,

„Hass hat es auch vor dem Internet gegeben“ Was tun?

Hass
Foto: flickr.com, Marco Verch | Lizenz: CC BY 2.0

(iz). Ähnlich dem Coronavirus sind Hass, Polarisierung und Extremismus auch dank sozialer Medien zu einem virulenten Phänomen geworden. Manche KritikerInnen sprechen geradezu von einer „Pandemie des Hasses“. Diesen Hass und diese Radikalisierung haben die unterschiedlichsten Ideologien – ob politisch oder religiös eingefärbte – gemeinsam, selbst wenn sich die vermittelten Weltbilder diametral gegenüberstehen sollten.

Diese Phänomene haben negative Auswirkungen und verlangen sowohl nach Lösungen als auch nach Immunisierungen bei ihrem Zielpublikum. Hierzu sprachen wir mit dem Politologen und Autor Said Rezek und dem Literaturwissenschaftler Ahmet Aydin. Wir wollten von ihnen wissen, wie sie Hass und Extremismus wahrnehmen, was man gegen sie tun kann und wie wir uns vor ihnen schützen können. (Die IZ-Redaktion sprach separat mit beiden. Fragen und Antworten wurden später separat zusammengefügt.)

Islamische Zeitung: Lieber Said Rezek, Hass und Extremismus von unterschiedlicher Seite – im Netz – werden seit einiger Zeit verstärkt diskutiert. Wie nehmen Sie diese Phänomene wahr?

Said Rezek: Diese Phänomene sind nicht neu, aber es ist ein stärkeres Problembewusstsein entstanden. Hass hat es auch vor dem Internet gegeben, aber die Hetze ist im digitalen Zeitalter noch sichtbarer geworden. Zudem sinkt in der Online-Kommunikation im Gegensatz zu einer analogen Situation die Hemmschwelle, Menschen zu beleidigen.

Darüber hinaus wird durch Filterblasen der Hass im Netz verstärkt, weil immer mehr Menschen permanent einseitig informiert werden. Dadurch verlieren viele die Fähigkeit, Meinungsunterschiede auszuhalten. Wenn Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen dann in sozialen Netzwerken aufeinandertreffen und sich über polarisierende Themen wie Umwelt, Rassismus oder Integration austauschen, dann sind Hasskommentare so gut wie vorprogrammiert.

Hass im Netz geht dabei vor allem von einer rechten Gegenöffentlichkeit im Netz aus.  Seit Januar 2017 erfasst das Bundeskriminalamt strafrechtlich relevante Hasspostings in einer eigenen ­Kategorie. Der Anteil politisch rechts motivierter Hasspostings liegt zwischen 2017 und 2019 konstant bei über 70 Prozent. Damit treten rechts motivierte Hasspostings deutlich häufiger auf als politisch linke oder solche, die durch eine ausländische oder religiöse Ideologie ­heraus begangen werden.

Islamische Zeitung: Lieber Ahmet Aydin, Sie sind Literaturwissenschaftler und Poet. Wie wirken als solcher die Phänomene Extremismus, Gewalt und Terror auf Sie?

Ahmet Aydin: Sie erschüttern mich und drohen, meine Gefühle als Mensch abzustumpfen. Umso dankbarer bin ich, dass ich mich mit schönen Gedanken und Gefühlen beschäftigen darf in ­meiner Arbeit. Poesie bildet in uns das aus, was der Terror auslöscht: den Sinn für das Göttliche.

Ich schrieb ein Gedicht über den Sprachrassismus und auch Gedichte, die Bilder wie den Wein und die Liebe zur Frau thematisieren. Daran stören sich nicht bloß Terroristen, sondern auch Menschen, die lediglich nur eine einzige Deutung zulassen, denen, um mit Thomas Bauer zu sprechen, die „Ambiguität“ verloren gegangen ist – vielleicht haben solche Menschen sie niemals gelernt…

Islamische Zeitung: Muss sich Dichtung, wenn sie authentisch sein will, mit Dingen wie Extremismus, Gewalt und Terror beschäftigen?

