Groß-Imam zu Gast

Ausgabe 250

Foto: Deutscher Bundestag | Achim Melde

(iz). Gerade besuchte Scheich Ahmad Mohammad al-Tayeb Deutschland auf Einladung des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) in Münster. Der „Groß-Imam“ sprach am 15. März vorm Bundestag und wollte unter anderem am 16. März in Münster „eine globale Friedensbotschaft verkünden“.
Es sei dahingestellt, ob Al-Azhar überhaupt noch zentrale Lehrautorität für Muslime in aller Welt sein kann. Diese schlichte Sichtweise übersieht die Verwerfungen der letzten hundert Jahre sowie die Neigung der Machthaber, diese altehrwürdige Institution in den Dienst ihrer Macht zu stellen. Auch ohne jegliche Sympathien für die – gescheiterte – politische Ideologie der Muslimbruderschaft darf bezweifelt werden, dass sich die derzeitigen Al-Azhar-Gelehrten am Vorbild früherer Gelehrter orientieren – oder es überhaupt können.
Al-Tayeb wollte „persönlich eine Friedensbotschaft überbringen“ sowie um Gerechtigkeit für den Islam bitten. Denn dieser sei eine „Religion der Toleranz und der Barmherzigkeit“. Zurecht wandte er sich an die Muslime Deutschlands, die „ein integraler Bestandteil dieser Gesellschaft“ geworden seien, den ethischen Werten Deutschlands Rechnung zu tragen.
Bemerkenswert war, wie still und passiv der Besuch aufgenommen wurde. Und wie affirmativ er – in Massenmedien und im muslimischen online-Journalismus – reflektiert wurde. Wo blieb bei dieser Oberflächlichkeit der gewohnt kritische Qualitätsjournalismus deutscher Medien?
Vorrangige Frage hätte doch wohl sein sollen, wie ein „Groß-Imam“ als oberste Autorität einer angeblich „sunnitischen“ Lehranstalt sich zu einer Diktatur positioniert – samt ihres Ausnahmerechts. Ist es nicht auch ­„politischer Islam“, wenn zu offenkundiger Repression geschwiegen wird? Wenn die ­Dominanz der ökonomischen Verhältnisse durch die Oligarchen Ägyptens nicht thematisiert werden? Niemand wird von einem Gelehrten verlangen können, dass er sein Leben riskiert. Aber musste er dergleichen ­legitimieren und in „Friedensbotschaften“ hüllen?
Zum Standardrepertoire der an Muslime gestellten Forderungen gehört die oft wiederholte Forderung nach einer „Trennung von Staat und Kirche“. Auch hier muss gefragt werden, wo dieser Topos blieb, wenn es um den Gast vom Nil ging.
Auch die Vertreter unserer muslimischen Gemeinschaften, „Theologen“ und der muslimische online-Journalismus müssen sich Fragen gefallen lassen. Wie sieht es mit muslimischen Repräsentanten aus, die dabei waren; haben sie ihre Stimme erhoben, sich geäußert?
Und – wie verhält sich die Barmherzigkeit-Theologie zum vorliegenden Paradox? Was wollte sie uns mit der Einladung an Al-Tayeb sagen? Darf „Reform“, wenn nötig, auch schon mal gewaltsam sein, wenn sich ihre Empfänger als unwillig erweisen? Wo bleibt die Barmherzigkeit in Ägypten, wo tausende Oppositionelle – auch „liberale“ und „säkulare“ – getötet, gefoltert und inhaftiert wurden und werden?