Muslimfeindlichkeit. 400 Seiten, 16 neue Studien, das halbe „Who is Who“ der deutschen Rassismus- und Migrationsforschung.
(iz). In einem bisher einmaligen Bericht erklären Experten, was gegen Muslimfeindlichkeit in Deutschland getan werden muss. Fraglich bleibt, ob sich auch Politiker finden, die das Ganze umsetzen.
Text-Bild-Schere nennen Journalisten das zu vermeidende Phänomen, wenn Ton oder Text so gar nicht zur Bebilderung eines Beitrages passen wollen. Der Bericht „Muslimfeindlichkeit. Eine deutsche Bilanz“ bietet einen besonders krassen solchen Fall. Gleich auf der Titelseite prangt neben dem Schriftzug „Unabhängiger Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM) ausgerechnet das Logo des Bundesministeriums für Inneres und Heimat – selbst ein nicht unerheblicher Produzent von Muslimfeindlichkeit in Deutschland.
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Muslimfeindlichkeit: Der bisher umfassendste Bericht
Wer aus dieser Komposition den naheliegenden Schluss zieht, dass es mit der Unabhängigkeit des Expertenkreises nicht allzu weit her sein dürfte, wird aber zum Glück enttäuscht. Die 400 Seiten gehören zum umfassendsten und kritischsten, was es bisher über antimuslimischen Rassismus in Deutschland zu lesen gibt.
Zweieinhalb Jahre arbeitete der noch von Heimatminister Horst Seehofer eingesetzte Expertenkreis an dem Bericht. Das am 29. Juni in Berlin vorgestellte Dokument zeichnet das Bild eines Deutschlands, in dem Muslime in so ziemlich allen Lebensbereichen Diskriminierung erfahren: auf dem Wohnungsmarkt und dem Uni-Campus, vor Familiengerichten und Parlamenten, in Drehbüchern und Verfassungsschutzberichten, auf der Straße und Theaterbühnen.
Den Aufwand, den die Forscher in den Bericht gesteckt haben, lässt sich unter anderem anhand der Zahl der eigenes für den Bericht beauftragten wissenschaftlichen Untersuchungen illustrieren. Ganze 16 neue Studien und Gutachten hat der UEM in Auftrag gegeben: unter anderem zu Muslimfeindlichkeit in TV und Printmedien, Social Media, Schulbüchern und Parteiprogrammen.
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Auch Missstände bei Regierung und Staat
Auch seinen eigenen Auftraggeber verschont der UEM glücklicherweise nicht. An mehreren Stellen kritisieren die Experten Missstände in Regierung, Ministerien, Polizei und Sicherheitsbehörden. In einem eigenen Kapitel zu Muslimfeindlichkeit bei der Polizei ist die Rede von „tiefsitzenden, verbreiteten und bisweilen mehrheitlichen Vorurteilstrukturen in der deutschen Polizei.“
Polizeiarbeit werde „gerade mit Blick auf Menschen, die als arabisch, türkisch oder als Migrant*in wahrgenommen werden, von Vorurteilen und Vorannahmen überlagert“. Gleichzeitig würden muslimfeindliche Straftaten durch Ermittlungsbehörden nicht konsequent genug verfolgt.
Noch kritischer gehen die Autoren mit den Verfassungsschutzbehörden ins Gericht. So schreiben sie, Verfassungsschutzämter würden eine „regelrechte Misstrauens- und Verdachtskultur gegenüber Muslim*innen (insbesondere jenen in exponierten Positionen) etablieren.“
An anderer Stelle stellt der UEM gleich ganz die Verfassungskonformität der Behörde infrage, wenn er schreibt, dass sich der Verfassungsschutz „im Umgang mit Muslim*innen sich oft nicht an den Gleichheitsgrundsätzen der Verfassung orientiert.“ Solche Einschätzungen sind freilich nicht neu. In einem Dokument jedoch mit dem Logo des Bundesinnenministeriums auf dem Titel gab es solch eine Fundamentalkritik bisher nicht zu lesen.
