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Eine doppelte Krise?

Ausgabe 257

Foto: IZ Medien

(iz). Wenn man den Zustand der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland beschreiben will, so muss man aktuell wohl von einer doppelten Krise sprechen: Nämlich einmal in Bezug auf den internen Zustand des gemeindlich organisierten Islam und andererseits hinsichtlich des Verhältnisses zu Staat und Politik.
Für eine Seite steht sinnbildlich der klinisch tote Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM), für die andere die Nichtunterzeichnung des Staatsvertrages durch die niedersächsische Landesregierung beziehungsweise die Nichtaufnahme von Staatsvertragsverhandlungen in Rheinland-Pfalz. Das Schlimme daran: Niemand scheint auch nur den Anflug einer Idee zu haben, wie hier wieder konstruktiv etwas zusammengefügt werden soll, und unter der derzeitigen politischen Lage der von einer Welle des Islamhasses in die Parlamente gespülten rechtspopulistischen Bewegung droht eine weitere Entfremdung von Teilen der muslimischen Gemeinschaft von der deutschen Gesellschaft.
Die beiden Krisen hängen eng mit­einander zusammen, weil die muslimischen Verbände mit ihren beiden zentralen Anliegen, nämlich Einheit her­zustellen und Anerkennung zu erreichen, zu keinem wirklich substantiellen Erfolg gekommen sind. Einheit meint dabei mehr als eine irgendwie gemeinsame Struktur der Verbände, sondern überhaupt die Schaffung von Strukturen, die sich nicht mehr auf die Herkunftsländer beziehen, sondern den rechtlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland entsprechen. Anerkennung meint nicht Schulterklopfen, sondern meint die institutionelle Integration des Islam als unabdingbare Voraussetzung dafür, als legitimer Akteur im System eigenständig politisch handeln zu können und nicht nur Spielball der Verhältnisse zu sein. Wenn bezüglich beider Ziele wenig erreicht wurde, hat das auch mit einem weiteren Faktor zu tun: der fehlenden gesellschaftspolitischen Verankerung der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland.
Der Versuch einer Einheit ist eng ­verbunden mit „Seevetal“, jenem Ort südlich von Hamburg, an dem sich im Februar 2005 alle islamischen Verbände mit Ausnahme von DITIB zu einer Konferenz trafen. Ziel war eine gemeinsame Organisationsstruktur auf Bundes- und Landesebene. In dem nun folgenden „Seevetaler Einheitsprozess“ wurden 2005/06 auf mehreren Folgekonferenzen die Grundlagen zur Gründung von gemeinsamen Religionsgemeinschaften auf Landesebene erarbeitet, worauf nachfolgend eine gemeinsame Bundesstruktur aufbauen sollte. Das Ganze entwickelte sich zunächst sehr dynamisch und rückblickend betrachtet war dies ein Jahr produktiver Diskussionen der Verbände, wie es sich seitdem nicht wiederholt hat. Nach dem Modell der in Hamburg und Niedersachsen schon bestehenden Schuras wurden weitere solcher Landesverbände in Schleswig-Holstein, Bremen und später Rheinland-Pfalz gegründet. Nicht beteiligt jedoch war von Anfang an DITIB, weil DITIB nicht bereit war, in irgendeiner Weise die eigenen Strukturen zur Disposition zu stellen. Die Frage der Einbeziehung von DITIB führte schließlich zum Bruch, wobei auch der Eindruck blieb, dass der Prozess auch Verantwortlichen in anderen Verbänden unheimlich geworden zu sein schien, wonach hier sich eine neue Struktur zu entwickeln begann, die die eigene Organisation zu „unterminieren“ drohte.
Mit dem Rückzug des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) endete der „Einheitsprozess“ im Sommer 2006. Der kurz darauf gegründete KRM wollte laut eigenem Anspruch nun mit DITIB auch die Einheit verwirklichen, nur auf einem anderen Weg. Dieser Weg führte aber in Bezug auf diese Zielsetzung von vornherein genau in die Sackgasse, in welcher der KRM sich jetzt befindet, da tatsächlich nie ein wirklicher Wille vorhanden war, die Strukturen des KRM beziehungsweise der beteiligten Verbände hin zu einer realen Religionsgemeinschaft umzuformen.
Was von „Seevetal“ blieb, waren die vorgenannten Schura-Landesverbände, die, ergänzt um die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH), die IGBW (Baden-Württemberg) und die sich nun über die IGMG hinaus öffnende Islamische Föderation Berlin, seit 2009 in der Konferenz Islamischer Landesverbände (KILV) zusammen arbeiteten. Einige dieser Landesverbände konnten ihre Strukturen ausbauen und entwickeln und vor allem politische Prozesse anschieben, die in Hamburg und Bremen 2013 zum Abschluss von Staatsverträgen führten (zusammen mit den dortigen Landesverbänden von DITIB und VIKZ).
Die Staatsverträge eröffneten ein Fenster hin zur Anerkennung, da nun als Religionsgemeinschaften institutionelle Rechtspositionen bestanden wie auch gesellschaftliche Akzeptanz. Dies konnte auch ein Anreiz zur Einheit durch Bildung von weiteren Landesverbänden sein, die die rechtlichen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft erfüllen. Tatsächlich wurden auch in Niedersachsen Vertragsverhandlungen aufgenommen, die über einige Konflikte und Umwege im Frühsommer zu einem unterschriftsreifen Staatsvertragsentwurf führten. In Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz gab es ein Vorstadium von Verhandlungen, die in Mainz im September konkret beginnen sollten.
