Vor gut einem Jahr fiel der Startschuss. Nach viel Kritik bildet die größte Islam-Organisation DİTİB erste Imame in Deutschland aus. Wie fällt die Zwischenbilanz aus? Von Yuriko Wahl-Immel
Köln (dpa/iz) . Der Startschuss für die Imame „made im Germany“ des größten deutschen Moscheeverbands DİTİB fand viel Beachtung. Dann wurde es still. Nach gut einem Jahr zieht die Akademieleiterin eine Zwischenbilanz: Es gebe viel Interesse und positive Resonanz aus den Moscheegemeinden, der muslimischen Community und allgemein aus der deutschen Öffentlichkeit, schildert Seyda Can. „Die Teilnehmer haben sehr viele Schritte nach vorne gemacht“, berichtet der Ausbildungsreferent für die Imam-Ausbildung, Eyüp Kalyon.
Nach Vorwürfen gegen die DİTİB, als verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu agieren und nach Forderungen aus Bund und NRW, sich von Ankara zu lösen, hatte der Verband Reformen zugesagt. Der neue Ausbildungsgang begann Anfang 2020 im Eifel-Ort Dahlem – und weckte hohe Erwartungen.
Der Bundesvorsitzende Kazim Türkmen sprach von einem „Neuanfang“, einer „historischen Entwicklung nicht nur für DİTİB, sondern auch für Deutschland“. Innenstaatssekretär Markus Kerber sagte damals, die DİTİB stehe vor einer Weichenstellung: „Will sie eine in Deutschland verortete Religionsgemeinschaft sein oder versteht sie sich als eine Auslandsorganisation der türkischen Religionsbehörde?“
Wie ist nun der Stand? Die teilnehmenden 12 Männer und 14 Frauen aus fast allen Bundesländern sind Kalyon zufolge in Deutschland geboren und sozialisiert, haben ein deutsches Abitur und einen deutschen Pass in der Tasche. Das Islamische Bachelor-Theologiestudium machten die meisten dann in der Türkei. „Leider haben wir pandemiebedingt vieles aus dem Lehrplan nicht umsetzen können“, bedauert Kalyon. Die Umstellung auf Online laufe gut. Der Beziehungsaufbau zur Jugend, zu Senioren, Frauen- und Familienverbänden gelinge auch unter erschwerten Bedingungen.
„Wir bilden islamische Theologen aus, es ist kein Quereinstieg für Sozialarbeiter“, beschreibt Can. „Der Startpunkt unserer Ausbildung ist der Alltag in den Gemeinden in Deutschland. Wir haben die religiösen Bedürfnisse, die religiöse Beratung und Begleitung im Fokus.“ Es gibt fast 900 DİTİB-Moscheegemeinden und rund 1.100 Religionsbeauftragte, darunter sind etwa 110 deutschsprachig, hieß es 2020. Die Religionsbehörde Diyanet in Ankara entsendet und bezahlt die DİTİB-Imame. Von den bundesweit geschätzten 2500 Imamen insgesamt werden 90 Prozent im Ausland ausgebildet.
Wie sieht der Lehrplan aus? „Das ist wirklich ein Deutschland-Programm“, betont Can. „Es ist nicht von der Diyanet zusammengestellt.“ Also ganz in DİTİB-Eigenregie entwickelt. Es gebe nicht „das eine Lehrbuch“, sondern unterschiedliches Material, meist deutschsprachig. Als externe Experten referieren Islamwissenschaftler mehrerer Universitäten. Referentenliste und Ausbildungsordnung werde bald veröffentlicht. Die DİTİB bezahlt die Ausbildung, spreche mit dem Bundesinnenministerium derzeit über eine Unterstützung.
Kalyon unterstreicht: „Ein Imam ist auch mit Menschen in Krisenlagen in Kontakt. Er wird damit konfrontiert, wenn Extremisten in die Moscheen kommen und versuchen, Jugendliche zu ködern.“ Kalyon war selbst Imam an der Essener Zentralmoschee. „In unseren Moschee-Gemeinden sind aber keine Radikalisierungstendenzen zu sehen.“ Und: „Ich habe ein Problem damit, wenn unsere Ausbildung nur als Präventionsprogramm gegen Radikalisierung deklariert würde. Das wird der Sache nicht gerecht.“ Ein Imam sei auch Ansprechpartner bei antimuslimischem Rassismus, ergänzt Can. Die neu ausgebildeten Imame werden wohl ebenfalls von der Diyanet bezahlt. Eine andere Lösung sei derzeit nicht in Sicht.
Für Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ist wichtig: „Muslime sind längst Teil Deutschlands geworden, aber auch deren Imame müssen ein selbstverständlicher Teil Deutschlands werden.“ Sie sollten die Lebenswirklichkeit der Muslime hierzulande kennen und auch für Fragen des Zusammenlebens in einer pluralen Gesellschaft sensibilisiert werden. Ziel müsse ein weltoffener Islam sein, der es ermögliche, „sich sowohl als Muslim als auch als Bürger Deutschlands zu identifizieren, ohne in einen Identitätskonflikt zu geraten und sich für ein Entweder-Oder entscheiden zu müssen.“
Die DİTİB-Ausbildung sei ein Schritt in die richtige Richtung, findet Islamwissenschaftler Jörn Thielmann aus Erlangen. „Inwieweit Diyanet direkt hineinregiert, lässt sich nicht sagen.“ Er gibt zu bedenken, dass es „bei solchen Kursgrößen Jahrzehnte bräuchte, bis sich die Versorgung der DİTİB-Gemeinden gewandelt hat.“ Demnächst sollen deutschsprachige Imame auch am Islamkolleg in Osnabrück ausgebildet werden, Bund und Land Niedersachsen unterstützen das finanziell. Bedauerlich, dass die DİTİB nicht dabei sei, sagt Thielmann. Es passe zur Linie, „sich als eigenständiger, starker und autarker Akteur zu sehen, der nicht mit anderen Organisationen kooperieren muss.“