Hintergrund: Die Pläne zur Ausweitung der EU-Militäroperationen am Horn von Afrika führen zu Auseinandersetzungen in Berlin

Mogadischu/Berlin (GFP.com). Pläne zur Ausweitung der EU-Militäroperationen am Horn von Afrika führen zu Auseinandersetzungen in Berlin. Berichten zufolge will die EU Soldaten künftig auch an Land gegen Piraten einsetzen und Kampfhandlungen am Strand Somalias gestatten. An der EU-Operation Atalanta, die dafür zuständig wäre, sind auch deutsche Soldaten beteiligt. Der Brüsseler Vorstoß ergänzt eine Reihe weiterer neuer Militäroffensiven, an denen sich inzwischen alle Nachbarstaaten Somalias beteiligen; Ziel ist es, im Sommer mit einem Kraftakt eine faktische Neugründung des somalischen Staates in die Wege zu leiten. Berliner Regierungsberater warnen, das sei praktisch unmöglich; die Pläne seien allerdings geeignet, EU-Truppen in einen blutigen Landkrieg zu verwickeln. Eine Alternative könne in der Zersplitterung des Gebiets in diverse kleine Teilterritorien bestehen, denen die Kontrolle der Piraterie prinzipiell zugetraut wird. Zusätzlich sind Überlegungen im Gange, die Piraten durch den Kampf gegen ihre Hintermänner zu stoppen – mit Hilfe des Bundesnachrichtendienstes (BND). Gelänge dies, dann könnte der Westen Somalia wie in den 1990er Jahren vollständig im Chaos versinken lassen, ohne Schäden durch Piratenüberfälle auf westliche Schiffe in Kauf nehmen zu müssen.

Piraterielogistik zerstören
Hintergrund der neuen Berliner Debatte um den Militäreinsatz am Horn von Afrika sind Pläne der EU, die Operationen auszuweiten. Demnach will das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) Kampfhandlungen “am Strand” Somalias gestatten. Unter “Strand” ist ein offenbar nicht mit wirklicher Klarheit abgegrenzter Streifen an der Küste zu verstehen. Dort soll es in Zukunft erlaubt sein, Boote und andere “Piraterielogistik” zu zerstören.[1] Die Maßnahme würde, sollte sie in Kraft gesetzt werden, den Krieg gegen die Piraten weiter verschärfen. Schon vergangenes Jahr haben die europäischen Seestreitkräfte begonnen, sogenannte Mutterschiffe, von denen aus Piratenattacken gestartet werden, zu verfolgen und zu versenken. Angeblich wurden die Piraten jedes Mal vorher festgenommen und kamen nicht ums Leben. Bei den künftigen Angriffen gegen “Piraterielogistik” am Strand soll Sorge getragen werden, dass Zivilisten nicht zu Schaden kommen. Wie das geleistet werden soll, ist unklar; dasselbe gilt für die Frage, wie zu verhindern sei, dass europäische Truppen in einen blutigen Landkrieg verwickelt werden.

Gesamtoffensive
Die Ausweitung des EU-Militäreinsatzes ist Teil einer Gesamtoffensive, die letztes Jahr gestartet wurde; für sie werden mittlerweile alle Nachbarstaaten Somalias herangezogen. Zunächst hatte die afrikanische AMISOM-Truppe (“African Union Mission to Somalia”) begonnen, die Hauptstadt Mogadischu unter ihre Kontrolle zu bringen; sie soll weiter vorrücken und wird dazu verstärkt, so etwa um Soldaten aus Djibouti. Berliner Regierungsberater bemerken, “die offensive Strategie der Truppe” im Kampf gegen die islamistischen Al Shabaab-Milizen habe zur jüngsten “Eskalation der Gewalt beigetragen” – mit zumindest zweifelhaftem Nutzen, weil die vom Westen in Mogadischu eingesetzte Übergangsregierung “nicht in der Lage” sei, “in den von AMISOM eroberten Gebieten für Recht und Ordnung zu sorgen”.[2] Im Oktober sind kenianische Truppen im Süden des Landes einmarschiert, um Al Shabaab auch von dort zu vertreiben; Nairobi hat sie vor kurzem AMISOM unterstellt. Vor wenigen Tagen sind nun auch äthiopische Einheiten zum wiederholten Male in das somalische Grenzgebiet eingerückt, um dort mit der Übergangsregierung verbündete Milizen zu unterstützen. Hinzu kommen bewaffnete somalische Kräfte, die auch unter deutscher Mitwirkung ausgebildet werden – in Uganda -, sowie US-Drohnen und US-Spezialkräfte. Die Drohnen können mit Erlaubnis des Regimes in Addis Abeba von einem Platz in Südäthiopien nach Somalia starten.

