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Ein reales Bedrohungsszenario

Ausgabe 291

Foto: Burhan Kesici, Facebook

(iz). In den letzten Monaten machte eine Reihe an Bombendrohungen gegen mehrere Moscheen in Deutschland auf die Sicherheitslage muslimischer Einrichtungen aufmerksam. Obwohl Teile der Politik keinen Anlass zur Beunruhigung sehen, betrachten Gemeinden und Ver­antwortliche die Lage anders. Sie verweisen nicht nur auf einen erhitzten Islamdiskurs, sondern auch auf neu entdeckte rechte Netzwerke sowie die Statistik zur Übergriffigkeit gegen muslimische Einrichtungen. Hierzu sprachen wir mit Burhan Kesici. Der Berliner ist amtierender Vorsitzender des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland, einem Dachverband verschiedener Moscheeorganisationen.

Islamische Zeitung: Lieber Burhan Kesici, vor Beginn der Sommerpause gab es einige aufsehenerregende Fälle von Drohbriefen gegen Moscheen in Deutschland wie die große Moschee in Ehrenfeld. Können Sie uns kurz umreißen, wie Sie die momentane ­Si­cherheitslage von muslimischen ­Einrichtungen in der Bundesrepublik einschätzen?

Burhan Kesici: Als die Nachrichten kamen, befand ich mich in der Türkei. Es war sehr bemerkenswert, dass tagtäglich solche Drohungen eintrafen. Allein waren es im Juni Juli insgesamt 18 Drohungen gegenüber Moscheegemeinden – bis hin zu Vandalismus. Ich hatte schon das Gefühl, dass da eine Bedrohung stattfindet. Wir haben auch gemerkt, dass die Leute anrufen und ­fragen, wie man damit umzugehen hat. So war ich gestern in einer Moschee und wurde von einem Mitglied diesbezüglich angesprochen. Es wird relativ oft registriert, dass die Menschen vor der ­Moschee, anfangen zu schreien und sich rassistisch äußern. Ich glaube, dass die Bedrohungslage und vor allem auch das Gefühl der Unsicherheit sehr intensiv geworden sind.

Islamische Zeitung: Hat es denn in diesem Jahr über Drohbriefe hinaus handfestere Übergriffe, handfesteren Vandalismus in der Bundesrepublik gegeben?

Burhan Kesici: Wir haben relativ viele Moscheen, in denen eingebrochen worden ist; in denen das Inventar zerbrochen worden ist – bis hin dazu, dass Schändungen des Qur’an stattgefunden haben. Diese gab es auch.

Islamische Zeitung: Gibt es – aus Ihrer Funktion heraus als Interessenvertretung von muslimischen Dachverbänden – Hinweise auf die Herkunft der Täter? Aus welchem  ideo­logischen Spektrum kommen diese? Lässt sich deren Hintergrund auf das Schlagwort „rechts“ reduzieren oder gab es auch andere Elemente?

Burhan Kesici: 2018 zum Beispiel hatten wir auch ideologische Übergriffe von Menschen, die aus politischen ­Anlässen der Außenpolitik Moscheen angegriffen haben. Für dieses Jahr gehen wir davon aus, dass sie vom rechten Lager kommen; insbesondere, weil die Atmosphäre in Deutschland beim Thema Islam und Muslime sehr angeheizt ist. Wir sehen auch, dass rechte Gruppen im Internet Hetze gegenüber Moscheegemeinden betreiben und dement­sprechend dann Bilder auftauchen. Ich glaube schon, dass das von rechts kommt.

Islamische Zeitung: Parallel dazu hat es Enthüllungen verschiedener Zeitungen zur Existenz tiefergehender rechter Netzwerke wie Nordkreuz, Hannibal und Combat 18 gegeben. Sehen sie in solchen rechts­terroristischen Vereinigung Zusammenschlüssen eine neue, gesteigerte Bedrohung für muslimische Einrichtungen in Deutschland?

