmonopolisierung. Verbraucher und Arbeiter sind oft in einer Art Abhängigkeit von diesen Anwendungen, ohne eine echte Alternative zu haben. Die Unternehmen, so spitzt Varoufakis zu, spielen die Rolle von „Feudalherren“, die die „Grundbesitzer“ (die Nutzer und Anbieter) auf ihren Portalen regulieren, aber selbst keine echte Konkurrenz zulassen.

Das neue Zauberwort dieser Form des Kapitalismus ist nicht der Profit, sondern die „Rente“, die Milliarden von Nutzern für die Nutzung der Technikplattformen bezahlen. Hier schließt sich der Kreis: Um ihre globale Macht rechtlich abzusichern und alternative Modelle künftig auszuschließen, müssen sie eine Allianz mit der mächtigsten Regierung der Welt eingehen. Das ist der wirkliche „Deal“, der sich in diesen Tagen abzeichnet.

Es passt in dieses Bild und erklärt das neue Desinteresse der Amerikaner an dem Regionalkrieg im Osten Europas, wenn wir den digitalen Kalten Krieg, der sich abzeichnet, erkennen. Es sind alleine die chinesischen Konzerne, die die Allmacht der USA noch ernsthaft gefährden.

Der Technologiekrieg zwischen den beiden Supermächten USA und China wird daher bald das Thema Ukraine ersetzen. Varoufakis beschreibt die Lage mit drastischen Worten: „Es ist ein Titanenkampf über noch unerschlossenes technofeudales Territorium, auf dem sich zwei Systeme zur Extraktion von Cloud-Renten als Herren etablieren wollen.“

Während viele Europäer langfristig und in alter Gewohnheit, von einem Siegeszug der Demokratie, über Kiew, Moskau bis nach Peking träumen, bereitet sich Washington längst auf die finale Auseinandersetzung mit China vor. Man kann nur hoffen, dass dieser Konflikt nicht militärisch ausgetragen wird. Gelingt es der Menschheit, einen dritten Weltkrieg zu verhindern, stellt sich eine alte philosophische Frage neu: Dient die Technik uns, oder wir ihr? Genauer gefasst: Hat die Politik die Macht, sich gegen den Einfluss digitaler Konzerne durchzusetzen?

Die Antwort fällt schwer. Während der Philosoph Gabriel auf die Vision eines ethischen Kapitalismus im Dienste der Demokratie setzt, flüchtete sich der Ökonom Varoufakis in den alten, kommunistischen Traum, die Macht der Konzerne zu zerschlagen. Zweifellos bedienen beide Ansätze den Vorwurf, angesichts der Machtverhältnisse, sie seien utopisch. Für die Religionen besteht die Herausforderung, ihre Idee des moralischen Fortschrittes auf die Felder der Technik und Ökonomie anzuwenden. Dass sie Zweifel an der Allmacht und Allwissenheit digitaler Technologien formulieren, ergibt sich von selbst.s