Seit Tagen herrschen chaotische Zustände in Großbritannien. Auch dank Falschmeldungen werden Angehörige von Minderheiten angegriffen. Der Muslimrat spricht von einer „Woche des Chaos“.
London (dpa, iz). Mit antimuslimischen Krawallen haben Ultranationalisten in mehreren britischen Städten schwere Schäden angerichtet und Polizisten verletzt. Landesweit wurden nach Polizeiangaben mehr als 90 Menschen festgenommen. Die Behörden rüsten sich für weitere Ausschreitungen.
Innenministerin Yvette Cooper sagte, Gesetzesbrecher würden einen hohen Preis zahlen. „Gewalttätigkeit hat keinen Platz auf unseren Straßen“, sagte sie. Ihr konservativer Vorgänger James Cleverly forderte ein härteres Durchgreifen. Die Labour-Regierung müsse mehr tun, um die Gewalt der „Schläger“ zu stoppen, forderte Cleverly, der Nachfolger von Rishi Sunak als Chef der Konservativen Partei werden will.
Foto: Muslim Council of Britain
Muslimrat sieht Großbritannien zwischen „Hoffnung“ und „Chaos“
Angesichts der erkennbaren antimuslimischen Gewaltwelle in mehreren britischen Kommunen sprach die Generalsekretärin des britischen Muslimrats (MCB), Zara Mohammed, von „Hoffnung“ und „Chaos“.
Hoffnung sehe sie in der Solidarität und Anteilnahme in Kommunen wie Southport. „In der letzten Woche haben wir zwei verschiedene Arten von Großbritannien erlebt. Das erste ist ein etabliertes, multikulturelles und barmherziges Großbritannien, das von Hoffnung angetrieben wird. Wir haben es auf den Straßen von Southport gesehen, als die Gemeinden zusammenkamen, um nach den Protesten vor einer Moschee aufzuräumen. Dieser Geist der Solidarität war im ganzen Land zu spüren.“
Allerdings gebe es auch ein anderes Land. Das zweite sei „ein Großbritannien am Rand der Gesellschaft, ängstlich und streitsüchtig, getrieben vom Hass auf den anderen. Rechtsextreme Schläger zogen durch Southport und andere Städte, um vor einer Moschee Hass zu verbreiten, weil sie fälschlicherweise dachten, die Person, die diese schrecklichen Morde an den armen Mädchen begangen hatte, sei ein Muslim.“
Was man auf den Straßen Großbritanniens gesehen habe, sei die Folge einer ungebremsten Islamophobie: akzeptabel, einflussreiche und in Realität in der heutigen Gesellschaft. Die Regierung habe geschwiegen, wenn es um die Muslimfeindlichkeit geht, die diesen Extremismus schüre, so die MCB-Chefin.
Antifaschistische Demonstranten drängen gewaltbereite Rassisten ab. (Screenshot: YouTube)
Großbritannien: Bisher griff die Regierung noch nicht durch
Der neue Premierminister Keir Starmer stellte sich heute hinter die Beamten. Die Einsatzkräfte hätten seine volle Unterstützung, um gegen Extremisten vorzugehen, die Polizisten attackieren und versuchten, Hass zu schüren. Das teilte sein Sprecher nach einem Treffen mit mehreren Kabinettsmitgliedern mit. Die Ausschreitungen gelten als erste Prüfung für den sozialdemokratischen Regierungschef, der seit einem Monat im Amt ist.
Die antimuslimischen Unruhen halten seit Tagen an. Ursache sind vor allem Falschmeldungen in sozialen Medien über die Identität eines Messerangreifers, der am Montag in der nordwestenglischen Stadt Southport drei Mädchen erstochen und mehrere Kinder sowie zwei Erwachsene teilweise lebensgefährlich verletzt hatte. Das Motiv ist unklar.
Die Polizei betont, der 17 Jahre alte Tatverdächtige sei in Großbritannien geboren worden. Seine Eltern stammen aus Ruanda. Auch der rechtspopulistische Abgeordnete Nigel Farage, der einst den Brexit maßgeblich vorangetrieben hatte, spekulierte, ob die Behörden die Wahrheit verschwiegen. Kritiker werfen ihm vor, die Randale damit anzuheizen.
Der Imam und humanitäre Helfer Adam Kelwick spricht in Liverpool auf einer Solidaritätsveranstaltung. (Screenshot: Adam Kelwick)
Gezielte Angriffe auf muslimische Geschäfte
Polizei-Staatssekretärin Diana Johnson sagte dem Sender BBC Radio 4, einige Menschen hätten Angst, wegen ihrer Hautfarbe auf die Straße zu gehen. In der nordirischen Hauptstadt Belfast brannten etwa ein Café und ein Supermarkt aus, die von Muslimen betrieben werden. Mehrere Autos wurden angezündet.
In Liverpool gab es nach Angaben der Polizei Brandschäden an einer Gemeindebibliothek, die als Hilfsstelle für ärmere Menschen dient. Randalierer versuchten, die Löscharbeiten zu verhindern, wie die Merseyside Police mitteilte. In mehreren Städten wurden Geschäfte geplündert.
Zu den Protesten – oft nahe einer Moschee oder einem muslimischen Gemeindezentrum – aufgerufen hatte der bekannte Rechtsradikale und Gründer der English Defence League, Stephen Yaxley-Lennon, der unter dem Namen Tommy Robinson bekannt ist. Er floh vor einer Woche aus dem Land, nachdem er in einem Fall wegen Verleumdung nicht zu einem Gerichtstermin erschienen war.
Die Polizei warnte vor Falschnachrichten, mit denen in Chatgruppen für die Teilnahme an den Protesten geworben werde. Die Behörde wies Berichte in sozialen Medien zurück, dass zwei Teilnehmer eines antimuslimischen Marsches in Stoke-on-Trent niedergestochen worden seien. Zwei Männer seien leicht verletzt worden, als sie von stumpfen Gegenständen getroffen worden seien.