Burhan Kesici: Ich gehe davon aus, dass das die Spitze des Eisberges ist. Insbesondere, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass das rechte Spektrum lange Zeit nicht unbedingt im Brennpunkt des Verfassungsschutzes stand. Und dementsprechend fehlen uns relativ viele Daten darüber. Erst jetzt bekommt man diese Information. Und ich glaube, dass die Gewalt und vor allem auch das Gewaltpotenzial im rechten Spektrum weitaus größer ist. Was mich besonders schockiert hat, ­waren die detaillierten Informationen, inwiefern sich rechte Gruppen auf den Tag X vorbereiten; und wie sie auch konkret politische Gegner registrieren und verfolgen bis hin zur Gewaltanwendung. Ich glaube, dass wir in Zukunft, wenn der Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden in Deutschland nicht schnell reagieren, Verhältnisse bekommen, die wir uns nicht wünschen.

Islamische Zeitung: Haben Sie Erkenntnisse – vielleicht auch in der Kooperation mit den Sicherheitsbehörden und verschiedenen Staatsorganen –, ob konkret muslimische Einrichtungen Einzelpersonen auf diesen ominösen „Todes­listen“ stehen?

Burhan Kesici: Leider nicht. Also, die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden lässt zu wünschen übrig. Gerade, wenn tatsächlich Bedrohungspotenzial besteht, wälzen die Behörden die Zuständigkeit immer wieder auf andere ab. In Berlin gab es den konkreten Fall einer Moschee, die bedroht wurde, und in der Munition gefunden wurde. Als ich dann mehrere Institutionen anschrieb, habe ich gemerkt, dass es relativ schwer ist, einen Ansprechpartner zu finden. Zum Glück gab es eine Kontaktperson bei der Polizei, die dann intern unsere Situation dargelegt hat, sodass wir dann Polizeischutz für die Gemeinde bekommen haben. Aber es ist schon frustrierend, dass man kaum Informationen bekommt und somit auch keinen Gesprächs­partner findet. Auch in diesen Tagen werden wir versuchen, noch einmal mit den ­Sicherheitsbehörden zu reden. Immer mehr Muslime sprechen uns darauf an und fragen, was sie machen sollen – auch bezüglich der normalen sowie der Freitagsgebete.

Und das ist schon ein Bedrohungs­szenario, was da existiert. Es geht soweit, dass man tatsächlich Angst bekommt. Wir hatten ja gerade das Opferfest. Und es war schon ein mulmiges Gefühl, wenn man bedenkt dass es einige Tage vorher Bombendrohungen gegen Moscheen gab. Man ist dann schon viel vorsichtiger und schaut genauer, wer an einer Moschee vorbeiläuft.

Islamische Zeitung: Jetzt ist das offenkundig und traurigerweise Fakt, dass es diese Drohungen und auch schlimmstenfalls solche Taten gibt. Gibt es bei den verschiedenen muslimischen Organisationen mittlerweile die nötige Fachkompetenz, sodass sich die einzelnen Moscheegemeinden an sie wenden können, um eine gute Beratung zu bekommen?

Burhan Kesici: Die Grundlagen sind schon da. Das heißt, man informiert. Man hat auch einige Erfahrung, aber es ist nicht so, dass man professionell in der Hinsicht beraten kann. Zum einen liegt das an der Struktur; zum anderen aber auch daran, dass es sich hier um konkrete Fälle handelt. Das heißt, man müsste ein Konzept erarbeiten, zu dem dann sowohl die Gemeinde als auch ­Sicherheitsinstitutionen sich zusammen hinsetzen und schauen, was man machen kann; insbesondere, weil auch das Potenzial der Gewalt unterschiedlich sein kann. Und das sind ja verschiedene Aspekte. Ich habe zum Beispiel mitbekommen, dass viele Gemeinden jetzt Kameras installieren. Die Frage ist, ob das ausreicht und ob man nicht darüber nachdenken sollte, vielleicht zu bestimmten Zeiten Sicherheitspersonal einzustellen, das dann für bestimmte Anlässe vor Ort ist.

