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In japanischen Traditionen finden sich Inspirationen und Anknüpfungspunkte für Muslime

Ausgabe 325

Foto: sima-box, Adobe Stock

(Amaliah.com) Jeden Ramadan sammelten sich meine Familie und ich eifrig vor dem Fernseher, um die aktuelle Folge von „Khawater“ zu sehen, eine beliebten Fernsehserie, die seit 12 Jahren in der arabischen Welt läuft. Der Titel, der sich vom arabischen Wort für „Gedanken“ ableitet, untersucht wegweisende Ideen und Erfindungen, die zu Innovationen führten, die die Welt verbesserten. Das Programm wird von der berühmten Medienfigur Ahmed Al Shuqairi präsentiert. Es zielt auf die Inspiration der Zuschauer ab, indem hier Gedanken und Erfahrungen aus verschiedenen Ländern vorgestellt werden. Das Gleiche gilt für historische Vorbilder, bei denen erklärt wird, wie sie im heutigen Kontext implementiert werden können.

In der fünften Staffel der Show reist Al Shuqairi nach Japan, um die dortigen eindrucksvollen Gewohnheiten und technologischen Entwicklungen zu präsentieren, von denen wir (sein muslimisch-arabisches Publikum) lernen können. Diese Ideen drehen sich um Sauberkeit, Pünktlichkeit, gute Ethik und technologische Entwicklungen – alles Charakterzüge, zu denen im Islam aufgerufen wird, die von den Gläubigen aber nicht immer praktiziert werden.

13 Jahre später bin ich mit einer Person verheiratet, die leicht von Japans Kultur besessen ist. Kürzlich diskutierten mein Mann und ich über ein Buch, das er gekauft hatte. Es erinnerte an diese Serie, die ich vor Jahren geschaut habe. Es inspirierte mich zu einem vergleichbaren Gefühl von Entdeckung und dem Verlangen nach positivem Wandel.

„Japonisme“ vom anglo-japanischen Autor Erin Niimi Longhurst fasst einige Aspekte der dortigen Mentalität, tägliche Gewohnheiten und kulturelle Aktivitäten zusammen. Was mich insbesondere anzog, war sein Gesprächston sowie die Liebe für Design und Fotos. Vieles von dem, was ich las, kam mir bekannt vor. Die japanische Mentalität und Lebensweise inspirierten mich, da sie vielen Lehren des Islams ähnlich ist.

Unser Glaube dient als perfekter Ratgeber für unser Leben, der uns darüber informiert, wie wir leben und uns verhalten sollten. Dank „Japonisme“ erkannte ich, wie viel wir davon vernachlässigt haben. Einige der beschriebenen Gewohnheiten inspirierten mich, sie in meinem Alltag wiederzubeleben.

Essgewohnheiten

Der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Der Sohn Adams kann kein Gefäß füllen, das schlimmer ist als sein Magen. Es genügt ihm, ein paar Bissen zu nehmen, um seinen Rücken aufzurichten. Wenn er das nicht kann, kann er es zu einem Drittel mit Nahrung, einem Drittel mit Getränk und einem Drittel mit Atem füllen.“

Interessanterweise gibt es das japanische Sprichwort „iss, bis du zu 80 Prozent voll bist“. Es handelt sich hier nicht um den gleichen Prozentanteil wie beim Gesandten Allahs, aber die Stimmung ist die gleiche. Wir sollten übermäßigen Verzehr vermeiden und in unserem Handeln ausgeglichen sein. Es ist schwer, der Versuchung von Fast Food zu widerstehen, aber in den Lehren unseres Propheten liegen so viele Vorteile für unsere körperliche und spirituelle Gesundheit.

Der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte ebenfalls: „Man sollte seine Hand nicht mit dem Tuch abwischen, bis man seine Finger abgeleckt hat. Denn niemand weiß, in welchem Teil der Mahlzeit der Segen liegt.“

Japaner kennen eine ähnliche Mentalität im Umgang mit Lebensmittelverschwendung: „Glück liegt in den Speiseresten.“ Sie sind dazu angehalten, diese zu verbrauchen, anstatt sie wegzuschmeißen. Aus diesem Grund ist es in Japan üblich, gemeinsam zu speisen. Das heißt weniger Essen auf individuellen Tellern, das einer Person zu viel werden könnte.

Anknüpfen von Beziehungen

In „Japonisme“ beschreibt der Autor, dass viele Beziehungen mit einem großen Geständnis namens „Kokuhaku“ beginnen. Das klärt die Absichten von Anfang und spart Zeit sowie emotionale Energie für beide Seiten auf ihrer neuen Reise. Ich konnte nicht umhin, Parallelen zwischen dieser Praxis und der Art und Weise zu ziehen, wie Muslime Beziehungen beginnen (sollten), nämlich mit klaren Absichten, unter frühzeitiger Einbeziehung der Ältesten und mit dem Ziel, direkt zu heiraten. In vielerlei Hinsicht sind wir von dieser Praxis abgewichen. Der Heiratsprozess ist heute von Unklarheiten und unseriösen Kandidaten geprägt, die den Prozess aus persönlichen Gründen in die Länge ziehen, ohne heiraten zu wollen.

Es liegt Weisheit in der Festlegung der richtigen Absicht mit dem Start. Die Rückkehr einer offenen und klaren Kommunikation wäre großartig für den heutigen Prozess von Kontaktanbahnung und Eheschließung.