Kritik an Kontaktschuld-Technik
Auch an der Taktik der bei Verfassungsschützern beliebten Kontaktschuldvorwürfen lässt der UEM kaum etwas übrig. Diese bezeichnet der UEM als „Sippenhaftkonstuktionen“, „öffentliche Hetzjagd“ und „Pseudoargumente“, „an deren Ende Karrieren oder auch Existenzen zu Bruch gehen können“.
Problematisch sieht der UEM auch die pauschale Einstufung der großen etablierten Islamverbände und ihrer Mitglieder „islamistisch“. Die Debatte um den sogenannten „Politischen Islam“ – so heißt es an anderer Stelle, stigmatisiere „weile Teile der muslimischen Bevölkerung und ihrer Organisationen und stellt sie unter Generalverdacht.“
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Dabei belässt es der UEM glücklicherweise nicht bei der Problemanalyse, sondern formuliert auch allerlei Ideen, wie es besser geht: Umfassender Schutz von Muslimen im öffentlichen Raum. Generelle Abschaffung von Kopftuchverboten im Öffentlichen Dienst. Stärkere Förderungen muslimischer Akteur*innen und Organisationen. Initiierung und Förderung weiterer rassismuskritischer Studien.
Einrichtung eines Sachverständigenrats und Ernennung eines Bundesbeauftragten zum Thema Muslimfeindlichkeit. Politik und Behörden, die sich nicht nur mit muslimischen Tätern, sondern auch Betroffenen von antimuslimischem Rassismus auseinandersetzen… Auch die Liste der Handlungsempfehlungen gehört zum umfassendsten, was bisher zum Thema antimuslimischer Rassismus erhältlich ist.
Schwachstellen
Wer unbedingt will, kann aber auch Schwachstellen in dem Bericht finden. Zwar betont der UEM ausgiebig, wie wichtig die Betroffenenperspektive für seine Arbeit sei. Auf die Idee, relevante islamische Akteure schon bei der Konzeption einzubinden, kam der UEM aber leider nicht. Stattdessen wird die Perspektive muslimischer Interessenvertretungen auf fünf knappen Seiten abgehandelt.
Dass manchen in der islamfeindlichen Öffentlichkeit auch das noch zu viel ist, zeigte die Tagesszeitung „Die Welt“. „Islamistische Verbände wirkten an Studie des Innenministeriums mit“, versuchte diese den Bericht zu skandalisieren und lieferte gleich ein schönes Anschauungsbeispiel für die islamfeindlichen und diffamierenden Methoden mancher Journalisten, die der UEM selbst im Medien-Kapitel seines Berichts kritisiert.
Auch an vielen anderen Aspekten des Berichts lässt sich Kritik üben: Zum Beispiel weil manche Darstellung dann doch zu skizzenhaft und zu wenig empirisch unterfüttert bleibt. Andererseits: An der Aufgabe, die ganze Welt der Muslimfeindlichkeit in Deutschland, in einer Untersuchung zusammenzufassen, kann man eigentlich nur scheitern. Für eine Untersuchung, die nicht nur umfassend, sondern auch irgendwann einmal fertig und noch lesbar sein will, sind die kleinen Schwachstellen hier und da ein mehr als akzeptabler Kompromiss.
Und ohnehin fällt die größte offene Frage in Zusammenhang mit dem Bericht nicht in den Verantwortungsbereich der Experten: die der Umsetzung. Auch rund einen Monat nach Veröffentlichung der vielleicht kritischsten und umfassendsten Bestandsaufnahme von Muslimfeindlichkeit in Deutschland, bleibt die Zahl der Politiker und Behördenvertreter, die sich öffentlich zu den Ergebnissen des UEM bekennen überschaubar.
Und auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser vermied es, eine weitere Text-Bild-Schere zu produzieren. Ihre Teilnahme an der Veranstaltung zur Vorstellung des Berichts sagte die Innenministerin kurzfristig ab.