Ein Phantasiekonzept
Ziel der vom Westen koordinierten Offensive, an der sich nun auch die EU beteiligen soll, ist es, in Somalia einer sogenannten Roadmap zum Erfolg zu verhelfen. Auf die “Roadmap” haben sich Anfang September 2011 der Westen, multinationale Organisationen und die Übergangsregierung in Mogadischu geeinigt. Sie sieht vor, dass bis zum Sommer eine Verfassung für den faktisch zur Zeit nicht existierenden Staat Somalia ausgearbeitet werden und per Referendum verabschiedet werden soll. Sodann habe die Übergangsregierung Wahlen abzuhalten und eine “nationale Versöhnung” in die Wege zu leiten. Vor allem aber müsse sie eine Anti-Piraterie-Strategie konzipieren, um künftig den westlichen Schiffen, die das Horn von Afrika queren, somalische Piraten vom Hals zu halten. Wie dieses Phantasiekonzept binnen zwölf Monaten realisiert werden soll, obwohl es in Somalia bereits seit 20 Jahren nicht gelingt, den Bürgerkrieg auch nur ein wenig zu dämpfen, ist völlig unerfindlich. Dies gilt umso mehr, als die vom Westen eingesetzte Übergangsregierung auch nicht im Ansatz in der Lage ist, Fortschritte zu erzielen. Sie hat schon deshalb kaum Erfolgsaussichten, weil sie im Land, nicht zu Unrecht, als Marionette des Westens und des Erzfeindes Äthiopien gilt, der nicht nur von den USA, sondern auch von Deutschland massiv unterstützt wird – nicht zuletzt militärisch (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Auch ist die Übergangsregierung für ihre rekordverdächtige Korruption verschrieen; laut Angaben der UNO zweigt sie gut 96 Prozent des Staatshaushalts in private Kassen ab. Die einzige Regierung seit 1991, die auch nur das Potenzial besaß, einen Staat Somalia wiederherzustellen, wurde Anfang 2007 von Äthiopien im Auftrag des Westens – Deutschland inklusive – aus dem Amt vertrieben [4]; sie galt als islamistisch. Einer ihrer führenden Funktionäre leitet zur Zeit die Übergangsregierung und wird daher – anders als damals – vom Westen geschont.

Alternativen
Berliner Regierungsberater warnen, die von der EU geplante Kriegseskalation werde europäisches Militär nur tiefer in blutige Kampfhandlungen verwickeln, anstatt zum Erfolg zu führen. Besser sei es, alternative Konzepte zu erarbeiten, um den Bürgerkrieg in Somalia zum Ende zu bringen – und den Kampf gegen Piraterie somalischen Staatsstrukturen zu übertragen, die neu aufgebaut werden müssten. Auf die Frage, wie dies bewerkstelligt werden könne, antwortet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Analyse, es gebe mehrere Optionen. Man könne entweder auf eine Kooperation mit den Al Shabaab-Milizen setzen, deren Hardliner-Flügel es abzuspalten gelte. Alternativ bestehe die Möglichkeit, Somalia in zahlreiche kleine Teilterritorien zu zersplittern, von denen einige bereits heute mit dem Aufbau eigener staatsähnlicher Strukturen begonnen hätten, so das nordwestliche Somaliland. In Somaliland gibt es Beobachtern zufolge keine Piraten; dass auch die Al Shabaab-Milizen in der Lage und gegebenenfalls wohl bereit wären, die Piraten zu stoppen, zeigen Erfahrungen mit islamistischen Milizen in Somalia aus der Vergangenheit.[5] Zudem heißt es bei der SWP, man könne gegebenenfalls die AMISOM-Truppen abziehen, um innersomalische Lösungen zu erzwingen.[6] Allerdings dürfte es noch einige Jahre dauern, bis handlungsfähige Strukturen entstehen, die in der Lage sind, die Seeräuberei repressiv zu bekämpfen.

Die Hintermänner
Zusätzlich werden – vor allem in den Unionsparteien und ihrem Umfeld – Überlegungen angestellt, die Piraterie mit Hilfe der deutschen Auslandsspionage zu bekämpfen. Man müsse “an die Wurzel des Übels heran” und “die Hintermänner” attackieren, verlangt der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl. Dazu müsse auch der Bundesnachrichtendienst (BND) genutzt werden, zu dessen “Kernaufgaben” es gehöre, “für die Sicherheit des deutschen Warenverkehrs auf See zu sorgen”.[7] Der ehemalige BND-Präsident August Hanning fordert ebenfalls, der BND müsse die “Hintermänner” der Piraten aufspüren. Sie solle man wie Terroristen behandeln, ihr Vermögen sei zu konfiszieren. Möglich sei dies, da sie beispielsweise “Immobilien in den Golfstaaten oder in Kenia” kauften, auf die man gut zugreifen könne. Der BND besäße mit der Piratenbekämpfung ein neues, prinzipiell weltweites Aufgabenfeld.

Fußnoten:
[1] Piraten sollen auch an Land bekämpft werden können; Frankfurter Allgemeine Zeitung
[2] Wolfram Lacher, Denis M. Tull, Annette Weber: Zeit für eine neue Somalia-Politik, SWP-Aktuell 55, November 2011
[3] s. dazu Militär für Afrika (I), Beihilfe und Diktatorenhilfe
[4] s. dazu , Ordnungsmächte und Ordnungsmacht in Ostafrika
[5] Die islamistische “Union der islamischen Gerichtshöfe” war im Jahr 2006 relativ erfolgreich gegen Piraterie eingeschritten, bis sie auf westliche Initiative gestürzt wurde.
[6] Wolfram Lacher, Denis M. Tull, Annette Weber: Zeit für eine neue Somalia-Politik, SWP-Aktuell 55, November 2011
[7] BND soll somalische Soldaten aufspüren; www.welt.de 03.01.2012