Islamische Zeitung: Wie wichtig ist in dem Zusammenhang das weitere und engere Umfeld der Moscheen? Eine Moschee ist ja in den seltensten Fällen in einem Gebäude auf dem leeren Feld steht, sondern befindet sich in einer Nachbarschaft. Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Gemeinden trotzdem eine Politik der offenen Tür betreiben und auf die Nachbarn zugehen?

Burhan Kesici: Es gibt da schon Kooperationen und Kontakte. Ich habe letztens gehört, dass beispielsweise in der Nähe von Hamburg, sich einige Moto­rradfahrer auf ihren Harley Davidsons in den Hof einer Moschee begeben ­haben. Und dann haben die Nachbarn die Polizei alarmiert, weil sie befürch­teten, dass sich etwas ereignen könnte. Was sie nicht wussten: Das waren Gemeindemitglieder. Das ist ein positives Beispiel dafür, wie man erkennen kann, dass die Nachbarn ebenfalls ein Auge drauf haben.

Das Problem bei uns ist ja, dass wir sehr unterschiedliche Moscheen haben. Wie gesagt haben wir sehr unterschiedliche Moscheen. Das heißt, man kann kein Konzept für alle Moscheen erstellen, sondern muss individuell schauen, was man machen kann. Ein Beispiel ist die Mevlana Moschee (in Berlin), in der sich vor einigen Jahren ein Brandanschlag ereignete (der erste große Brandanschlag auf eine Moschee in Deutschland). Da bestand das Problem, dass die Moschee mitten in der Stadt liegt. Das heißt, hier laufen täglich ­Tausende von Menschen vorbei. Wir ­haben dort einen Hinterhof,  Seitenge­bäude und ähnliche Strukturen. Dort ein Sicherheitskonzepts zu erstellen, ist relativ schwer. Und da muss man halt schauen, ob man das nicht mit den Nachbarn zusammen macht, die dann auch verhindern, dass Leute auf den Hof kommen können. Hier haben wir Aufgaben, die wir in der Zukunft noch in Angriff nehmen müssen.

Islamische Zeitung: Sehen Sie das Thema ausreichend in der öffentlichen und politischen Debatte reflektiert? Auch wenn man es mit anderen Formen von ­Extremismus und Übergriffigkeit ­vergleicht.

Burhan Kesici: Nein, leider nicht. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann gab es in diesem Jahr 48 Übergriffe oder Drohungen gegenüber Moscheegemeinden. Ich habe mal geschaut, was wir in den letzten fünf Jahren gehabt haben: Es stellt sich heraus, dass ungefähr ein Fünftel aller Moscheen in Deutschland schon Opfer von Gewalt beziehungsweise Drohungen geworden ist. Das ist eine Riesenzahl Wir sehen aber auch, dass die Politik sie verharmlost.

Wenn dann ein Bundesinnenminister sagt, die Sicherheitslage sei nicht besonders gefährlich und Muslime könnten ganz getrost in die Moschee, dann spiegelt das nicht das Empfinden der Muslime wider. Sie leben tagtäglich mit der Angst, das etwas passiert. Was mich auch besonders gewundert hat, war, dass das Opferfest in diesem Jahr viel geringer besucht war. Wir müssen analysieren, ob das an der Urlaubssaison lag oder an der Entscheidung der Leute, nicht hinzugehen. In sehr vielen Bundesländern fängt jetzt die Saison für den Qur’an(unterricht) wieder an. Wir wissen nicht, wie die Anmeldezahlen aussehen werden und ob Eltern ihre Kinder aus Furcht nicht schicken werden.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Kesici, wir bedanken uns bei Ihnen für das Gespräch.