Ahmet Aydin: Ja, sie muss sich mit dem beschäftigen, was die Menschen beschäftigt. Poesie soll den Menschen im Alltag dort abholen, wo er sich befindet und suchen eine Welt zu eröffnen, die über den Alltag und die Alltagspolitik ­hinausgeht.

Islamische Zeitung: Sind junge Menschen wirklich empfänglicher für solche Tendenzen, wie es manchmal heißt, oder betreffen sie uns alle? 

Said Rezek: Hate Speech ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber junge Menschen sind davon häufiger ­betroffen. Die repräsentative Online-­Befragung mit dem Titel #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie ergab 2019, dass jede:r Zwölfte in Deutschland schon einmal direkt von Hate Speech im Internet betroffen war, bei den 18- bis 24-Jährigen ist es mehr als jede:r Sechste. Häufig sind Personen von Hass im Netz betroffen, die zu einer benachteiligten gesellschaftlichen Gruppe gehören. Dazu zählen Menschen mit Migrationshintergrund, Muslim:innen, Jüd:innen, Geflüchtete und nicht zuletzt Frauen.

Islamische Zeitung: Lieber Ahmet Aydin, Teil Deines ehrenamtlichen ­Engagements besteht auch darin, jungen MuslimInnen das Dichterische und Spirituelle des Islam nahezubringen. Ist das für Dich auch eine Form, die künftige Generation gegen diese Negativität zu immunisieren?

Ahmet Aydin: Ja, es ist das Heilmittel. Dichtkunst ist dazu da, um im Alltag das Außergewöhnliche wahrzunehmen. Den Alltag „romantisieren“ hat es Novalis ­genannt, von dem wir viel lernen können. Dieses Wort wirkt sehr befremdlich, ­deshalb sage ich: Dichter helfen uns dabei unseren Alltag zu spiritualisieren, dafür sind sie da. Denn wer Spiritualität besitzt, spürt das Leiden anderer, als sei es das ­eigene.

Islamische Zeitung: Lieber Said Rezek, was können wir gegen extreme Parolen und die alltägliche Polarisierung im Internet tun? Haben Sie praktische Tipps?

Said Rezek: Als Blogger:in kann jede:r Beiträge veröffentlichen, die sich online und offline gegen Hass richten und sich für Vielfalt stark machen. Vor allem ­rassistische Aussagen von Politikern, wie die der AfD, oder Personen des öffentlichen Lebens sollten nicht unwidersprochen bleiben, weil sie häufig viele Menschen erreichen. Je nach Situation und Schwere von Hasskommentaren kann man diese melden, moderieren, löschen oder sogar anzeigen. Außerdem reichen die Möglichkeiten von sachlicher bis hin zu sarkastischer Gegenrede.

Islamische Zeitung: Braucht es eine gesellschaftliche Suche nach Wegen, um die Medienkompetenz bei den Menschen zu fördern?

Said Rezek: Das ist absolut wichtig, weil sich viele Menschen in Filterblasen bewegen, ohne sich darüber im Klaren zu sein. Außerdem fallen viele User:innen im Netz auf Fake News herein und verbreiten diese unbewusst weiter, wie die Corona-Pandemie einmal mehr deutlich gemacht hat. Medienkompetenzen sollten viel stärker in Schulen unterrichtet werden, aber auch Erwachsene sollten sich in dieser Hinsicht weiterbilden. Medienkompetenzen sind für eine funktionierende Demokratie unerlässlich, denn Bürger:innen müssen in der Lage sein Informationen einzuordnen und verschiedene Perspektiven kennenzulernen, um beispielsweise bei Wahlen bewusste Entscheidungen zu treffen und sich am öffentlichen Diskurs beteiligen zu können.

Islamische Zeitung: Lieber Said Rezek, lieber Ahmet Aydin, wir bedanken uns für das Interview. (Interview: Sulaiman Wilms)