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Europäisches Kopftuchurteil: Neutralität um jeden Preis

Foto: Metropolico.org | Lizenz: CC BY-SA 2.0

(iz). In seinem jüngsten Urteil vom 14. März 2017 hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen eines Kopftuchs während der Arbeitszeit verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung darstellt.
Dabei hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem Tragen des Kopftuches als freie Religionsausübung und der Möglichkeit zum Erlass solcher Regelungen des Arbeitgebers für seine ArbeitnehmerInnen als unternehmerische Freiheit vorgenommen.
Ungeachtet der Tatsache, dass dieses Urteil juristisch in sich stimmig und dogmatisch nicht zu beanstanden ist, gilt es, den Sinn und die Folgen dieser Entscheidung näher zu durchleuchten.
Ein Arbeitgeber, der eine politisch, philosophisch und religiös neutrale Arbeitskleidung für seine ArbeitnehmerInnen vorschreibt, tut dies meist, um keine negativen Gefühle beim Kunden aufkommen zu lassen. Um der geringen Gefahr vorzubeugen, dass sich ein Kunde über ein Kopftuch einer muslimischen Arbeitnehmerin beschweren könnte, bevorzugt der Arbeitgeber, dass die muslimische Arbeitnehmerin sich im Wege des sogenannten Neutralitätsgebots optisch anzupassen hat und auf das Tragen ihres Kopftuches verzichten soll. Aus einer abstrakten Möglichkeit der Negativität eines Kunden wird demnach eine konkrete Negativität zulasten der muslimischen Arbeitnehmerin erzeugt. Denn während es lediglich möglich ist, dass sich ein Kunde an der religiösen Bekleidung stören könnte, ist es bereits in der Realität der Fall, dass die muslimische Arbeitnehmerin einen Nachteil erfährt und vor die schwierige Wahl zwischen ihrer bevorzugten Kleidung und ihrer Berufsausübung gestellt wird. Wirklich gerecht erscheint dies nicht.
Zudem wird ständig parteiübergreifend propagiert, dass Integration über den Arbeitsmarkt geschehe. Ungeachtet der Frage, was Integration überhaupt bedeutet, geschieht durch solche Regelungen jedenfalls das genaue Gegenteil: Muslimische Frauen entscheiden sich selbstbewusst für das Tragen ihres Kopftuches und gegen den Arbeitsplatz. Sie werden vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und so an den Rand der Gesellschaft gedrängt.
Dennoch gilt es nun umso mehr, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Vielmehr ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der insbesondere Muslime die Verantwortung haben, der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft wieder und wieder zu erklären, dass das Kopftuch kein Symbol der Unterdrückung ist, sondern zur freien Persönlichkeitsentfaltung und zur freien Religionsausübung einer muslimischen Frau gehört.
Nur wenn das Kopftuch in der Gesellschaft nicht mehr als Symbol der Negativität aufgefasst wird, wird eine positive Veränderung dahingehend stattfinden, dass solche Regelung zur wie auch immer definierten Neutralität erst gar nicht aufgestellt werden und solche Urteile künftig nicht mehr notwendig sein werden, weil Frauen auch am Arbeitsplatz akzeptiert werden, wie sie sind.