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Im letzten Jahr wurden viele Krisen übersehen

Ausgabe 308

Allah Rakhi works on her loom day and night, using her dominant foot to operate it. She purchases pre-owned sweaters from the local Landa Bazaar which her family then help to unstitch.
Financial success has meant the whole family is now able to have regular meals daily and aside from this, the business has given Allah Rakhi the confidence she needed in life. The feeling that despite her disability, she can contribute something, seize control and pave her own way.

Gegen die allgegenwärtige Corona-Pandemie kommt seit Monaten höchstens noch ein irrlichternder US-Präsident an. Dieser Trend beunruhigt nicht nur manche Journalisten und Mediennutzer.

(KNA/Care). Am 12. Januar 2021 schlugen Vertreter des Welternährungsprogramms WFP Alarm. Auf Madagaskar litten nach drei aufeinander­folgenden Dürrejahren sowie den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie immer mehr Menschen an Hunger. Möglicherweise werde sich die Zahl der Betroffenen bald schon verdoppeln. Corona wiederum könnte aber zugleich eine Erklärung dafür sein, wenn auch dieser Hilferuf keine große öffentliche Aufmerksamkeit findet. Das jedenfalls ist eine Lehre, die Care aus den Erfahrungen des ­vergangenen Jahres gezogen hat.

Es sei noch einmal schwieriger geworden, auf Missstände in Regionen aufmerksam zu machen, die nicht ständig im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stünden, beklagte der ­Generalsekretär von Care Deutschland, Karl-Otto Zentel. Zugleich habe die Pandemie ­globale Ungleichheiten und menschliches Leid vielerorts „auf unerträgliche Weise ­verschärft“. Das belegt auch ein Blick auf die von der Hilfsorganisation ermittelten zehn vergessenen Krisen 2020, die sie jetzt im ­Rahmen ihres Berichts „Suffering in Silence“ vorstellte.

Seit 2016 veröffentlicht Care diese Rangliste. Als Quelle dienen UN-Berichte, das Analyseportal ACAPS und eigene Erhebungen. Für den aktuellen Bericht wertete die internationale Medienbeobachtung „Meltwater“ 45 humanitäre Krisen mit mehr als einer Million Betroffenen hinsichtlich ihrer Medienpräsenz in den Sprachen Englisch, Französisch, Deutsch, Arabisch und Spanisch aus.

Die zehn humanitären Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten:

1. Burundi – 2,3 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe.
2. Guatemala – 10 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze.
3. Zentralafrikanische Republik – Ein Viertel der Bevölkerung wurde vertrieben.
4. Ukraine – 3,4 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe.
5. Madagaskar – Fast die Hälfte der Kinder leidet wegen Mangelernährung unter ­Wachstumsverzögerungen.
6. Malawi – 2,6 Millionen Menschen brauchen Nahrungsmittelhilfe.
7. Pakistan – 49 Millionen Menschen fehlt es an ausreichend Nahrung.
8. Mali – 1,3 Millionen Menschen leiden Hunger.
9. Papua-Neuguinea – 4,6 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe.
10. Sambia – 2,6 Millionen Menschen brauchen Nahrungsmittelhilfe.

CARE hat seine Liste derjenigen Krisen von 2020 erstellt, die mehr als eine Millionen Menschen betrafen. Als Quelle dienten UN-Berichte, das Analyseportal ACAPS und eigene Erhebungen. Die internationale Medienbeobachtung „Meltwater“ hat diese 45 humanitären Krisen auf ihre Medienpräsenz in den Sprachen Englisch, Französisch, Deutsch, Arabisch und Spanisch ausgewertet – insgesamt 1,2 Millionen Online-Artikel wurden publiziert. Die zehn Krisen, die am wenigsten mediale Beachtung fanden, finden sich im Bericht „Suffering in Silence“, der jährlich seit 2016 erscheint.

Madagaskar kam diesmal auf Rang fünf. Angeführt wird das Ranking von einem anderen afrikanischen Staat: Burundi. Wegen extremer Witterungsbedingungen, Naturkatastrophen und politischer Instabilität sind dort inzwischen 2,3 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Solche Zahlen werden greifbarer, wenn man sie ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung setzt, wie bei Guatemala, Platz zwei der Rangliste. Von den rund 17 Millionen Einwohnern des zentralamerikanischen Landes leben zehn Millionen unterhalb der Armutsgrenze.

Die Not ist groß – auch unmittelbar vor der Haustür. Mit der Ukraine führt die Care-Liste den größten Flächenstaat Europas auf Rang 4. Hier belasteten laut Angaben der Helfer vor allem die Konflikte mit Russland um die Krim und den Osten des Landes die Zivil­bevölkerung. So sei die 420 Kilometer lange Kontaktlinie zwischen der Ukraine und dem von Separatisten besetzten Teil des Donbass „eines der am stärksten mit Minen verseuchten Gebiete der Welt“. Eine marode Wasser- und Stromversorgung, dazu die ständige Angst vor Angriffen machten den Menschen beiderseits dieser Grenze das Leben zur Hölle. Insgesamt benötigen den Angaben von Care zufolge 3,4 Millionen Ukrainer humanitäre Hilfe.

Madagaskar, Guatemala, die Ukraine: In den großen Medien ist davon nach Ansicht der Helfer nur zu wenig zu lesen, zu hören oder zu sehen. Über alle zehn Krisen zusammengenommen sei weniger berichtet worden, als über den Sänger Kanye West und seine ­Präsidentschaftskandidatur in den USA. ­Dabei gehöre mediale Aufmerksamkeit zu den stärksten Waffen im Kampf gegen das Vergessen, so der Care Deutschland-Generalsekretär Zentel.

Um mehr Aufmerksamkeit für humanitäre Krisen zu schaffen, fordert Care eine enge Zusammenarbeit von Politik, Medien, humanitären und weiteren Akteuren. Häufiger mal über den Tellerrand blicken und die ausgetretenen Pfade verlassen: Das wünscht sich die Hilfsorganisation mit Blick auf die journalistische Berichterstattung in Deutschland und anderen westlichen Ländern. Über ­Soziale Medien könne beispielsweise auch Kontakt mit Menschen in Krisenländern aufgenommen werden. „Doch diese Möglichkeit bleibt häufig ungenutzt.“

Vielleicht eröffnet ja die Entscheidung von Twitter und Co, die Konten von Donald Trump zu sperren, neuen Spielraum, sich einmal anderen Nutzern dieser Netzwerke zuzuwenden, die Sinnvolleres zu sagen haben als der scheidende US-Präsident.