Experten raten zur Zusammenarbeit mit Taliban und Nothilfe

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London (KNA). In Afghanistan sollte der Westen aus Sicht von Experten die humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung verstärken und dafür mit den Taliban zusammenarbeiten. Die Versorgungskrise in dem Land überlagere derzeit alle anderen Probleme und könnte der Terrorgruppe „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (IS-K), den noch extremistischeren Gegnern der Taliban, in die Hände spielen, warnte Hassan Abbas, Professor an der National Defense University in Washington D.C. (Montag) bei einer Online-Diskussion. Die Taliban hätten daher großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit der EU und seien anders als der IS-K keine terroristische Gefahr für den Westen.

Ähnlich äußerte sich Asfandyar Mir, Senior Expert am United States Institute of Peace in der US-Hauptstadt. Der Westen dürfe humanitäre Hilfe aber nicht als Instrument der Einflussnahme in Afghanistan einsetzen, so Mir bei der Veranstaltung, zu der das von der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) initiierte Institute for Freedom of Faith and Security in Europe (IFFSE) mit Sitz in London eingeladen hatte. Aktive Hilfeleistung für die Menschen in Afghanistan müsse im Mittelpunkt stehen und sei der beste Rat für den Westen, meinte auch Tore Hamming, politischer Berater von Refslund Analytics aus Kopenhagen.

Mit Blick auf die politischen Kräfteverhältnisse in Afghanistan drei Monate nach dem Abzug der westlichen Truppen betonten die Experten eine wachsende Rivalität zwischen den Taliban und der mit diesen verbündeten Terrororganisation Al-Qaida einerseits sowie den islamistischen Terroristen des IS-K auf andererseits. Während Taliban und Al-Qaida vor allem den westlichen Einfluss in Afghanistan bzw. im Nahen und Mittleren Osten bekämpften, stünden der IS und sein afghanischer Ableger IS-K für einen globalen Dschihad. Insofern gehe von ihm größere Bedrohung für den Westen aus. Er rechne daher damit, so Mir, dass Afghanistan binnen ein oder zwei Jahren wieder zu einem Anlaufhafen für internationalen islamistischen Terrorismus werde.

Allerdings warnte Katherine Zimmerman, Fellow am American Enterprise Institute in Washington, auch vor der dominanten Rolle des sogenannten Haqqani-Netzwerks in der Taliban-Bewegung. Auch dort gebe es Bestrebungen für einen weltweiten „heiligen Krieg“ zur Ausbreitung des Islam. Für diese Kräfte sei der Sieg über die westlichen Mächte in Afghanistan nur ein „Etappenschritt“.

Experte Hassan Abbas verwies auf die sehr unterschiedliche Zusammensetzung der Taliban. Diese hätten sich seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verändert. Neben alten Kämpfern seien rund zwei Drittel ihrer Mitglieder erst danach geboren. Zudem gebe es schlicht auch Drogenhändler, die aber wie Taliban aussähen und diesen zugerechnet würden. Insgesamt gebe es „fünf oder sechs Arten von Taliban“, so der Wissenschaftler.