Umgang mit Älteren

Nichts macht mich trauriger, als einen älteren Menschen zu sehen, der allein durch die Straßen streift, manchmal mit schweren Taschen, manchmal auf einer Bank sitzend oder an einer Bushaltestelle wartend, mit den Augen die Umgebung absuchend und sich nach menschlichem Kontakt sehnend. Es gibt keinen schrecklicheren Gedanken, als sich meine eigenen Eltern in einer solchen Situation vorzustellen.

Respekt für Ältere ist tief verwurzelt in der japanischen Kultur. Hier ist es nicht unüblich, dass sie bei jüngeren Verwandten einziehen. Der dritte Montag im September ist dort der Tag der Anerkennung für alte Menschen.

Als Muslime sollten wir einen vergleichbaren Respekt üben. Nicht nur gegenüber unseren Eltern, sondern gegenüber allen Menschen reiferen Alters in unserer Gesellschaft. Der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte hierzu: „Niemand gehört zu uns, der nicht Barmherzigkeit mit unseren Jungen und Ehrfurcht vor unseren Alten praktiziert.“

In einer anderen Aussage heißt es: „Der Jüngere sollte den Älteren zuerst grüßen.“ Und bei anderen Begebenheit stellte er sicher, dass ein älterer Mann in einer Versammlung vor einem jüngeren sprechen konnte.

Stille

Eine vergessene Sunna mit großer Belohnung, die heute insbesondere mit dem Aufstieg der sozialen Medien in den Hintergrund geriet, ist die Kraft des Schweigens. Im Islam sind wir für jedes geäußerte Wort verantwortlich. Es könnte für uns den Unterschied zwischen dem Garten und – Gott bewahre – und seinem Gegenteil bedeuten.

Die heutige globale Kultur ist laut. Jeder hat eine Meinung. Und wir sind dazu aufgerufen, sie ignorant von uns zu geben – ohne Rücksicht auf die Menschen in unserer Umgebung oder ob eine geteilte Ansicht nützlich, sachlich oder freundlich ist. Im Geist schwirren ständig verschiedene Gedanken und Ideen. Und es fühlt sich an, als würden unsere Gehirne damit kämpfen, einen Moment der Ruhe zu finden. Der Gesandte Allahs erinnerte uns an die Wichtigkeit, weniger zu sprechen: „Wer schweigt, wird gerettet“ und „wer an Allah und den Jüngsten Tag glaubt, soll Gutes sprechen oder schweigen“.

Gleichmaßen gibt es in der japanischen Kultur die Weisheit „Schweigen ist die Blume“. Das beleuchtet die Tugend der Stille. Viele japanische Traditionen wie das „Waldbaden“ (Shinrin Yoku, oder „ein Bad in der Atmosphäre des Waldes nehmen) oder Ikebana (Kunst des Blumenarrangements) ermutigen ein meditatives und nachdenkliches Reflektieren, während sie eine Person an die Natur heranführen. Um wirklich von diesen Aktivitäten zu profitieren, wird Stille empfohlen. Das ist eine Tugend, die wir in viele Aktivitäten und Akte der Anbetung unseres Lebens einbringen. Dabei kann es sich um spezifische Zeit für Dhikr, um die Konzentration des Geistes im Gebet oder Reflexion über eine Qur’ansure sein.

Reinigung des Körpers

Das ist eines der überraschenden Dinge, auf die ich in „Japonisme“ gestoßen bin. Wie in anderen Kulturen habe ich erfahren, dass die Japaner peinlich genau darauf achten, ihre Schuhe auszuziehen, wenn sie Häuser und Schreine betreten. Außerdem führen sie vor dem Betreten eines Schreins Temizu durch. Das ist ein Reinigungsverfahren, bei dem sie sich die Hände waschen und ihren Mund spülen, um sich äußerlich und innerlich zu reinigen.

Das erinnert erstaunlich an die rituelle Reinigung im Islam, Wudu’. Auch in muslimischen Haushalten überall in der Welt ist es üblich, die Schuhe vor dem Betreten auszuziehen. Unsere Lebenspraxis geht darüber hinaus. Wir sind dazu angehalten, so weit wie möglich im Zustand der rituellen Reinheit zu bleiben – nicht nur während der eigentlichen Gebetszeiten.

Auf dem Boden bleiben

Eines der Dinge, für die ich dankbar bin, ist, dass mein Schlafzimmer unter dem Dach liegt. Es ist ein japanisches Bett. Dieses Möbelstück ist niedrig und hat keine Beine. Bis zum Lesen des Buchs war mir gar nicht bewusst, dass es aus Japan kommt, wo es weitere solcher Möbel gibt wie Chabudai und Zabuton. Ersterer ist ein niedriger Esstisch, an dem während des Essens auf dem Boden gesessen werden muss. Glücklicherweise gibt es zur Schonung der Knie und für eine gute Haltung das Zabuton. Das Bodenkissen wird dabei unter die Knie gelegt.

Das Essen auf dem Boden ist etwas, das meine libanesische Familie auf dem Land zu tun pflegte. Wir versammelten uns um große Tabletts mit verschiedenen Speisen, von denen wir gemeinsam aßen. Unglücklicherweise wurde diese Tradition nicht in unseren städtischen Wohnungen fortgeführt, wo man am Esstisch sitzt.

Der Text wurde am 19. Mai auf der Webseite Amaliah.com veröffentlicht.