All das wurde von den jeweiligen Landesregierungen nun umstandslos abgebrochen wie auch diverse Kooperationsprojekte mit DITIB in NRW oder dem DIV in Hessen. Es macht den Eindruck, als meide der Staat nun jegliche offizielle Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden und wolle diese ins gesellschaftliche Abseits stellen. Die Vorgänge in Niedersachsen sind symptomatisch: Der Entwurf eines Staatsvertrages mit Schura und DITIB liegt im Frühjahr vor, der aufgrund von Kritik der CDU nachgearbeitet wird, woraufhin diese im Sommer ihre Ablehnung mit neuen Einwänden – Lage in der Türkei – begründet und die rotgrüne Landesregierung nun das ganze Projekt zurückzieht – wegen angeblich mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz wie Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) unumwunden im „taz“-Interview (04.09.2016) einräumt.
Woran aber bemisst sich hier fehlende gesellschaftliche Akzeptanz? Ist es der atmosphärische Druck der Rechtspopulisten, die in ihrer antiislamischen Demagogie immer schriller werden aber damit sehr weit in die Mitte der Gesellschaft reichen? Kann also das rechtspopulistische Lager beim Thema Islam die demokratischen Parteien vor sich hertreiben, ohne dass diese hier bedeutend Widerständigkeit zeigen? Es ist ja nicht nur der Umgang mit den Verbänden, andere Debatten (Burkaverbot) zeigen eine gleiche Tendenz. Auch wenn in der Sache völlig sinnfrei, soll dem nach Maßnahmen zur Eindämmung des Islam verlangenden Bürger etwas geboten werden, damit dieser nicht AfD wählt (was dieser dann aber trotzdem tut). Dies zeigt eine beunruhigende Dynamik und man muss nach den Gründen fragen.
Hier kommt man an einer selbstkritischen Betrachtung nicht vorbei. Wenn kritisch angemerkt wird, der organisierte Islam könne nur immer wieder auf von außen gemachte Vorgaben zeitversetzt reagieren ohne selbst interventionsfähig zu sein, so ist dies erstens weitgehend richtig und zweitens Folge einer mangelnden gesellschaftspolitischen Verankerung der Gemeinden und Verbände in Deutschland. Nach dem 11. September 2001 mussten sich die Verbände der deutschen Gesellschaft zuwenden. Man schuf nun die Position des „Dialogbeauftragten“ und lagerte damit die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung quasi aus, um ansonsten am besten nichts zu verändern.
Von den Schura-Landesverbänden ­abgesehen klebt man weiter in den ethnisch-nationalen Verbänden mit ihrer an der Verbindung zu den Herkunftsländern ausgerichteten Struktur aus der Gastarbeiterzeit. Und in ähnlicher Weise ist der politische Blick auf die Herkunftsländer ausgerichtet und nicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse Deutschlands.
Es ist schlicht eine Tatsache, dass die Wahlbeteiligung muslimischer Deutscher bei Bundestags- oder Landtagswahlen denkbar gering ist. Nicht selten sind Viertel mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil gleichzeitig AfD-Hochburgen. Versuche einzelner Verbände, vor Wahlen Aufmerksamkeit zu schaffen, wirken wenig konsequent und bleiben ohne spürbare Folgen. Auch sonst wirken politische Entwicklungen in Deutschland, auch wenn sie die Muslime unmittelbar betreffen, kaum mobilisierend, während Ereignisse in Herkunftsländern wie jetzt in der Türkei 40.000 für Erdogan nach Köln bringen (und einen ­Monat später 30.000 für Öcalan am selben Ort). Zynische Stimmen haben angemerkt, dass wohl noch mehr Moscheen brennen müssten, damit überhaupt 4.000 Muslime deswegen in Köln demonstrieren.
Man dürfte sich wohl darüber einig sein, dass AfD und Pegida nicht nur die gesellschaftliche Existenz von Muslimen in Deutschland bedrohen, sondern überhaupt die Gesellschaft als demokratische und pluralistische. Können die Muslime und ihre Verbände aber glaubwürdig vermitteln, dass sie die demokratischen und pluralistischen Werte und Rechte insgesamt und als solche verteidigen und nicht nur ihre Religionsfreiheit wie ein Banner vor sich hertragen? Es kann nicht negiert werden, dass gerade bei dieser Frage nicht wenige aus durchaus nachvollziehbaren Gründen nicht überzeugt sind und dies gegenwärtig ein Problem darstellt.
Wir müssen realisieren, in welcher Art von Krise wir uns befinden. Wir müssen realisieren, dass wir gerade dabei sind, auf eine Situation zurückzufallen, eine von gegenseitigem Misstrauen geprägte Situation des absoluten Nichtverhältnisses zwischen Staat und islamischen Verbänden; dies aber unter geänderten politischen Verhältnissen (damals gab es noch keine Partei, die mit Islamfeindlichkeit zweistellige Ergebnisse einfährt). Und wir müssen realisieren, welchen Anteil wir daran haben, dass es so gekommen ist und wie wir Handlungsfähigkeit gewinnen. Wir brauchen zu den hier angeschnittenen Fragen eine offene Debatte unter den muslimischen Akteuren wie auch mit Vertretern von Politik und Gesellschaft. Dies müssen nun ausnahmsweise auch mal die Muslime in Gang setzen und nicht warten, bis sie irgendwo ein- oder vorgeladen werden.